WAHLRECHT
Die Grünen wollen 16-Jährigen die Teilnahme an Bundestagswahlen ermöglichen
Neu ist die Diskussion über eine Absenkung des Wahlalters in Deutschland nicht, doch schien sie unlängst frischen Schwung zu bekommen: Immerhin war es der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, der zu Ostern ein Wahlalter von 16 Jahren ins Gespräch brachte. "Durchaus nachdenken" könne man darüber, regte er öffentlich an und argumentierte: "Eine Wahlentscheidung kann man auch bereits mit 16 Jahren treffen." Unterstützung fand Voßkuhle bei Franz Müntefering: "Das sollten wir machen", kommentierte der SPD-Chef den Vorschlag, schon 16-Jährige an die Wahlurne zu lassen. Am 6. Mai standen dazu zwei Gesetzentwürfe der Grünen-Fraktion ( 16/12344 und 16/12345) erstmals auf der Tagesordnung des Bundestages.
Danach soll das aktive Wahlrecht künftig bei Bundestags- und Europawahlen ab Vollendung des 16. Lebensjahres ausgeübt werden können. Dabei ist die kleinste Oppositionsfraktion erst vor einem halben Jahr im Parlament mit einem Antrag ( 16/6647) gescheitert, das aktive Wahlalter bei Bundestagswahlen auf 16 Jahre abzusenken. Dasselbe Schickal droht ihnen nun absehbar - ungeachtet der zwischenzeitlichen Einlassungen von Voßkuhle und Müntefering - erneut, wie die Reden zur ersten Lesung der beiden Gesetzentwürfe deutlich machen.
Dabei hält es der CSU-Abgeordnete Stephan Meyer zwar für das "gute parlamentarische Recht" der Grünen, den Inhalt ihres abgelehnten Antrages "noch einmal als Gesetzentwurf verpackt" einzubringen, doch am Nein seiner Fraktion zur Absenkung des Wahlalters hat sich deshalb nichts geändert. Für Meyer sprechen "die mit großem Abstand besten Argumente" für die Beibehaltung der bisherigen Altersgrenze. Es sei richtig, dass das Wahlalter bei den Bundestags- und Europawahlen im Einklang mit der Altersgrenze für die zivilrechtliche Volljährigkeit stehe, ab der die volle Geschäftsfähigkeit gelte. Ist es da konsequent, fragt Meyer, beim Wahlrecht "einen weniger strengen Maßstab an die erforderliche persönliche Reife anzulegen als für einen völlig unspektakulären Kaufvertrag zum Beispiel über ein gebrauchtes Fahrrad".
Auch für den SPD-Parlamentarier Klaus Uwe Benneter passt es nicht zusammen, dass ein Jugendlicher mit 16 Jahren ein Fahrrad nur mit Genehmigung seiner Eltern kaufen kann, aber andererseits an der Bundestagswahl teilnehmen können soll. Benneter nennt weitere Beispiele, den Wehrdienst etwa, bei dem die Rechtsordnung ebenfalls an das Alter von 18 Jahren anknüpfe, oder das Strafrecht, nach dem ein Jugendlicher ab 18 Jahren nach Erwachsenenstrafrecht bestraft werden könne. Und für die Erlaubnis zu rauchen habe man das Alter gerade von 16 Jahren angehoben - mit den Stimmen der Grünen.
Die FDP-Innenexpertin Gisela Piltz sieht in der Volljährigkeit gleichfalls den "Dreh- und Angelpunkt für Rechte und Pflichten des Einzelnen". Sie verweist auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach es seit jeher "als mit dem Prinzip der Allgemeinheit der Wahl verträglich angesehen" worden sei, die Ausübung des Wahlrechts an ein Mindestalter zu knüpfen. Es gehe "viel zu weit", die Senkung der Wahlaltersgrenze als Rettung der Demokratie darzustellen.
Eine "begrüßenswerte Initiative" sieht demgegenüber für Die Linke deren Abgeordnete Diana Golze in der Absenkung des Wahlalters. Ein "Allheilmittel gegen Politikverdrossenheit" will sie darin freilich nicht erkennen. Vielmehr müssten viele Punkte angepackt werden, um Jugendlichen eine "Beteiligung am demokratischen Leben" zu ermöglichen.
Mit der Stärkung demokratischer Rechte der Jugendlichen begründet der Grünen-Abgeordnete Kai Gehring den neuerlichen Vorstoß seiner Fraktion. Für ihn ist die Senkung des Wahlalters auf Bundesebene ein "zentraler Baustein einer neuen Beteiligungskultur". Jugendliche hätten die Urteilsfähigkeit, um zu wählen, und Politik müsse den Sachverstand der Nachwachsenden einbeziehen. Schließlich müssten sie morgen mit den heutigen Entscheidungen leben.
Als ein weiteres Argument nennt Gehring die demografische Entwicklung: Bereits im nächsten Jahr würden erstmals weniger Jugendliche unter 20 Jahren in Deutschland leben als Senioren über 65. "Jugendliche werden somit immer mehr zur gesellschaftlichen Minderheit", befürchtet Gehring und mahnt, ihre Stimme müsse Gewicht bekommen, um zu generationengerechten Lösungen zu kommen.
"Schlicht falsch" findet er es, mit einer zwingenden Kopplung des Wahlalters an die Volljährigkeit zu argumentieren. So sei in Deutschland das Wahlalter bereits für mehrere Jahre von der Volljährigkeit abgewichen, als es von 21 auf 18 Jahre abgesenkt wurde.