untersuchungsausschuss
Wie sehr half der BND trotz deutscher Absage an den Irak-Krieg den US-Truppen?
Schon an die zwei Stunden löchern die Abgeordneten im Untersuchungsausschuss am 4. Dezember August Hanning, Innenstaatssekretär und zuvor BND-Präsident, mit Fragen nach jener ominösen Zeit im Umfeld des Irak-Kriegs im Frühjahr 2003: Was taten damals zwei Agenten während der Bagdader Bombennächte, was machte die Pullacher Zentrale mit deren Meldungen, welche aus diesen Nachrichten ausgewählten Informationen wurden über den in Katar stationierten BND-Verbindungsmann "Gardist" an das US-Hauptquartier weitergereicht? Da möchte Kristina Köhler (CDU/CSU) den Zeugen plötzlich "daran erinnern", dass dieses Thema, nämlich der sich im Herbst 2002 abzeichnende Feldzug gegen Saddam Hussein, damals "im Wahlkampf eine große Rolle gespielt hat". Seinerzeit schnappte Kanzler Gerhard Schröder der Union den Sieg knapp vor der Nase weg. Dieser Erfolg dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass SPD und Grüne einer deutschen Beteiligung an einem Krieg der USA gegen den Irak eine Absage erteilten. Offenbar fuchst es die Union immer noch, dass Schröder mit seinem Kurs an den Wahlurnen punktete, Berlin unter der Hand die USA indes vielleicht doch unterstützt haben könnte - nämlich durch die Übermittlung kriegswichtiger BND-Erkenntnissen aus Bagdad.
So entsteht bei der jüngsten Sitzung des Untersuchungsausschusses streckenweise fast der Eindruck, CDU und CSU schlügen sich auf die Seite der drei Oppositionsparteien. Jedenfalls bezweifelt Unions-Obfrau Köhler nach Hannings Vernehmung spitz, dass Schröders Aussage noch aufrechterhalten werden könne, die Bundesrepublik beteilige sich weder direkt noch indirekt am Irak-Krieg. Bei der rotgrünen Regierung "fielen Reden und Handeln auseinander", kritisiert der FDP-Abgeordnete Max Stadler, "das Nein war löchrig". Norman Paech von der Linkspartei konstatiert eine Hilfe für die USA "hinter dem Rücken der Öffentlichkeit". Allerdings sieht sich Köhler denn doch nicht im Lager von Liberalen, Linken und Grünen: "Die Union ist die einzige Fraktion, die vorurteilsfrei fragt, wir sind allein sachorientiert", sagt sie im Gespräch mit dieser Zeitung, "die SPD hingegen zielt bereits auf einen Freispruch der früheren Regierung, die Opposition ist schon auf eine Verurteilung festgelegt."
Im derzeit verhandelten Thema steckt viel parteipolitischer Zündstoff. Die BND-Aktivitäten während des Irak-Kriegs fallen aus dem Rahmen der bislang recherchierten Fragestellungen. Bisher hat das Gremium vor allem das Schicksal von Leuten recherchiert, die mit nicht unumstrittener Begründung oder gar ohne Anlass unter Terrorverdacht gerieten und Opfer rechtsstaatswidriger Praktiken wurden. Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz, ein in Bremen aufgewachsener Türke, und der von der CIA nach Afghanistan verschleppte Deutsch-Libanese Khaled El-Masri wurden prominent (zum Fall Kurnaz siehe auch Text unten rechts). Eher im Hintergrund blieben der immer noch in Damaskus einsitzende Mohammed Haydar Zammar, gegen den trotz seiner Kontakte zur Hamburger Terrorzelle hierzulande kein Haftbefehl erlassen werden konnte, und der in München lebende Ägypter Abdel Halim Khafagy, der in Bosnien von US-Soldaten misshandelt wurde, nachdem sein Begleiter irrtümlich unter Terrorverdacht geraten war. Es wird umstritten bleiben, ob und in welchem Maße die deutsche Regierung in diese Fälle involviert war. Für SPD-Obmann Michael Hartmann ist "der wahre Skandal bei den USA zu suchen", die rechtsstaatliche Grenzen überschritten hätten.
