FRANKREICH
Machtkämpfe und neue Allianzen schwächen die Opposition. Ein Ende ist nicht in Sicht
Pathetisch ging es zu auf der ersten großen Versammlung der französischen "Linkspartei", die sich als Stargast das große Vorbild von der anderen Rheinseite, Oskar Lafontaine, in die schlecht geheizte Turnhalle der Pariser Vorstadt Saint Ouen geholt hatte: "Frankreich der Rebellionen und Revolutionen hat aufs Neue eine Partei und eine Fahne", rief der französische Oskar, Jean-Luc Mélenchon seinen Anhängern zu. So, wie Lafontaines "Linke" in Deutschland die SPD unter Druck setzt, will Mélenchon, Frankreichs sozialistische Partei (PS) künftig vor sich hertreiben. Die Erosion der größten französischen Oppositionspartei wird das weiter forcieren.
Der konservative Präsident kann das gelassen verfolgen. Intern gab er seinen Gefolgsleuten schon den Rat, die Entwicklung auf der Linken nicht übermäßig breit zu kommentieren. Wer derart mit Neugründungen, möglichen Allianzen, internen Krächen und Machtkämpfen beschäftigt ist, kann ihm nicht ernstlich Konkurrenz machen.
Ausgerechnet bei den längst dahin siechenden Kommunisten, die bei den letzten Parlamentswahlen vor anderthalb Jahren ihre Talfahrt weiter fortgesetzt hatten, sucht der Gründervater der "Parti de Gauche", der Senats-Hinterbänkler Mélenchon, nun nach Bundesgenossen. Die programmatisch und finanziell ausgezehrte KP um Parteichefin Marie-George Buffet ist begeistert von der Chance, nicht mehr allein im Regen kämpfen zu müssen. Sie bastelt nun mit dem PS-Abtrünningen, der Mitte November seine Mitgliedschaft nach 31 Jahren aufgekündigt hatte, an einer "Linksfront" für die Europawahlen im nächsten Juni. "Mélenchons Angebot bringt links frischen Sauerstoff", jubelte KP-Sprecher Olivier Dartigolles. Mélenchon, einer der Antreiber im PS-Lager beim letztlich erfolgreichen Verfassungs-"Non" vom Mai 2005 und ein begnadeter Populist, setzt darauf, den Schwung der damaligen Kampagne in den Europa-Wahlkampf zu übertragen. Doch in der breiten "Anti-Sarko-Front", die sich zum Europa-Wahlkampf zweifellos formieren wird, wird die "Parti de gauche" keineswegs automatisch die Speerspitze bilden können. Linksaußen herrscht Gedränge.
Ausgestreckt hat Mélenchon daher in kluger Voraussicht die Hand auch in Richtung des linken Aufsteigers Olivier Besancenot, der die Palette linker Partei-Neugründungen im Januar um seine "anti-kapitalitische NPA" erweitern wird. Besancenot, der als Briefträger im Pariser Reichen-Vorort Neuilly, der Stadt Sarkozys, die Post austrägt, aber bereits auf eine Kaderkarriere bei Frankreichs Trotzkisten zurückblicken kann, ist erkennbar nicht erpicht darauf, mit Linkspartei und KPF gemeinsame Sache zu machen. Die linken Kameraden tragen auch für französische Parteienforscher den Stempel potenzieller Verlierer, während Besancenot, bereits zwei Mal Präsidentschaftskandidat mit Achtungserfolgen, auf einer Sympathiewoge schwimmt und sogar den PS-Granden in Umfragen auf den Leib rückt. 8 Prozent der Franzosen gaben in einer aktuellen Befragung zur Europawahl an, die Partei des 34-Jährigen wählen zu wollen. Mélenchons Linkspartei bleibt in dieser Umfrage klar unter 5 Prozent. Offenbar hat die NPA gute Aussichten sich - so ihr erklärtes Ziel - als Sammelbecken für Frankreichs frustrierte Linkswähler zu empfehlen.
Die Erfolgsaussichten für die Linkspartei hätten sich gewiss verbessert, wäre Ségolène Royal, die unterlegene Präsidentschaftskandidatin der Sozialisten, an die Spitze der PS gewählt worden. Mélenchon und Co hatten darauf gehofft, in der durchaus realistischen Annahme, dass dann viele klassenkampf- und traditionsbewusste Anhänger die 230.000 Mitglieder zählende Partei tatsächlich fluchtartig verlassen hätten. Die Kurve Richtung Mitte, gar eine Annäherung an die Zentrumsliberalen um Francois Bayrou, die Royal schon im Präsidentschaftswahlkampf propagierte, hätten viele um keinen Preis mitgemacht. "Sozialdemokratie" etwa ist nach wie vor ein Schimpfwort aus klassischer PS-Sicht. Schon die Vorstellung einer sozialliberalen Allianz, Normalität in vielen europäischen Ländern, ist für viele französische Sozialisten, die der reinen Lehre anhängen, mit einem Denkverbot belegt.
Dass es am Ende anders kam und die PS-Mitglieder, wenn auch knapp, nach langem Hauen und Stechen, die Partei-Soldatin Martine Aubry statt Royal an die Spitze wählten, hat den Kampf im linken Lager um die Meinungsführerschaft aufs Neue entbrennen lassen. Aubry, die als Arbeitsministerin unter Jospin seinerzeit recht autoritär die 35-Stundenwoche verordnete, verortet die PS wieder links, will von Flirts in Richtung Mitte nichts wissen und beschwört statt dessen die Zeiten der "gauche plurielle". Das kann aber nicht vergessen machen, dass die 58-jährige Tochter des früheren EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors tatsächlich nur einer halben Partei vorsteht. Im monatelangen Machtkampf um die Nachfolge von Francois Hollande, der die auseinanderdriftenden Lager schon beim Referendum zur EU-Verfassung nicht zur Einhaltung der offiziellen Parteilinie zwingen konnte, hat sich die PS endgültig, vor aller Welt sichtbar, in zwei Blöcke gespalten. Aubry gibt vor, Brücken ins Royal-Lager hinein bauen zu wollen. Doch "Ségo" scheint wenig geneigt, diese auch betreten zu wollen. Der Riss mitten durch eine der größten Linksparteien Europas wird so schnell nicht zu flicken sein. Der politischen Kultur im Land kann das nur schaden, wenn die Opposition auf Dauer überwiegend mit sich selbst beschäftigt ist.