Klimaschutz
Nach Katastrophenszenarien werden nun die Chancen beschworen
Laut einer aktuellen Umfrage der Europäischen Union halten 62 Prozent der Europäer den Klimawandel für eines der größten Probleme, das die Welt derzeit beschäftigt. Das Optimistische: Die Mehrheit der 30.170 Befragten hält nichts von Weltuntergangsstimmung und apokalyptischen Szenarien.
Claudia Kemfert wird das Umfrageergebnis freuen. Die Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Berliner Humboldt-Universität und Beraterin des EU-Kommissionspräsidenten Barosso in Sachen Klimaschutz hält nichts von Resignation. "Innovation statt Depression", lautet die Hauptthese, mit der sie sich zu engagiertem Klimaschutz und ökonomischem Sachverstand in ihrem Buch "Die andere Klima-Zukunft" bekennt. Damit gehört Kemfert zu einer Reihe von Autoren, die einen neuen Trend in der Diskussion markieren: Die Zeiten des Ökofundamentalismus sind vorbei, Enthaltsamkeit und Askese können unseren Planeten nicht retten. Vielmehr sollen die Gesetze des Marktes wieder gerade rücken, was die Menscheit verschoben hat.
Kemfert plädiert für sachliche Argumente, mathematische Analysen und wissenschaftliche Befunde. Ihr Buch ist ebenso eine Absage an industrielle Lobbyinteressen wie auch an übersteigerten Aktionismus aus der Ökoecke. Wissenschaftliche Herangehensweise kann Erderwärmung und Energieverschwendung stoppen, dessen ist sich die Autorin sicher. Doch bevor Lösungen gefunden werden können, müssen die Probleme benannt werden: Die einschlägigen Befunde des Weltklimarates dürfen nicht klein geredet werden. Ja, die Erde erwärmt sich. Ja, der Mensch zerstört seinen Lebensraum. Ja, die erwarteten Folgen des Klimawandels werden mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten. Daran zweifelt Kemfert nicht und gerade weil dies so ist, sei die Chance besonders aus ökonomischer Perspektive groß.
Klimaschutz ist lukrativ, postuliert die Volkswirtin. Denn, das habe eine Gegenüberstellung der erwarteten Kosten des Klimawandels mit den Investitionen in Klimaschutz ergeben, verhalten sich Bürger, Politik und Wirtschaft passiv, wird es richtig teuer. Ist Klimaschutz folglich nicht mehr als das geringere Übel? Mit Nichten, glaubt Kemfert. Innovative Techniken, energiesparendes Leben und mutige politische Entscheidungen versprechen mittel- bis langfristig Profit. Die Professorin rechnet vor: "Ganz gleich, ob Baby oder Rentner - 70 Cent ist der Betrag, den uns die durchschnittlichen CO2-Emissionen pro Kopf in Deutschland kosten würden, wenn wir sie bezahlen müssten." Mit dem Preis von einer Kugel Eis am Tag können wir klimaneutral leben. Und es kommt noch besser, denn das Dämmen des Einfamilienhauses, die Fahrt mit dem Fahrrad oder dem Solarmobil sparen schnell so viel Geld ein, dass sich die Haushaltskasse bald freuen wird. Ein Mechanismus, der auch für Unternehmen den Klimaschutz profitabel erscheinen lässt.
Aber der Markt denkt nicht immer mittel- oder gar langfristig. Das weiß auch die Volkswirtin, darum sieht sie die Politik in der Pflicht. Der Handel mit Emissionsrechten müsse logisch aufgebaut sein, Zertifikate dürften nicht verschenkt werden. "Hören Sie auf, den Arbeitsplätzen von gestern nachzutrauern, investieren Sie lieber in die von morgen. Investieren Sie in Klimaschutz", ruft sie den Politikern zu. Damit geht die Forderung von strikten Gesetzen einher. Denn: Trotz ihrer launisch geschriebenen Ausführungen aus wirtschaftlicher Sicht traut Kemfert dem schrankenlosen Markt nicht alles zu. Der Rahmen muss gesetzt werden. Wenn es sein muss mit zunächst hohen Investitionen.
Geld, das für das ehemalige Greenpeace-Mitglied Bjorn Lomborg zum Fenster raus geschmissen ist. In seiner Streitschrift "Cool it!" geht auch er davon aus, dass der Klimawandel vom Mensch gemacht ist. Aber: Aufhalten lässt er sich sowieso nicht. Darum könne das Geld, das bisher für den Klimaschutz ausgegeben wurde, besser genutzt werden. Sein Rezept ist simpel, vielleicht zu einfach: Man nehme das Geld für den Klimaschutz und stecke es in die Bekämpfung von Hunger und Krankheiten. Ein positives Ergebnis sei schneller zu haben, die Lebensqualität würde weltweit steigen. Und das sei doch schließlich der Sinn allen Tuns.
Damit dieses Argument Früchte tragen kann, bedient sich Lomborg eines Tricks. Er relativiert die bisherigen Erkenntnisse in Sachen Klimawandel und tut sie als emotionale und übertriebene Behauptungen ab. Die Diskussion sei zu sehr von niedlichen Eisbären geprägt als von harten Fakten, so Lomborg. Aufgestellte Durchschnittswerte in Sachen globale Erwärmung seien nicht aussagekräftig, lautet etwa eine These. Die Folge der so geführten öffentlichen Diskussion ist für Lomborg ein falsches Problembewusstsein. So helfe eine CO2-Verringerung nicht den Eisbären, sinnvoller sei eine neue Abschussregelung in deren Lebensräumen.
