Föderalismuskommission
Zwischen Erfolgsdruck und Scheitern
Die Lage ist unübersichtlich, der Chor der Stimmen klingt dissonant. "Wir dürfen die Föderalismuskommission nicht scheitern lassen, eine Reform ist nur mit der Großen Koalition machbar", erklärt die CDU-Bundestagsabgeordnete Antje Tillmann. Indes fügt die Obfrau der Union in dem Bund-Länder-Gremium an: "Ausschließen kann ich ein Scheitern nicht." Ebenfalls optimistisch präsentiert sich SPD-Obmann Volker Kröning: "Wir brauchen eine Schuldenregelung", dieses Projekt habe "durchaus eine Chance." Aber wird es tatsächlich eine Kreditbegrenzung für die öffentlichen Haushalte im Verbund mit Konsolidierungshilfen für arme Länder geben? Kröning: "Von uns ist dies entschlossen gewollt."
Volker Wissing hingegen sieht eine "hohe Wahrscheinlichkeit", dass die Kommission scheitert. "Von Anfang an war der Wurm drin", CDU-Ministerpräsident Günther Oettinger und SPD-Fraktionschef Peter Struck hätten als Vorsitzende die Suche nach einer Lösung "nicht mit Nachdruck betrieben", kritisiert der FDP-Parlamentarier: "Nun hört man beim Flurfunk im Bundestag", das Projekt habe sich mit der Finanzkrise ohnehin erledigt, was für Wissing eine "Ausrede" ist. Für Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ist angesichts des gewaltigen staatlichen Finanzbedarfs eine Schuldenbremse "jetzt kein Thema mehr". Der Abgeordnete Bodo Ramelow (Die Linke) fordert einen Neuanfang für die Föderalismusreform, wegen der Finanzkrise müssten die Pläne für eine Schuldenbegrenzung "vom Tisch, sie passen nicht mehr in die Zeit". Die Aussichten auf eine Einigung schätzt Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn, der eine Kreditbremse durchaus für notwendig hält, auf 50 Prozent.
Wegen des Dauerstreits um die Frage, wie rigide ein Verschuldungslimit gefasst werden soll, und um die Modalitäten der Hilfen für arme Länder wurden Terminpläne immer wieder verschoben. Und dann kam noch die Finanzkrise dazwischen, die Regierung hat das Ziel eines Etats ohne neue Kredite auf 2013 verschoben. Nun soll Anfang Februar in der Kommission der Durchbruch gelingen. Auf diesen Termin einigte man sich jetzt in kleiner Runde, die indes keine inhaltlichen Fortschritte erzielte, soweit bekannt wurde. Oettingers und Strucks Leitlinie für die heiße Phase: Die Etatpolitik des Bundes und der Länder müsse auf eine "nachhaltige und hinreichend flexible Grundlage" gestellt werden - was viel Interpretationsspielraum lässt. Das "Kernprojekt" einer "neuen Schuldenregel" müsse gerettet werden, mahnt der SPD-Fraktionschef. Freilich wird auch in Medienberichten über ein Scheitern der Kommission spekuliert. Tillmann wie Kröning meinen, den Skeptikern mangele es an Sachkenntnis im Detail. Die CDU-Politikerin: "Die Profis wissen es besser." Für die beiden Abgeordneten stellt die Finanzkrise mit ihrem enormen Geldbedarf die avisierte Reform nicht in Frage, sondern belegt eher deren Erfordernis. Kröning: "Eine passgenaue Schuldenbremse ist nötiger denn je."
Für "normale" Wirtschaftszeiten liegen drei Modelle auf dem Tisch, die als gesamtstaatliche Regelung Bund und Länder in die Pflicht nehmen. Die Union (wie die FDP) will für solche Phasen gar keine Kreditaufnahme zulassen, was Struck "unrealistisch" und "inakzeptabel" findet. Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) möchte Schulden bis zu 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung erlauben, das sind jährlich zwölf Milliarden Euro. Die SPD-Fraktion plädiert für eine Quote von 0,75 Prozent. Kröning: "Die SPD ist auf Steinbrücks Linie kompromissbereit." Laut Tillmann ist zwischen der Position der Union und des Ministers eine Einigung denkbar. Höhere Kreditaufnahmen sollen in allen Konzepten bei einer Rezession oder in Notfällen wie Naturkatastrophen möglich sein - oder eben bei einer Finanzkrise wie derzeit. Tillmann: "Der aktuelle Finanzbedarf ist einberechnet." Allerdings besteht die CDU-Abgeordnete darauf, die Rückzahlung solcher Kredite anschließend in "guten" Zeiten strikt vorzuschreiben. SPD-Obmann Kröning meint, eine solche Schuldenregulierung solle im Rahmen eines Konjunkturzyklus vonstatten gehen.
Wissing sieht in den Ideen von Union und SPD für eine Kreditbremse und Schuldentilgungen "nur leere Versprechen." Die Große Koalition habe bislang schon bei der Konsolidierungspolitik versagt. Die Finanzkrise offenbare, dass eine Reform mit einer echten Kreditbegrenzung eigentlich dringend geboten ist. Doch der Liberale fürchtet, die Finanzkrise könne als Vorwand herhalten, um ein Scheitern der Föderalismuskommission zu rechtfertigen. Bodo Ramelow von der Linksfraktion plädiert für eine Bundessteuerverwaltung, deren Einführung dem Staat Mehreinnahmen von elf Milliarden Euro bescheren würde.
Der Kieler CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen pocht auf eine Einigung in der Kommission. Saar-Finanzminister Peter Jacoby (CDU) mahnt, die Finanzmarktkrise dürfe nicht genutzt werden, um eine Lösung "auszuhebeln." Solche Vorstöße verwundern nicht: An die Durchsetzung einer gesamtstaatlichen Schuldenbremse sind jene Finanzspritzen gekoppelt, die armen Ländern helfen sollen, in einigen Jahren ohne neue Kredite auszukommen. Oettinger und Struck wollen zu diesem Zweck einen je zur Hälfte von Bund und reichen Ländern gesponserten Fonds mit jährlich 1,2 Milliarden Euro schaffen.
Doch über die Vorstellung, über den allgemeinen Finanzausgleich hinaus zusätzlich zur Kasse gebeten zu werden, sind wohlhabende Länder nicht erbaut. Peter Ramsauer, Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, betont, es dürfe nicht noch mehr bayerisches Geld an "Hungerleider-Länder" fließen. An der Saar empört sich der CDU-Fraktionsvorsitzende Jürgen Schreier über eine "beleidigende Äußerung", SPD-Oppositionsführer Heiko Maas über eine "Frechheit."