LUXEMBURG
Weil Henri von Luxemburg ein Gesetz zur Sterbehilfe ablehnt, will das Parlament die Verfassung ändern
Der Premierminister sparte nicht mit deutlichen Worten: Es gelte, eine "institutionelle Krise" abzuwenden, erklärte Jean-Claude Juncker in einer eiligst einberufenen Pressekonferenz. Der Großherzog dürfe sich "nicht gegen den Willen des gewählten Parlaments" stellen, warnte er.
Im Februar beschloss das luxemburgische Parlament ein Gesetz, das unter bestimmten Voraussetzungen die aktive Sterbehilfe erlaubt. So muss der Patient unheilbar krank sein und seinen Willen, vorzeitig aus dem Leben zu scheiden, mehrfach freiwillig und schriftlich geäußert haben. Vergleichbar weitreichende Regelungen gibt es in Belgien und in den Niederlanden. Bis zuletzt war unklar, ob sich in der "Chamber" eine Mehrheit für diese Regelung finden würde. Die Abstimmung fiel denn auch denkbar knapp aus: 30 Abgeordnete votierten in erster Lesung für das Euthanasie-Gesetz, 26 dagegen, drei enthielten sich. Diese Woche nun steht die zweite Lesung an. Doch dreht sich die Diskussion nun nicht mehr um den Inhalt des Gesetzes, sondern um dessen Zustandekommen. Henri von Luxemburg hat angekündigt, dass er das Gesetz "aus Gewissensgründen" nicht unterzeichnen wird. Diese Weigerung hätte zur Folge, dass das Gesetz nicht in Kraft tritt. Laut Verfassung steht dem Großherzog dieses Vetorecht zu, doch nie zuvor in der Geschichte des Landes kam es zur Anwendung. Nur einmal, im Jahr 1912, hatte Großherzogin Marie-Adelheid damit gedroht, ein Schulgesetz zu Fall zu bringen. Es blieb bei der Drohung. Dass sich der tiefgläubige Henri noch umstimmen lässt, ist nicht zu erwarten. Stattdessen herrscht parteiübergreifend Empörung über das Verhalten des Staatsoberhaupts. Der Chef der liberalen Demokratischen Partei, Claude Meisch, erklärte gegenüber dieser Zeitung, er sei "bestürzt und schockiert", dass Henri "die demokratischen Spielregeln außer Kraft setzen wolle". Auch der Grünen-Abgeordnete Jean Huss, der zu den Initiatoren des Gesetzes zählt, ist verärgert: Es sei demokratisch zustande gekommen, also müsse es auch seinen gewohnten Weg gehen.
Laut Artikel 34 der Verfassung Luxemburgs billigt und verkündet der Großherzog die Gesetze. Das hatte vor etlichen Jahren bereits eine Kommission der UN bemängelt, berichtet Meisch. Warum die Verfassung dann nicht geändert wurde? "Weil es einen Konsens gab, dass der Großherzog diese Veto nicht ausnutzt", kontert der Liberalen-Chef. Das bestätigt auch Alex Bodry, Chef der sozialistischen LSAP: "Seit 1848 gibt es diesen Artikel, ich hätte nie für möglich gehalten, dass ein Großherzog ihn einmal anwenden könnte." Von einem "Bruch" spricht Bodry, "nichts wird mehr so sein, wie es einmal war".
Jean-Claude Juncker erfuhr schon vor Monaten von Henris geplantem Veto. Das erklärte der Premier am vergangenen Dienstag, als er nicht weniger als eine Entmachtung des Großherzogs ankündigte. In einer Krisensitzung hatte sich der Premierminister mit allen Fraktionschefs darauf verständigt, den Artikel 34 zu ändern. Zwar sollen lediglich zwei Wörter gestrichen werden, doch die Folgen für das Staatsoberhaupt sind gravierend: Die vom Parlament beschlossenen Gesetze wird er künftig nur noch verkünden dürfen, das Vetorecht entfällt. Laut Juncker hat Henri die Verfassungsänderung selbst angeregt und zugesagt, seine Selbstentmachtung zu billigen. An dieser Darstellung hegt Paul Margue Zweifel. Der Luxemburger Historiker glaubt vielmehr, dass der Großherzog Opfer einer "unglücklichen politischen Konstellation" wurde: Junckers ChristlichSoziale Volkspartei bildet eine Koalition mit der LSAP. Während die CSV die aktive Sterbehilfe ablehnt, sind die Sozialisten dafür. "Der Premier wollte vor allem seine Regierung retten", mutmaßt Margue.
Die Beschneidung der Kompetenzen des Staatsoberhaupts soll nun umgehend auf den Weg gebracht werden, damit das Sterbe-Gesetz nach der zweiten Lesung ohne die dann nicht mehr notwendige Billigung des Monarchen in Kraft treten kann. "Ich bedaure zutiefst, dass wir zu diesem Schritt kommen mussten", erklärte Premierminister Juncker.