50 JAHRE RÖMISCHE VERTRÄGE
Berliner Erklärung soll Europa neuen Schwung geben
G eschichte schreiben ist eine Art, sich das Vergangene vom Halse zu schaffen", hat einst ein großer "europäischer Geist" behauptet: Johann Wolfgang von Goethe. Seinen 175. Todestag rief Bundestagspräsident Norbert Lammert den Abgeordneten zu Beginn der Sitzung am 22. März ins Gedächtnis.
Einer Sitzung, die zeigte, dass Europa seine Geschichte neu geschrieben hat. Denn die Römischen Verträge von 1957 waren Ausgangspunkt einer Erfolgsstory, die Europas schwierige Vergangenheit und die Leiden des Krieges zwar nicht vergessen machen kann, aber dem Kontinent eine nie gekannte Phase von Sicherheit, Frieden und Stabilität brachte. Mit ihrer Unterzeichnung am 25. März 1957 wurden die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) ins Leben gerufen, die als Gründungsdokumente der Europäischen Union gelten. "Vieles, was 1957 wie eine Utopie klang, ist heute in weiten Teilen politische Realität", betonte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und fügte hinzu: "Europa 1957, das war ein geteilter Kontinent. Heute, 50 Jahre später, ist diese Teilung überwunden." Einigkeit herrschte in allen Fraktionen darüber, dass die Europäische Union ein Glücksfall für Europa gewesen ist - ganz entsprechend dem Tenor der am 25. März in Berlin unterzeichneten Berliner Erklärung. "Wenn es Europa nicht gäbe, dann müssten wir es dringend erfinden. Auch dann, wenn Europa nicht mehr als 50 Jahre Frieden bei uns gebracht hätte, hätte es sich schon gelohnt", sagte der FDP-Fraktionsvorsitzende Guido Westerwelle. Auf die besondere Verantwortung Deutschlands, dem nach der Wiedervereinigung größten Land der Gemeinschaft, verwies Andreas Schockenhoff (CDU/CSU). Er rief die besonderen Beziehungen zu Frankreich in Erinnerung: "Wann immer Deutschland und Frankreich sich nicht einig waren, lief nichts in der EU; wenn sie sich einig waren, kam Europa voran", sagte er.
Doch trotz der offenkundigen Erfolge hat die 50-jährige Jubilarin Europa mit großen Vorurteilen zu kämpfen. In einer im Herbst 2006 veröffentlichten Umfrage des Eurobarometers erklärten mit 42 Prozent weniger als die Hälfte der Deutschen, ein positives Bild von der EU zu haben. Für die Unzufriedenheit macht der Fraktionsvorsitzende der Linken, Gregor Gysi, eine unklare Zieldefinition der Gemeinschaft verantwortlich: Die Menschen wüssten nicht, ob die Union "ein Staatenbund oder ein Bundesstaat" werden solle. Zudem fehlten "eine Steuerharmonisierung, Mindestlöhne sowie soziale und juristische Mindeststandards". Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) warnte davor, Europa zum Sündenbock zu machen. "Wenn wir auf nationaler Ebene mal nicht weiter wissen, sagen einige: Daran ist Europa schuld...Wir sollten vielmehr sagen: Wir in Europa packen es gemeinsam an." Gleichzeitig rief sie dazu auf, "ein neues Kapitel" aufzuschlagen. Europa habe als "global player" die Aufgabe "anderen Staaten zu zeigen, dass Ökonomie und Ökologie zusammengehören". Drei Tage vor Unterzeichnung der Berliner Erklärung ging nach dem Lob auf das Erreichte auch Außenminister Frank Walter Steinmeier (SPD) nochmals auf die Vertrauenskrise der Union ein. Sie liege darin begründet, dass "die Menschen in den zurückliegenden zwei, drei Jahren das Gefühl hatten, Europa sei eher Teil des Problems als Teil der Lösung".
Inwieweit die am 25. März in Berlin verabschiedete Berliner Erklärung selbst Geschichte schreiben wird, muss sich noch zeigen. Das Papier, das offiziell bis zur letzten Minute unter Verschluss gehalten worden war, soll der Europäischen Union auch hinsichtlich des ins Stocken geratenen Verfassungsprozesses neuen Schwung geben. Im Vorfeld war von einigen Fraktionen kritisiert worden, dass die Erklärung ohne formale Beteiligung der Parlamentarier lediglich von den Regierungen ausgehandelt worden sei. Nach der Unterzeichnung der Erklärung im Berliner Schlüterbau wurde rund ums Regierungsviertel gefeiert - mit Konzerten, Ausstellungen und einem "Tag der Ein- und Ausbli-cke" im Bundestag. Norbert Lammert hatte schon vorher gefeiert - in Rom.
Bei einem Festakt am 23. März betonte er die Entwicklung der Union von einer Wirtschaftsgemeinschaft zu einer politischen Union. "Europa entsteht nur gemeinsam. Und: gemeinsam entsteht Europa", so Lammert. Gleichzeitig erinnerte er daran, dass ohne die beispiellose Erfolgsgeschichte der EU dieses Jubiläum gar nicht stattgefunden hätte - schon gar nicht in Berlin, das mehr als vier Jahrzehnte lang Symbol der Teilung Europas war. Und wer brächte die Feierlichkeiten wohl besser auf den Punkt als Goethe: "Tages Arbeit, abends Gäste! Saure Wochen, frohe Feste!