Europäische Einigung
Von Coudenhove-Kalergi über Monnet und Kohl bis Barroso
Seit Jahrzehnten wird am "Europäischen Haus" gebaut. Schon Konrad Adenauer verwendete in den 1950er- Jahren dieses anschauliche Bild, das später durch Michail Gorbatschow erneut prominente Verwendung fand. Inzwischen ist das europäische Gebäude sowohl von Anspruch wie Umfang erheblich angewachsen, allerdings drängt sich dem Betrachter gelegentlich der Eindruck auf, die Bauherren hätten den Bauplan zur Fertigstellung der Großbaustelle verlegt - oder seien zumindest untereinander heftig darüber zerstritten, ob und an welchen Stellen weiterzubauen sei.
Aus Anlass der Gründung der EWG vor 50 Jahren im Rahmen der Römischen Verträge legen nun zwei österreichische Historiker und Integrationsforscher eine Publikation über Erfolge, Probleme und Perspektiven der europäischen Einigung vor. Gegliedert in zehn Hauptkapitel unternehmen die Autoren Ley und Lohrmann in ihrem Essay einen "Streifzug durch die Geschichte" und leuchten dabei ausgewählte Stationen und Entwicklungen der Integrationsgeschichte aus.
Sie zeichnen die großen Linien der Geschichte des vereinten Europas nach und skizzieren seine zentralen Protagonisten, erfreulicherweise nicht erst beim unvermeid-lichen Winston Churchill beginnend, sondern mit Blick auf das ganze 20. Jahrhundert: Von Coudenhove-Kalergie, Jean Monnet und Robert Schuman bis zu Jacques Delors, Helmut Kohl und den heutigen Akteuren in der Europäischen Union. Deutlich zeigen Ley und Lohrmann bei solchen biografischen Würdigungen, wie stark einzelne Personen Politik machen und damit letztlich Geschichte gestalten, ebenso deutlich aber auch, dass für den Erfolg einer Idee auch der "kairos", der richtige Zeitpunkt, da sein muss. Kunst und Größe der politischen Akteure ist es, dann die "Gelegenheit beim Schopfe" zu ergreifen und anfänglich oft vage Visionen zu wohlgestalteter Wirklichkeit werden zu lassen.
Indem die Autoren eine "ungeschminkte Geschichte" Europas präsentieren, ermöglicht dies einen Blick auf das markante Profil der Union. Dieses lebendige und lebenserfahrene Gesicht Europas hat im Lauf der Zeiten zweifellos etliche Falten bekommen, doch kann man in ihnen wie in den Seiten des Lebensbuchs lesen, verstehen und lernen.
Das Buch von Ley und Lohrmann ist keine chronologisch gegliederte Geschichte, sondern ein problemorientierter Aufriss. Er ist gestützt auf Quellenbände und verschiedene anspruchsvolle Sekundärliteratur, häufig aber auch lediglich Artikel und Positionen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel", zitierend und paraphrasierend. Das hinterlässt dann doch einen etwas schalen Beigeschmack. Die einzelnen Kapitel sind überwiegend flüssig und anschaulich geschrieben. Teilweise ist der Essay eine spannende Schilderung von Entscheidungen, so dass man glaubt, mitten bei den entscheidenden Verhandlungen als Zeuge dabei zu sein, teilweise jedoch eine überflüssige Aufblähung allgemein bekannter historischer Ereignisse. In einem für ein vorwiegend deutsches Publikum veröffentlichten Buch muss man nicht unbedingt die bekannten Details der deutschen Einheit schildern: Wichtiger wäre es da gewesen, ausführlicher auf die "stille Erweiterung" der EU 1990 durch die deutsche Einheit und ihre europäischen Konsequenzen einzugehen.
Die ultimative EU-Geschichte ist somit noch immer nicht geschrieben. Aber mit ihrem oft unorthodoxen Blick auf das Projekt Europa, auf die Zukunft des EU-Verfassungsvertrags, die Ausbildung einer europäischen Identität sowie die EU-Außenbeziehungen geben die Autoren wichtige Impulse zur künftigen Entwicklung der europäischen Einigung.
Michael Ley/ Klaus Lohrmann:
Projekt Europa. Erfolge, Irrtümer, Perspektiven
Patmos Verlag, Düsseldorf 2007; 279 S., 24,90 ¤