Finnland
Neue Koalitionsspiele nach Parlamentswahlen - aus Mitte-Links wird wohl Mitte-Rechts
Das war knapp: Gewissermaßen mit hängender Zunge hat der 51-jährige Vorsitzende der Zent-rumspartei Matti Vanhanen gerade noch den 35-jährigen Chef der Nationalen Koalition Jyrki Katainen im Endspurt um das Amt des finnischen Ministerpräsidenten abfangen können. Seine Zentrumspartei ist zwar erneut stärkste Kraft im Parlament geworden, musste aber Verluste hinnehmen. Dem populären Regierungschef ist allem Anschein nach auch der bisherige Koalitionspartner abhanden gekommen - denn die Sozialdemokraten sind aus den Parlamentswahlen am 18. März als drittstärkste Partei hervorgegangen.
Möglicherweise hat sich Vanhanen zu sehr auf eine Prog-nose verlassen, nach der 40 Prozent der Wähler ihn als Regierungschef behalten wollten, während die noch wenig bekannten neuen Vorsitzenden der beiden anderen großen Parteien - der farblose Sozialdemokrat Eero Heinäluoma und der junge Konservative Katainen - zusammen weniger Prozente bekamen. Vanhanen vertraute offensichtlich auch zu sehr auf den Bonus, den er sich im zweiten Halbjahr 2006 als EU-Ratspräsident erwarb. Im Vergleich zu seinem temperamentvollen sozialdemokratischen Außenminister Erkki Tuomioja, der bei der Vertretung gesamteuropäischer Interessen anfangs Fehler machte, schnitt der besonnene, wenig eloquente Regierungschef in der Beurteilung der Bevölkerung besser ab. So kam es, dass die Sozialdemokraten, die vor vier Jahren mit einem denkbar knappen Abstand von nur 0,2 Prozentpunkten hinter dem Zentrum gelandet waren, nur noch 45 der 200 Parlamentssitze (bisher 53) bekamen. Der Anteil des Zentrums sank aber nur von 55 auf 51 Mandate.
Das war der übliche Preis fürs Regieren. Schließlich konnte auch die Mitte-links-Regierung trotz des mit 5,5 Prozent höchsten Wirtschaftswachstums in der Euro-Zone die schwierigen Probleme auf sozialpolitischem Gebiet (Arbeitslosigkeit von 7,4 Prozent, Einführung von Rente ab 68. Lebensjahr, hohe Steuern für Rentner) nicht lösen. Wie in anderen Ländern profitierte davon die größte Oppositionspartei. Die gemäßigten Konservativen schafften einen Sprung von 40 auf 50 Sitze. Ihr früherer Vorsitzender Sauli Niinistö (58) stellte mit 60.498 Stimmen sogar einen neuen Landesrekord auf; der Zweitbeste brachte es nur auf 24.037 Stimmen.
Der international anerkannte Wirtschaftsfachmann, der in einer vorangegangenen Regierung als Finanzminister den Haushalt sanierte, kandidierte im Januar 2006 für das Amt des Staatspräsidenten. In der Stichwahl gegen die sozialdemokratische Amtsinhaberin Tarja Halonen unterlag er nur knapp. Seine Stammwähler wollten durch die Konzentration ihrer Stimmen auf ihn zeigen, dass sie ihn nach wie vor für hoch qualifiziert halten und eine erneute Kandidatur im Jahr 2012 für das höchste Staatsamt begrüßen würden. Die Grundlage dafür könnte er schaffen, wenn er in der nun zu erwartenden Koalition mit dem Zentrum das Außenministerium übernehmen würde.
Bisher war das Außenministerium in der Hand der Sozialdemokraten. Der gegenwärtige Außenminister Erkki Tuomioja übernahm es zur Jahrtausendwende, als die frühere Amtschefin Tarja Halonen erstmals zur Präsidentin gewählt wurde. Wenn ihre zweite Amtszeit 2012 abläuft, kann sie nicht noch einmal kandidieren. Ein erfolgreicher Außenminister Niinistö, der aus der Sicht der bürgerlichen Parteien andere Akzente setzen würde, hätte dann ein Jahr Zeit, den zweiten Anlauf ins höchste Staatsamt zu starten.
Im Gegensatz zu anderen Ländern gelten in Finnland im Prinzip alle im Parlament vertretenen Parteien als koalitionsfähig. Natürlich gibt es im parlamentarischen Alltag auch harte Konfrontationen zwischen den Parteien. Beim Endspurt des Wahlkampfes wurde während einer stundenlangen Diskussion mit den Parteivorsitzenden allerdings zwischen dem linken und rechten Spektrum etwas demonstriert, was in Mitteleuropa selten ist. Die Politiker drängten sich mit ihren Statements nicht vor, unterbrachen die Andersdenkenden nicht, gingen fair miteinander um. Diese politische Kultur hat vielleicht auch etwas damit zu tun, dass in Finnland noch nie eine Partei die absolute Mehrheit der Stimmen erreichte. Das Fehlen einer 5-Prozent-Hürde ermöglicht es zudem Individualisten, in einem Wahlkreis mit großer Mehrheit ein Mandat zu bekommen, ohne auf Landesebene auch nur ein Prozent der Stimmen zu erreichen. Deshalb ist es für die Finnen selbstverständlich, dass von den drei großen Parteien Zentrum, Konservative und Sozialdemokraten, die stets nur Stimmenanteile zwischen 20 und knapp 25 Prozent erreichen, zwei in einer Regierung zusammenarbeiten und die dritte dafür sorgt, dass die Opposition nicht zu schwach ist. Als mittlere Parteien gelten die Linkspartei und die Grünen.
Für die bevorstehende Regierungsbildung ergibt sich folgende Rechnung: Zentrum und Konservative als neue zweite Kraft haben zusammen nur 101 von 200 Sitzen. Das reicht natürlich für eine stabile Mehrheit nicht aus. Würden sie die Grünen an der Regierung beteiligen, käme die Koalition auf eine satte Mehrheit von 116 Mandaten. Im Blick auf den geplanten Bau eines sechsten Atomkraftwerks dürften die Grünen aber daran nicht interessiert sein. Nahe liegender ist, dass die Volkstumspartei der schwedischsprachigen Bevölkerungsminderheit mit von der Partie ist. Insgesamt 110 Sitze sind dem Zentrumsvorsitzenden Vanhanen aber immer noch nicht genug. In der Wahlnacht sprach er von der Notwendigkeit, sich auf 115 bis 120 Abgeordnete zu stützen.
Es kann deshalb sein, dass die Christlichen Demokraten, die ihre sieben Mandate halten konnten, die Mehrheit verbreitern werden. Im Wahlkampf hatte deren Vorsitzende Päivi Maria Räsänen (47) unter anderem ein Familienministerium nach deutschem Vorbild gefordert. Frau Räsänen wird gelegentlich als finnische Ursula von der Leyen bezeichnet. Der Vergleich bietet sich an: Sie ist Ärztin und Mutter von fünf Kindern.