FUSSBALLKRAWALLE
Der BFC Dynamo - ein Beispiel dafür, wie Rechtsradikale in Ostclubs Gewalt säen und Macht ernten
Mario Weinkauf lockert seine Krawatte und blickt hinaus auf die Plattenbauten von Hohenschönhausen, im tiefsten Osten von Berlin gelegen. Seit fast drei Jahren ist er Präsident des BFC Dynamo. Ob er das Amt noch einmal antreten würde? Mit Ja oder Nein möchte er nicht antworten, stattdessen erzählt er eine Geschichte: Vor nicht allzu langer Zeit wurde er zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Er hatte einen Plausch erwartet über die Niederungen des Fußballs. Wie ein Verbrecher stand er dann am Pranger. Irgendwann kam ein Mann auf ihn zu und bot ihm 50.000 Euro an. Seine Bedingung: Weinkauf müsse den BFC sterben lassen. In diesem Moment wurde ihm mehr denn je bewusst, was es bedeutet, an der Spitze dieses Vereins zu stehen. Mario Weinkauf hat die Gewaltdebatte der vergangenen Monate genau verfolgt; die rassistischen Schmähungen gegen den Schalker Stürmer Gerald Asamoah in Rostock oder gegen den Leipziger Abwehrspieler Adebowale Ogungbure in Halle; die Randale in Berlin, Leipzig oder Zwickau, bei denen es mehr als 80 Verletzte gegeben hatte; und zuletzt die Drohungen von Dresdner Fans gegen ihre eigenen Spieler. Ein Thema wurde dabei besonders oft diskutiert: Die Unterwanderung von Fanszenen - vor allem im Osten. Mario Weinkauf nickt zustimmend, er muss nicht nur Lösungen für die herkömmlichen Probleme finden, die Schulden und die unprofessionellen Strukturen. Er muss auch gegen einen Hass kämpfen, der historisch gewachsen ist.
In der Öffentlichkeit wird der BFC Dynamo als klaffende Wunde des deutschen Fußballs beschrieben. Als der gefallene Rekordmeister der DDR, der einst von Stasi-Chef Erich Mielke verhätschelt wurde - und der nun in der viertklassigen Oberliga die braune Hochburg der Hooligans stellt. Es ist nicht so, dass alle Fanszenen im Osten von rechtsextremen und gewaltbereiten Anhängern dominiert werden, doch in vielen Amateurvereinen haben diese inzwischen erheblich an Einfluss gewonnen. Der BFC steht symbolisch für dieses Phänomen. Der klassische Hooliganismus, der in den 80er-Jahren aus England nach Deutschland herübergeschwappt war und der bis Mitte der Neunziger in den Profiligen tobte, wurde durch Sicherheitsstandards und soziale Fanarbeit aus den modernen Arenen verdrängt - in die Tiefebene des Fußballs. Wie Zirkusartisten auf dem Hochseil balancieren Traditionsvereine wie Dynamo Dresden, Lok Leipzig oder der BFC Dynamo seit der Wiedervereinigung am Abgrund entlang. "Viele heben mahnend den Finger. Aber wie sollen wir die Probleme ohne Hilfe lösen?", fragt Mario Weinkauf, 45, von Beruf Regionalleiter eines Telekommunikations-Unternehmens. Wegen des Studiums war er mit 18 aus Rostock nach Berlin gezogen. Vor elf Jahren meldete er seinen Sohn in der Jugendabteilung des BFC an. Irgendwann engagierte er sich im Elternsport, der Klub wuchs ihm ans Herz, er wollte ihn gesellschaftsfähig machen. Inzwischen wird er als Chef der Nazi-Kolonne beschimpft, seinen Kindern geht es nicht anders: "Auf die Dauer ist das nicht durchzustehen." Die Gewalt ist ein Erbe der DDR. Als die Berliner 1988 ihren letzten der zehn Meistertitel gewannen, feierten mit ihnen nur noch 6.000 Fans.
Es war eine Zeit angebrochen, in der sich die Hartgesottenen solidarisierten - und später radikalisierten. Die BFC-Fans sonnten sich in der Nische der Ungewollten. Als ihr Feinbild bezeichneten sie jene "Spießer", die zum Parteitag die DDR-Flagge schwenkten, aber im Stadion der Staatsmacht den Finger zeigten. Schon in den Achtzigern führte das zu Ausschreitungen. Im November 1989 überfielen 500 Berliner in Jena eine Tankstelle, sie lieferten sich Kämpfe mit der Polizei. Später überfielen jugendliche BFC-Fans ein Asylbewerberheim in Greifswald. Auch am 3. November 1990, beim Spiel gegen Sachsen Leipzig, kam es zu schweren Krawallen. Polizisten zogen ihre Waffen - und erschossen den 18 Jahre alten BFC-Fan Mike Polley. Nach der Wende war der einst priviligierte Serienmeister der DDR dem neuen Deutschland ebenso wenig gewachsen wie Dynamo Dresden oder der 1. FC Magdeburg.
