Die von den Grünen vorgeschlagene Wahlrechtsänderung noch vor der Bundestagswahl am 27. September ist unter Experten umstritten. Während sich in einer Anhörung des Innenausschusses am 4. Mai die Sachverständigen mehrheitlich für eine Änderung noch vor dem Wahltag aussprachen, warb Professor Heinrich Lang von der Universität Rostock für eine umfassende Wahlrechtsreform "mit ruhiger Hand".
Mit dem Grünen-Entwurf ( 16/11885) soll ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum sogenannten negativen Stimmgewicht (Az: 2 BvC 1/07, 2 BvC 707) umgesetzt werden. Dem Richterspruch zufolge verstößt das Bundeswahlgesetz punktuell gegen die Verfassung, weil ein Zuwachs an Zweitstimmen zu einem Verlust an Sitzen der Landeslisten oder ein Verlust an Zweitstimmen zu einem Zuwachs an Sitzen der Landeslisten führen könne. Dem Gesetzgeber räumten die Karlsruher Richter für eine Neuregelung eine Frist bis zum 30. Juni 2011 ein.
Lang verwies in der Anhörung darauf, dass auch das Verfassungsgericht vor übereilten Korrekturen gewarnt habe. Danach lasse sich der Effekt des negativen Stimmgewichts "nicht isoliert beheben", sondern erfordere grundlegende Vorarbeiten.
Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Ernst Gottfried Mahrenholz mahnte dagegen, ein Bundestag, der gleiches und unmittelbares Wahlrecht zu verwirklichen habe, müsse dies für jede Wahlperiode machen. Andernfalls stelle er sich über das Grundgesetz, argumentierte er und betonte, nach dem gegenwärtigen Wahlrecht dürfe nicht gewählt werden.