Dagmar Schipanski
Für die Präsidentin der Deutschen Krebshilfe ist die Gesetzesinitiative der Regierung nur ein erster Schritt.
Frau Schipanski, die Bundesregierung plant ein grundsätzliches Rauchverbot in allen Einrichtungen des Bundes, in öffentlichen Verkehrsmitteln und auf Bahnhöfen. Wie sehen Sie die Chancen für einen umfassenden Nichtraucherschutz?
Es ist richtig, dass der Bund jetzt endlich die Initiative ergreift. Allerdings müssen die Länder entsprechend nachziehen. Mich stimmt die Diskussion im Bundesrat, die kürzlich geführt worden ist, aber zuversichtlich. Ich hoffe, dass Bundestag und Bundesrat zu einer einheitlichen Regelung kommen werden.
Was erhoffen Sie sich von dem Bundesgesetz, das vermutlich am 1. September in Kraft treten wird?
Ich hoffe, dass Nichtraucher umfassend geschützt werden und dass dadurch auch die Zahl von Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückgeht.
Die Grünen verlangen, ein wirksames Rauchverbot im Arbeitschutzgesetz zu verankern. Bislang hat der Bund das abgelehnt. Wie sehen Sie den Vorstoß der Grünen?
Die Initiative der Grünen ist gerechtfertigt. Schließlich geht es um die Gesundheit der gesamten Bevölkerung. Ich bin für ein komplettes Rauchverbot nicht nur in Restaurants, sondern auch in Kneipen. Schließlich muss man auch an das Personal denken, das dort arbeitet.
Wie kommt es, dass die meisten Initiativen immer wieder im Sand verlaufen?
Viele Politiker rauchen selbst und wollen sich keine Schranken setzen. Für viele gehört die Zigarette zum Bier. Aber auch in Deutschland ist die Diskussion nun in Schwung gekommen. Seit zwei Jahren gibt es vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg eine wissenschaftliche Untersuchung zur Feinstaubbelastung. Derzeit sind 50 Mikrogramm Feinstaubkonzentration pro Kubikmeter die Höchstgrenze, die im Freien zugelassen ist. Liegt der Wert darüber, erlassen wir Fahrverbote und andere Regelungen.
Aber wenn man in einem geschlossenen Raum drei bis fünf Zigaretten abbrennt, führt das zu einer Feinstaubkonzentration von bis zu 1.000 Mikrogramm pro Kubikmeter. Allein aus diesem Grund hat sich für die Gesetzgeber der Handlungsdruck erhöht. Es ist außerdem nachgewiesen, dass bestimmte Stoffe im Tabakstaub wie etwa Benzole krebserzeugend sind.
In anderen Länder wie Frankreich und Italien gelten strikte gesetzliche Rauchverbote. Warum hinken wir so hinterher?
Die Deutschen sind in der Anwendung wissenschaftlicher Ergebnisse immer zögerlich. Nicht umsonst wird beklagt, dass es uns auch auf anderen Feldern nicht gelingt, wissenschaftliche Ergebnisse sofort in die Produktion einfließen zu lassen, sie also zu nutzen.
Beim Thema Rauchen betone ich aber zusätzlich: Die Gesundheit ist ein Gut der Bevölkerung und der Staat ist dafür zuständig, dass er dieses Gut schützt. Er muss endlich gesetzliche Maßnahmen erlassen.
Was könnten das für gesetzliche Maßnahmen sein?
Die Tabakwerbung ärgert mich wahnsinnig. Sie ist unverantwortlich. Es ist unglaublich, dass die verschiedenen Bundesregierungen noch nichts dagegen unternommen haben. Ich bin besonders oft auf Landstraßen und Autobahnen unterwegs. Ständig lacht mich da ein Cowboy oder ein besonders schönes Mädchen an. Die Werbung vermittelt das Gefühl, Raucher sind anders, sie sind lässig, sie sind toll. Doch in der Wirklichkeit landen die Menschen im Krankenhaus - Diagnose Krebs. Tabakwerbung muss komplett verboten werden.
Hat das Zögern des Gesetzgebers auch damit zu tun, dass der Einfluss der Tabak-lobby in Deutschland zu stark ist?
Dazu kann ich nichts sagen, weil mir keine Zahlen vorliegen. Es gibt allerdings eindeutige Zahlen aus den USA über den Einfluss der Tabaklobby.
