Hitler-Stalin-Pakt
Eine Studie über die dunkelste Phase des internationalen Kommunismus
Es war damals die politische Sensation schlechthin: Die beiden Diktatoren Adolf Hitler und Josef Stalin unterzeichneten im August 1939 den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt. Die ideologischen Antipoden von einst vollzogen damit eine radikale Kehrtwende ihrer bisherigen Politik. Aus Todfeinden wurden scheinbar Freunde.
Gravierende Einschnitt haben meist ebensolche Folgen. Wie sich der unerwartete Kurswechsel in der sowjetischen Außenpolitik auf die Kommunistische Internationale, kurz Komintern, auswirkte, zeigt Bernhard Bayerlein in "Der Verräter, Stalin, bist Du!". Der renommierte Kenner des internationalen Kommunismus entlarvt anhand bisher in Deutschland unbekannter Dokumente die Strategie Stalins als "menschenverachtendes" Doppelspiel.
Einerseits steckten die beiden Diktatoren in einem geheimen Zusatzprotokoll ihre Interessensphären in Osteuropa ab, anderseits instrumentalisierte Stalin die kommunistischen Parteien und deren Führungskader für seine Ziele. Nicht grundlos reagierten jene auf den Vertragsabschluss mit Verwunderung, Empörung, ja sogar mit Entsetzen. Schließlich kam der bis dato vehement geführte Kampf gegen den Faschismus gleichsam über Nacht zum Erliegen. Jedwede Kritik gegenüber dem nationalsozialistischen Regime war fortan verpönt. Das war jedoch bei weitem nicht alles: Parteifreunde wurden verraten, "in die Hände der Gestapo übergeben" oder schlimmstenfalls liquidiert. Kurz gesagt: Was folgte, war eine Absage an Internationalismus, Interventionismus und die vielbeschworene Solidarität.
Wie die umfangreiche Quellenstudie zeigt, sollte sich die Komintern auch nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion von diesem Schock nie erholen. Und dass, obwohl sich die Stalinsche Politik erneut um 180 Grad drehte. Im Zuge des "Großen Vaterländischen Krieges" mobilisierte die Sowjetunion innerhalb der Komintern nochmals alle Kräfte gegen Hitler. Dankbar zeigte sich Stalin hingegen keineswegs, wohl als Zugeständnis an die Alliierten drängte er 1943 auf ihr Ende. Die kommunistischen Parteien waren in Stalins Augen, so die Quintessenz, nur Mittel zum Zweck.
Aus dem reichhaltigen Fundus bis vor kurzem noch streng geheimer und unzugänglicher Quellen aus deutschen, russischen und schweizerischen Archiven gelingt es dem am Zentrum für Europäische Sozialforschung der Universität Mannheim tätigen Bayerlein ein authentisches Bild der damaligen Geschehnisse zu entwerfen. Dieser mehr als 350 Seiten starke Teil erinnert mit seinem Konvolut an Gesprächsnotizen, Korrespondenzen, Tagebucheinträgen und dergleichen mehr an eine Collage, zumal die Dokumente am Seitenrand mit chronologischen Daten und mit einer Fülle an Bildmaterial angereichert werden. Zusätzliche Informationen erhält der Leser durch ergänzende Kommentare, eine Liste der Pseudonyme, Kryptonyme und Akronyme sowie durch ein umfassendes Personenregister.
Den Dokumenten sind einleitende Texte von Wolfgang Leonhard, Hermann Weber und Bernhard Bayerlein vorangestellt. Während der Osteuropaexperte und Publizist Leonhard der Frage nachgeht, wie sich der Pakt auf sein eigenes "Leben und Denken" und das anderer Zeitzeugen auswirkte, ordnen Weber, ein ausgewiesener Experte der westdeutschen Kommunismusforschung, und Bayerlein die Dokumente in den historischen Kontext ein und liefern zugleich Belege zu den außen- und kriegspolitischen Zielen Stalins.
Das im Aufbau-Verlag als vierter Band der Reihe "Archive des Kommunismus - Pfade des XX. Jahrhunderts"" publizierte Werk wendet sich in erster Linie an Historiker, weniger an den Laien. Zwar wird dieser ebenfalls erhellende und interessante Details zur Komintern und generell zum Zweiten Weltkrieg finden, doch handelt es sich um keine literarisch spannend geschriebene Geschichte, sondern um einen wissenschaftlichen Fachbeitrag.
"Der Verräter, Stalin, bist Du!" Vom Ende der linken Solidarität.
Aufbau-Verlag, Berlin 2008; 540 S., 29,95 ¤