Die Verantwortlichen hofften auf das schnelle Geld - und sie bekamen es. Umgerechnet sieben Millionen Euro kassierten sie für die Transfers ehemaliger BFC-Spieler wie Andreas Thom oder Thomas Doll. Ein Großteil des Geldes landete auf dubiosen Konten. Gehälter wurden verspätet oder gar nicht gezahlt. Sportlich stürzte der BFC bis in die fünftklassige Verbandsliga, Dresden bis in die Oberliga, Lok Leipzig musste sich nach zwei Insolvenzen sogar in der elften Liga neu gründen. Im Schatten des Niedergangs bildeten sich düstere "Abenteuerspielplätze". Die Polizei war überfordert, auch die Klubführungen hatten andere Sorgen als gewaltbereite Fans. Das Image des Störenfrieds wurde von vielen BFC-Anhängern kultiviert. Die meisten bekannten sich zur rechtsradikalen Szene. Zwielichtige Figuren ließen sich in den Vorstand wählen. Flaggen mit Hakenkreuzen und Reichskriegssymbolen wurden in Fankreisen gefunden. Einmal wurde von der Polizei eine Party gesprengt, es wurde der "Tag der Germanen" gefeiert. Die Vermarktungsrechte des Vereinswappens sicherten sich Mitglieder der berüchtigten Rockerbande Hell's Angels. Mario Weinkauf schloss mehrfach die Augen und nahm das Geld an. Ähnlich handelten seine Kollegen in Leipzig oder Chemnitz. Blieb ihnen etwas anderes übrig? Jene Anhänger, die den Vereinen mit ihrer politischen Gesinnung und ihrer Gewaltbereitschaft immer wieder Schaden zufügen, haben sie mit Spenden am Leben erhalten. Dadurch ist ihre Macht gewachsen. Wohin das führen kann, zeigte sich in Dresden vor wenigen Wochen: Vermummte Anhänger drohten ihren erfolglosen Spielern mit Prügel. "Auch beim BFC wollte ich diese Leute nicht mehr", sagt Mario Weinkauf und verharmlost das Problem. "Aber dem Verein ging es so schlecht, dass er auf die Zuwendungen angewiesen war." Im Stadtderby gegen den Rivalen 1. FC Union Berlin im Mai 2006 stürmten Anhänger des BFC das Spielfeld des heimischen Sportforums, die Partie musste abgebrochen werden. Sponsoren zogen sich zurück, seitdem klafft im Etat eine sechsstellige Lücke.
Ob es einen Ausweg gibt? "Wenn der BFC sich noch deutlicher von den Problemfans abwenden würde, kämen zwei Drittel weniger Zuschauer", vermutet Ralf Busch, der Leiter des sozialpräventiven Fanprojekts in Berlin, das sich um die Gefolgschaften der großen Hauptstadtvereine kümmert, vor allem um die jungen Fans.
Mario Weinkauf hat Gegenwehr aus den eigenen Reihen gespürt. Er weiß, wie ängstlich Sponsoren auf Ausschläge nach unten reagieren. Die Berliner Medien schreiben kaum über die hervorragende Nachwuchsarbeit des BFC, Weinkauf klagt mit leeren Augen: "Sie sehen, was sie sehen wollen." Nicht nur ihm fällt es schwer, diese verfestigten Strukturen aufzubrechen. Manchmal sind die Klubfunktionäre wegen ihrer Vergangenheit selbst ein Teil des Problems: Rainer Lüdtke, Fanbeauftragter des BFC, war früher Hooligan. Peter Meyer, mächtiges Vorstandsmitglied, wurde für einen Platzsturm in Babelsberg 2004 angeklagt, aber freigesprochen. Und auch Steffen Kubald, Präsident von Lok Leipzig, bekennt sich zu seinem ersten Leben als Hooligan. Manche Anhänger sehen darin ein Alibi für ihre Aggressionen.