Klimaschutz steht also zu Unrecht auf der gesellschaftlichen und politischen Agenda. Damit repräsentiert der Autor einen populärer werdenden Strang in der öffentlichen Debatte: Wenn die Fakten und daraus resultierende Folgen nicht stimmen, muss auch nichts getan werden, heißt es immer wieder. Das Problem an dieser Art der Argumentation liegt auf der Hand. Der gewollten Provokation folgt wenig Konstruktives, weil sie sich allen anderen Blickwinkeln verschließt. Da mag es noch so sympathisch wirken, dass Lomborg andere drängende Probleme der Menschheit in den Fokus rückt.
Eine sachliche und kenntnisreiche Auseinandersetzung mit dem Thema Klimawandel fordern auch Gabrielle Walker und David King in ihrem Buch "Ganz heiß". Erstaunlich, wie unterschiedlich Fakten betrachtet werden können. Besonders in Sachen Temperatur sind für Lomborg beispielsweise Durchschnittswerte wenig aussagekräftig. Für die beiden britischen Wissenschaftler Walker und King ist das Gegenteil der Fall: Gerade der Mittelwert sei es, der Schlüsse auf eine globale Erwärmung seriös zulasse, glauben Walker und King. Nur so könnten kurzfristige Wetterphänomene wie Hitze- oder Kältewellen im Gesamtkontext der globalen Temperatur vernünftig gewertet werden. Und, da sind sich die Autoren einig, die derzeitige Temperatur ist deutlich höher als im vergangenen Jahrhundert.
Macht ja nichts, behaupten Lomborg und andere. So etwas habe es in der Erdgeschichte immer wieder gegeben. Stimmt, sagen Walker und King, es gibt trotzdem ein großes Aber: Nicht immer habe es in der Geschichte menschliche Zivilisation auf dem heutigen Stand gegeben. Folglich sei die Bedrohung auch nie so groß gewesen. Die Wissenschaftler fügen hinzu, dass es eindeutig feststeht, dass CO2 die Erderwärmung vorantreibe. Erklärt wird das in ihrem Buch mit chemischen Prozessen, die in der Atmosphäre stattfinden. Verständlich verstehen es die beiden Autoren, den Stand der oft komplexen wissenschaftlichen Ergebnisse auf den Nenner zu bringen - sachlich und emotionslos. Kurz und prägnant decken sie unter anderem die größten Klimamythen, Halbwahrheiten und Missverständnisse auf. Im Mittelalter war es nämlich nicht wärmer als heute. "Heute haben wir höhere Temperaturen als seit mindestens tausend Jahren", belegen die Autoren. "Ganz heiß" ist damit ein sinnvoller Beitrag zur aktuellen Diskussion, der die wichtigsten Fakten aufzeigt, erklärt und mögliche Schlüsse daraus ableitet.
Schlüsse zieht auch Herausgeber Stephan Kosch. In "Zukunftsmarkt Klimaschutz" kommen Autoren mit verschiedenem Hintergrund zu Wort. Allen gemeinsam ist die Feststellung, dass mit Klimaschutz Geld verdient werden kann. Aufgegliedert wird etwa die Rolle der Finanzmärkte beim Thema Klimawandel oder mögliche Profiteure von Klimaschutzprojekten. Allerdings fehlt oft die Vernetzung mit dem großen Ganzen. Detailreiche Facetten aus dem Handel mit Emissionsrechten lassen praktische Anleitungen vermissen. Ein Buch, für den schon vorgebildeten Klimakenner ist es aber allemal. Immerhin erläutern Staatssekretäre, Bundestagsabgeordnete oder Vorstandsvorsitzende kompetent ihre Sicht der Dinge.
Vier Bücher, die den Stand der aktuellen Diskussion widerspiegeln. Alle haben eines gemeinsam: Sie sind launisch geschrieben und lassen klare Standpunkte nicht vermissen. Die Werke zeigen aber auch, wie verzwickt Argumente oftmals sein können. Gleiches Faktenmaterial lässt, unterschiedlich interpretiert, erstaunlich verschiedene Schlussfolgerungen zu.
Das ist allerdings nicht nur eine Besonderheit der aktuellen Publikationen, sondern vielmehr ein Dilemma. Dass der Klimawandel existiert, stellt kaum einer in Frage. Was daraus gemacht werden kann, ist jedoch weniger klar. Die Umfrage der Europäischen Union hat gezeigt, dass die meisten Befragten glauben, dass Bürger, Wirtschaft und Regierungen zu wenig tun, um das Problem zu bekämpfen. Anregungen, was man tun könnte, finden sich in der Literatur jedenfalls zu Hauf.
Cool it! Warum wir trotz Klimawandels einen kühlen Kopf bewahren sollten.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008; 271 S., 16,95 ¤
Die andere Klima-Zukunft. Innovation statt Depression.
Murmann Verlag, Hamburg 2008; 264 S., 19,90 ¤
Zukunftsmarkt Klimaschutz. Wie wir die Welt retten und dabei Geld verdienen können.
Parthas Verlag, Berlin 2008; 212 S., 19,80 ¤