Politisch eine rein innerdeutsche Angelegenheit sind indes der BND-Einsatz in Bagdad und der damit verbundene Informationsaustausch mit der US-Armee. Angesichts der offiziellen Linie einer Nichtbeteiligung am Irak-Krieg beschreibt Hanning die Zusammenarbeit mit dem US-Hauptquartier als "Balanceakt". Der Ex-Chef in Pullach ordnet wie Hartmann diese Kooperation in die Erfordernisse jener Zeit ein. Trotz der deutschen Kritik am Irak-Krieg, in deren Gefolge die Beziehungen zu Washington für Hartmann damals "zerrüttet" waren, habe man mit dem wichtigsten Bündnispartner zusammenarbeiten wollen.
Hanning erinnert daran, dass den USA während des Kriegs Überflugrechte über deutsches Territorium gewährt wurden und die Bundeswehr Aufklärungsflüge über der Türkei durchführte. Wie diese Maßnahmen sei auch die Weitergabe von BND-Erkenntnissen aus Bagdad nach Katar "unterhalb der Kriegsschwelle" geblieben. Es sei klar gewesen, dass keine für konkrete Angriffsmaßnahmen nutzbare Meldungen zur US-Armee gelangen durften - so sagt es auch Ernst Uhrlau, seinerzeit Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt und heute BND-Chef.
Wie Hartmann zuvor schon am Rande der wochenlang meist geheimen Zeugenbefragungen unterstreicht an diesem Tag Hanning, dass die Agentenmeldungen aus Bagdad wie auch die von "Gardist" als eine Art Gegenleistung zu den BND-Informationen von der US-Armee eingeholten Nachrichten in erster Linie dazu dienten, für die hiesige Regierung ein militärisches Lagebild zu erstellen. Köhler fragt freilich bei einem Resumée der bisherigen Ausschuss-Recherchen kritisch: "Mir erscheint es nicht plausibel, dass Berlin zur Erstellung eines Lagebilds im Irak Daten über präzise Koordinaten einzelner militärischer Objekte benötigt haben soll." Allein in diesem Umstand sieht die CDU-Abgeordnete ein Indiz für die Absicht, den USA vielleicht eben doch mit militärisch bedeutsamen Erkenntnissen helfen zu wollen.
Was aber heißt eigentlich "kriegsrelevant"? Der Liberale Stadler sagt: "Der Streit um die Definition dieses Begriffs ist die Kernfrage." Hartmann bringt seine Sicht so auf den Punkt: Im Irak "wurde kein Schuss abgefeuert" und es "fiel keine Bombe" aufgrund deutscher Meldungen. In seinen Stellungnahmen insistiert SPD-Obmann Hartmann immer wieder, dass die dem US-Hauptquartier übermittelten BND-Erkenntnisse in keiner Weise der "taktisch-operativen Kriegführung" hätten dienen können, Pullach habe damals "in höchst korrekter Verantwortung gehandelt". Ganz in diesem Sinne argumentieren bei ihrem abermaligen Auftritt vor dem Ausschuss Hanning und Uhrlau. Es wird sich in der Tat kaum belegen lassen, dass einzelne US-Bombenabwürfe auf bestimmte BND-Meldungen zurückzuführen sind. Solche "Kausalitäten" ließen sich nicht nachweisen, sagt Hanning.
Die Opposition meint jedoch, für eine Kriegführung seien vielfältige Erkenntnisse bedeutsam, etwa auch über die Auswirkungen von Bombenangriffen oder über die Stimmungslage in der Bevölkerung. Stadler spricht von einer "mittelbaren Mitwirkung am Krieg", Linkspolitiker Norman Paech ortet einen "Dunst- und Graubereich zwischen unmittelbar und mittelbar".
