EU-KLIMAPAKET
Kaum haben sich Rat, Parlament und Kommission auf CO2-Grenzwerte für Autos geeinigt, werden
diese wieder infrage gestellt. Keine gute Basis für den anstehenden EU-Gipfel
Zumindest der Christbaum im Foyer des Europaparlaments in Brüssel ist ressourcenschonend geschmückt. Wiederverwertbare Glitzerkugeln und Lametta aus geschredderten Papierstreifen sollen deutlich machen, dass Nachhaltigkeit in diesem Haus groß geschrieben wird. Doch jenseits der Weihnachtsdeko endet die Harmonie. In nächtlichen Marathonsitzungen ringen Vertreter des Europaparlaments mit Rat und Kommission um fünf Gesetze, die Ende dieser Woche beim EU-Gipfel von allen 27 Regierungen als Klimapaket einstimmig verabschiedet werden sollen.
Vor allem aus den Reihen der osteuropäischen Mitgliedsländer gibt es große Vorbehalte gegen alle Versuche, kohlenstoffintensive Energieträger und Produktionsbranchen durch den Handel mit Verschmutzungsrechten zu verteuern. Ratspräsident Sarkozy will sich deshalb noch vor dem Gipfel mit den Regierungschefs aus Polen, der Slowakei, Ungarn, Tschechien und dem Baltikum zusammensetzen. Italien will das Gesetz über den Anteil erneuerbarer Energien am Energiemix 2014 noch einmal auf den Prüfstand stellen. Doch nicht einmal die Parlamentsfraktionen sind sich intern in allen Punkten einig.
Der konservative deutsche Abgeordnete Werner Langen von der Europäischen Volkspartei (EVP) sagte bei der Parlamentsdebatte am 4. Dezember in Brüssel, nur ein globales Abkommen, das auch China, Indien und die USA in die Pflicht nehme, sei für Europa akzeptabel. Seine Parteikollegin Angelika Niebler erinnerte daran, dass der designierte amerikanische Präsident den ökologischen Umbau der Wirtschaft mit 500 bis 700 Milliarden Dollar fördern will. "Und was machen wir? Wir belasten mit dem Emissionshandel unsere Industrie mit 70 Milliarden Euro im Jahr. Ich werde nur eine Politik unterstützen, die die Abwanderung von Unternehmen verhindert."
Auch das zwischen Rat, Parlament und Kommission in der Nacht zum Dienstag erreichte Zwischenergebnis beim CO2-Ausstoß für Pkw ist umstritten. Im sogenannten Trilog hatten sich die Verhandlungsführer geeinigt, einen Grenzwert von 137 Gramm CO2 pro Kilometer ab 2012 nur stufenweise einzuführen. Erst 2015 soll die gesamte in Europa produzierte Flotte diesen Durchschnitt schaffen. Die Strafzahlungen für Autobauer, die den Grenzwert nicht einhalten, fallen deutlich geringer aus als ursprünglich von der Kommission vorgeschlagen. Drei Gramm mehr kosten 45 Euro pro Fahrzeug, ab dem vierten Gramm sind 95 Euro fällig. Für 2020 soll ein Grenzwert von durchschnittlich 95 Gramm angestrebt werden. Dabei handelt es sich aber um einen vorläufigen Kompromiss. Sowohl der Rat der Regierungen als auch das Parlamentsplenum müssen das Ergebnis noch absegnen.
Obwohl den Autobauern damit nur minimale Anstrengungen abverlangt werden, übten deutsche Politiker scharfe Kritik an dem Kompromiss. Bayerns neuer Ministerpräsident Horst Seehofer schrieb in einem offenen Brief an Angela Merkel: "Dadurch würde die Automobilwirtschaft im Vergleich zu den anderen Industriebranchen in eklatanter und nicht hinnehmbarer Weise benachteiligt." Merkel solle sich deshalb "auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass der jetzige Verhandlungsstand deutlich korrigiert wird".
Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff bezeichnete den Pkw-Kompromiss bei einem Treffen mit Europaabgeordneten letzten Mittwoch in Brüssel als "gute Verhandlungsgrundlage für den Gipfel". Strafzahlungen von 95 Euro, die vor allem das Luxussegment treffen würden, seien aber inakzeptabel. Vor Journalisten erklärte Wulff: "Wir müssen Ökonomie und Ökologie versöhnen, sonst vertreiben wir die Industrie aus Europa." Wulff forderte, dass energieintensive Branchen wie die Chemieindustrie auch nach 2012 kostenlose Verschmutzungszertifikate erhalten müssten. Die geforderte CO2-Einsparung pro Jahr dürfe nicht linear festgelegt werden, sondern müsse sich vielmehr an der saubersten verfügbaren Technik orientieren. Weil Deutschland seine Emissionen in den Nachwendejahren deutlich reduziert habe, solle nicht 2005, sondern 1990 als Basisjahr für die CO2-Reduktion gelten.
Die Europaabgeordneten haben ihre Abstimmung über das Klimapaket, die ursprünglich schon letzte Woche angesetzt war, auf den 17. Dezember verschoben. Sie wollen ihre Zustimmung davon abhängig machen, dass der EU-Gipfel am 12. Dezember nicht zu viele Sonderregeln und Ausnahmen beschließt. Bei Abgeordneten, die nicht an den Trilog-Verhandlungen beteiligt sind, wächst ohnehin der Unmut über das undemokratische Verfahren. Der Luxemburger Sozialdemokrat Robert Goebbels sagte: "Im Trilog wird auf der Grundlage einer einzigen Abstimmung im Umweltausschuss verhandelt! Natürlich braucht der Rat eine Einigung, aber das darf die demokratisch gewählten Politiker nicht hindern, ihre Arbeit zu machen. Gute Klimapolitik kann nicht hinter verschlossenen Türen beschlossen werden." Sollte es auf dem Gipfel zu keiner Einigung kommen oder der dort beschlossene Kompromiss im Parlament durchfallen, hat die Ratspräsidentschaft mit Daumenschrauben gedroht. Sie will dann Ende Dezember einen Sondergipfel in Brüssel veranstalten.