Kopfstudie
Wie ein junger Pakistaner zu einem mutmaßlichen Terroristen wird
Dass die großen Wandlungen eines Menschen von einem einzigen Moment jäh ausgelöst werden können, ist eine tiefenpsychologische Tragik. Zur Komplexität des menschlichen Denkens passt sie nicht weniger als zu seiner Unberechenbarkeit. Der 11. Septembers war ein solcher Augenblick. Während die einen misstrauischer wurden, sind die anderen in ihren Überzeugungen oft radikaler geworden, kompromissloser, bisweilen fundamental. Sich diesen Entwicklungen anzunehmen, hat literarischen Reiz. Der iim pakistanischen Lahore geborene und in London lebende Journalist Mohsin Hamid reflektiert sie in seinem Roman fulminant.
Protagonist ist der Pakistaner Changez, der einen Amerikaner in einem Café in Lahore anspricht und ihm in einem einzigen hervorsprudelnden Monolog seine Geschichte erzählt. Eine Geschichte, die davon handelt, wie aus einem aufstrebenden Jungakademiker ein mutmaßlicher Terrorist wurde. Sie nimmt ihren Anfang mit einem Stipendium für Princeton, wo Changez hervorragend abschließen und von einer einflussreichen New Yorker Unternehmensberatung rekrutiert werden wird. Er hat beruflichen Erfolg, verliebt sich in die zwar problembeladene, doch hinreißend-aufreizende Erica; er hat eine vermeintlich "bessere" Zukunft vor sich. Dass mit Hamids Hauptfigur zwangsläufig etwas geschieht, ist in einem Roman, der keine einfachen Erklärungen geben will, sondern als großes Gleichnis funktioniert, notwendigerweise zu erwarten. Man kann Changez' Veränderungen verlaufen sehen wie auf einem Aquarell, das Mohsin Hamid souverän entwirft.
Der Roman baut von Beginn an eine Opposition auf zwischen Sprecher und Angesprochenen: Die Skepsis des Amerikaners spiegelt sich unentwegt in den Beschwichtigungen des Pakistaners. Eventualitäten werden angedeutet und Ressentiments. Das Caféhaus, in dem das beiläufige Plaudern zur Lebensbeichte aufquillt, ist der Ort eines unterschwelligen "Kampfes der Kulturen". Die Vorsicht, das Nicht-Sicher-Sein-Können hat hier ebenso seinen Platz wie das langsame Ankommen im Extremen.
Hamids Roman gibt seine andeutende Haltung niemals auf; sie ließe sich mit der Kunst des Sfumato vergleichen, einer Malweise, bei der weiche, verschwimmende Hell-dunkel-Modellierungen in zarten Lasuren den Bildeindruck bestimmen. Was ist Einbildung, was unheilvolles Omen? Shangez setzt alles daran, die Situation zu entschärfen. "Der Fundamentalist, der keiner sein wollte" ist so sehr ein Roman des Abschweifens, des Entkräftens, dass daraus unversehens auch Gewissheit wird.
Shangez berichtet, wie ihn der Anblick der einstürzenden Zwillingstürme bemerkenswert berührt, dass er über das Unglück Amerikas "Genugtuung" empfindet. Hinzu kommt unwägbare Wut. Schließlich reist er zurück, bewegt sich in den Kreisen "Wohlmeinender", doch was genau er macht, bleibt fraglich, ohne dass deshalb der Roman jemals einen Schlag ins Gehaltlose bekommen würde.
In dem Erleben der beiden Welten gibt es keine Eindeutigkeit. So wie die westliche ist auch die östliche ein Bezugssystem des Romans. Kunstvoll kippt er von einem ins andere. So ist die Atmosphäre im pakistanischen Café von beunruhigender Schönheit. In ihr spiegelt sich das Gefühl der plötzlichen Möglichkeit.
Mohsin Hamids Kopfstudie ist ein Buch der feinen Übergänge. Das Sfumato kommt in vielen Gesprächsmomenten vor. Es ist allgegenwärtig, und es betrifft am Ende auch den offenen Ausgang. Die große literarische Kunst des Romans ist es, im Ungewissen zu verharren; es ist ein auf schöne Art undeutliches Buch.
Der Fundamentalist, der keiner sein wollte. Roman.
Hoffmann & Campe, Hamburg 2007; 190 S., 17,95 ¤