Der seit langem schwelende Streit um die Definition der "Kriegsrelevanz" verleiht der Befragung Hannings und Uhrlaus an diesem Dezembertag fast den Charakter eines Uni-Seminars. Hanning wird unter Vorlage geheimer Papiere damit konfrontiert, dass Pullach nach Katar auch die Standorte irakischer Truppen und eines Offizierscasinos in Bagdad meldete. Hans-Christian Ströbele (Grüne) erwähnt zudem, dass die US-Armee auch über das Ausweichquartier des irakischen Geheimdiensts unterrichtet wurde. Wie steht es mit der "militärischen Relevanz" solcher Angaben? Hanning zieht sich darauf zurück, das könne er als Nichtexperte nicht beurteilen: Er habe die Auswahl der den USA zur Verfügung gestellten Informationen dem Leiter des Fachreferats überlassen. Grundsätzlich, räumt der Ex-BND-Chef ein, könnten viele Erkenntnisse militärisch genutzt werden. Er warnt jedoch davor, eine indirekte Kriegsbeteiligung in einem weiten Sinne zu definieren, dann komme man "in schwierige Gewässer".
Überrascht zeigen sich die Abgeordneten von Hannings Äußerungen zu den "non-targets", nicht anzugreifenden Zielen wie Botschaften, Schulen, Kliniken oder Hotels. Die "heikle" Übermittlung solcher von der US-Armee angeforderten Angaben habe er sich ausdrücklich vom damaligen Kanzleramtschef und heutigen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) genehmigen lassen. Aber was ist daran "heikel"? "Wenn Sie sagen, dieses Hotel darf nicht angegriffen werden, dann ist das keine gute Nachrichte für andere Hotels", erläutert Hanning. SPD-Obmann Hartmann hebt hervor, dass "non-targets" als zivil nützliche BND-Informationen eine wesentliche Rolle spielten. Paech und Ströbele erklären hingegen nach Auswertung der Akten, es seien nur wenige "non-targets" an die US-Armee übermittelt worden.
Ströbele sieht sich durch Uhrlau und Hanning in seiner Kritik bestätigt, dass die nur mündlich ergangene Weisung, keine militärisch bedeutsamen Erkenntnisse nach Katar zu schicken, im BND nicht kontrolliert worden sei. Max Stadler sagt es mit einem Sprichwort: "Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß."
Nun setzte die US-Armee den "Gardisten" geradezu unter Druck, Nachrichten aus Bagdad zu liefern. Das sei nicht erstaunlich, meinen die bislang öffentlich angehörten Zeugen, entscheidend sei jedoch, welche Meldungen Pullach letztlich übermittelt habe. "Offenkundig waren die BND-Informationen für das US-Hauptquartier wichtig, sonst hätte wohl kein solches Interesse daran bestanden", mutmaßt Unions-Obfrau Köhler. Leider könne man keine US-Zeugen vernehmen, "dieser Aspekt wird wohl ungeklärt bleiben".
Der entscheidende Showdown im Untersuchungsausschus wird vor Weihnachten steigen: Dann treten Steinmeier, mittlerweile in alter wie in neuer Rolle involviert, und der damalige Außenminister Joschka Fischer (Grüne) auf. Alle Fraktionen sehen sich für dieses Kräftemessen durch die bisherigen Recherchen bestens gewappnet. Steinmeier ist inzwischen nicht nur Außenminister, sondern auch SPD-Kanzlerkandidat. Ob der Auftritt der beiden weitere Klarheit bringen wird, darf bezweilfelt werden. Erst Recht mit Blick auf den Wahlkampf - 2002 lässt grüßen.
Christina Köhler sagt, dass sich Union und SPD auf eine gemeinsame Position im Abschlussbericht einigen werden, doch das werde ein "hartes Ringen." Stadler stellt schon mal in Aussicht, dass dem nicht eine einheitliche Stellungnahme der Opposition entgegenstehen werde, es würden wohl deren drei. Und dies nicht nur zum BND-Einsatz in Bagdad. Der Abschlussbericht dürfte dick werden.