Dieses fragile Gebilde machen sich rechte Kräfte zu Nutzen. Michael Kühnen, einst Anführer der deutschen Neonazibewegung, hatte bereits in den 80er-Jahren ein System aufgebaut, um Fanszenen zu unterwandern. Er ließ Flugblätter in den Stadien verteilen. Diese Methoden nutzen NPD, DVV und freie Kameradschaften noch immer, vor allem in den neuen Bundesländern. Rund 60 Prozent der Ostdeutschen sollen laut einer Studie des Bielefelder Konflikt- und Gewaltforschers Wilhelm Heitmeyer fremdenfeindlich eingestellt sein.
Die Zahl der rechtsextrem motivierten Gewaltdelikte ist im Osten drei Mal so hoch wie im Westen. Die Regionen, die von den demokratischen Parteien vernachlässigt werden, besetzen die Rechten. "Sie schaffen sich eine eigene Infrastruktur", sagt Martin Gerster, Sportausschuss-Mitglied im Bundestag und Sprecher der SPD-Arbeitsgruppe Rechtsextremismus. Jugendzentren oder Seniorengruppen werden geschlossen, rechte Gruppen stoßen in das Vakuum. Sie geben Nachhilfe und helfen bei der Gartenarbeit. In manchen Kleinstädten werden selbst freiwillige Feuerwehr und Arbeiterwohlfahrt von Neonazis beherrscht. "Auch den Fußball benutzen sie als Köder, um Mitglieder zu gewinnen", sagt Gerster. Im Gegensatz zu den 80er- und 90er-Jahren ist die Unterwanderung weniger deutlich vernehmbar. Neonazis treten weniger martialisch auf, ohne Reichskriegsflaggen und Springerstiefel. "Sie gehen subtiler vor", sagt der Soziologe Gerd Dembowski. "Sie arbeiten mit Codierungen und Symbolen." Jugendliche, die ohne Perspektive sind und oftmals aus einem gestörten Elternhaus stammen, sehnen sich nach einer Gemeinschaft. Ihre Parolen, die sie am Mittagstisch unterdrücken, fallen in den Fanmassen weniger auf. Sie können schnell auf neutrale Zuschauer überspringen. Deshalb bezeichnet Dembowski den Fußball nicht als Spiegelbild, sondern als Brennglas der Gesellschaft, unter dem Rassismus, Antisemitismus oder Homophobie an Schärfe gewinnen können. Deutlich wird das auch beim BFC Dynamo. Kameradschaften haben hier schon Schlägertrupps für ihre Ziele gefunden.
Matthias Gärtner erforscht den Rechtsextremismus seit dem Jahr 1990. Er hat am Bodensatz des Fußballs erschreckende Bilder gesehen. So könne passieren, dass sich eine Kreisliga-Mannschaft mit dem Hitlergruß einstimmt, ein Freizeitteam den Namen Jungsturm Löbau/Zittau trage oder ein Amateurtorwart mit der Rückennummer 88 auflaufe, in Anlehnung an die Buchstaben HH, "Heil Hitler".
"Manchmal sind das jene Personen, die später bei Nazi-Demonstrationen gesichtet werden", erzählt Gärtner. Dass die Wurzeln des Problems beseitigt werden können, ist zweifelhaft. Strenge Sicherheitskontrollen sind in den unteren Ligen Utopie. Auch die Fanprojekte wurde Jahre lang vernachlässigt, weil die Politik die Unterstützung verwehrte. In Leipzig musste sich ein Sozialarbeiter lange um die rivalisierenden Gruppen des FC Sachsen und von Lok kümmern. Die Ordner sind oftmals Teil der Unterwanderung. Aus Kostengründen müssen die Klubs auf private Sicherheitsdienste zurückgreifen. Ein szenekundiger Polizeibeamter schildert seine Erfahrungen: "Gerade im Osten rekrutieren sich Ordner aus der Türsteher- und Rotlichtszene. Die provozieren eher, als dass sie schützen." Der BFC suchte einige seiner Ordner in einem Boxklub.
Mario Weinkauf zweifelt, ob die Gewalt überhaupt einzudämmen ist. Der Präsident des BFC hat beruflich vieles erreicht. Er dachte immer, er könne Leute motivieren und zu Höchstleistungen antreiben. Zumindest in seinem Job in der Wirtschaft. Aber im Fußball? "Das ist ein ganz anderes Feld." Er will sich zurückziehen und nur noch repräsentative Aufgaben für den Verein übernehmen. "Vielleicht war ich ein bisschen blauäugig." Er ist gescheitert, zugeben möchte er das nicht.