Aber es gibt auch hier immer wieder Veranstaltungen des Verbandes der Zigarettenindustrie, wo sich Spitzenpolitiker recht jovial zum Thema Rauchen äußern...
Ich will weder den Verband der Zigarettenindustrie noch meine Kollegen kritisieren. Ich habe solche Veranstaltungen nicht besucht.
Viele Menschen, vor allem Frauen, greifen gerne zu angeblich leichteren Zigaretten, weil sie glauben, die seien weniger schädlich. Stimmt das?
Heute ist die Bezeichnung "light" verboten. Die selben Produkte haben jedoch andere Namen. Diese Zigaretten sind genauso gefährlich wie die nicht besonders gekennzeichneten Zigaretten. Auch in den angeblich leichteren Zigaretten sind mehr als 40 krebserregende Stoffe, die im Tabak enthalten sind.
Wie viele Menschen erkranken im Jahr an Krebs als Folge des Rauchens?
140.000 Menschen pro Jahr erkranken an Herz-Lungen-Krankheiten und verschiedenen Krebsarten wie Lungen- und Kehlkopfkrebs und Krebs des Rachenraums.
Kinder können sich am wenigsten dagegen wehren, wenn ihre Eltern rauchen. Wie wirkt es sich auf Kinder gesundheitlich und auch psychosozial aus, wenn sie in einer "Raucherfamilie" aufwachsen?
Die Auswirkungen sind groß. Die Kinder leiden an Konzentrationsstörungen und sind für Asthma und Erkältungskrankheiten sehr anfällig, weil ihr Gesamtzustand letztendlich geschädigt ist. Die Kinder haben kaum eine Chance, sich dagegen zu wehren. Die Deutsche Krebshilfe fördert den Wettbewerb "Be smart, don`t start".
Kürzlich war ich in einer Schulklasse und da erzählte ein Kind: "Ich sage meinen Eltern, dass ich Rauch nicht riechen kann und sie bitte raus gehen sollen." Um so etwas zu sagen, braucht man viel Mut. Die meisten Kinder werden sich kaum gegen ihre Eltern durchsetzen können. Wir unterstützen ganz intensiv, dass Schulklassen sich selbst verpflichten, nicht zu rauchen und so indirekt auch auf ihre Eltern einwirken.
Die Deutsche Krebshilfe versteht sich als Anwalt der Krebspatienten. Was sind die wichtigsten Anliegen und Fortschritte?
Wir sind sehr intensiv in der Prävention tätig. Außerdem wollen wir auch denjenigen helfen, die sich das Rauchen abgewöhnen wollen. Schon fünf Jahre nach einem konsequenten Rauchstopp haben sich fast alle körperlichen Schäden wieder zurückgebildet. Das Lungenkrebsrisiko ist nach zehn Jahren wieder auf dem Niveau eines Nichtrauchers. Außerdem erforschen wir die Zusammenhänge von Rauchen und Krebs und treiben intensiv Therapie- und Diagnosemöglichkeiten voran. Jeder zweite Krebspatient wird heute bereits geheilt. Bei Kindern sind es zwei von dreien. Für diese Maßnahmen brauchen wir allerdings Geld, viel Geld. Derzeit bekommen wir im Jahr rund 83 Millionen Euro.
Wie hoch ist der Schaden, den Rauchen der Volkswirtschaft insgesamt zufügt und wie setzen sich die Posten zusammen?
Der volkswirtschaftliche Schaden beträgt insgesamt etwa 40 Milliarden Euro pro Jahr. Denn Krebserkrankungen sind sehr teuer.
Sollten Raucher und andere Gruppen wie Extremsportler, Übergewichtige und Alkoholabhängige von den Krankenkassen stärker zur Kasse gebeten werden als Nichtraucher?
Ich bin für ein Anreizsystem und nicht für ein Bestrafungssystem. Man sollte die Prävention unterstützen, Sportmöglich- keiten anbieten sowie in Ernährungsfragen beraten.
In Amerika ist Rauchen gesellschaftlich nicht nur öffentlich verboten, Raucher werden auch stigmatisiert. Werden wir bald amerikanische Verhältnisse bekommen? Und ist das gut?
Ich wünsche mir für unser Zusammenleben in Deutschland, dass wir vor allem die gegenseitige Rücksichtnahme in den Vordergrund stellen. Und gegenseitige Rücksichtnahme heißt, nicht zu rauchen, wenn ich andere damit störe.
Das Interview führte Annette Rollmann