ENERGIE
Kohlekraftwerke sollen kein Kohlendioxid mehr an die Atmosphäre abgeben. Drei Pilotanlagen sind geplant
Wie kann die Umwelt geschützt und die Energieversorgung trotzdem gesichert werden? Union und SPD glauben einen Weg dazu gefunden zu haben: Das bei der Erzeugung von Strom in Kohlekraftwerken anfallende Kohlendioxid soll abgetrennt, verdichtet und über Pipelines in unterirdische Lagerstätten gebracht werden, wo es auf unbestimmte Zeit gelagert werden soll. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) plädierte am 6. Mai im Bundestag eindringlich für die neue Technologie CCS (Carbon Capture and Storage), mit der das Kohlendioxid bei der Stromerzeugung in Kohlekraftwerken abgetrennt und gelagert werden soll. Es werde im Dezember in Kopenhagen kein Klimaschutzakommen geben, "wenn wir ignorieren, dass der Umstieg von fossilen Energieträgern zu einer Welt der ausschließlich mit erneuerbaren Energien funktionierenden Gesellschaften Zeit braucht und deshalb die Kohle in Zukunft modernisiert werden nutzen müssen".
Der Bundestag überwies das von der Regierung eingebrachte Gesetz zur Regelung von Abscheidung, Transport und dauerhafter Speicherung von Kohlendioxid ( 16/12782) und einen Antrag der FDP-Fraktion zu CCS ( 16/11751) an die Ausschüsse. Mit dem Gesetz sollen die rechtlichen Voraussetzungen für drei Versuchsanlagen geschaffen werden, die bis 2020 in Betrieb gehen sollen. Diese sollen aus jeweils einem Kraftwerk, einer Kohlendioxidtransportleitung und einem Kohlendioxidspeicher bestehen. Mit dem Gesetz verfolgt die Bundesregierung auch das Ziel, "die Leckage von Kohlendioxid aus den genutzten Kohlendioxidspeichern auf unbegrenzte Zeit zu verhindern".
Nach erfolgreicher Erprobung der Abscheidungstechnik könne ab 2020 der kommerzielle großtechnische Einsatz erfolgen. Durch "engagiertes Herangehen" an diese Technik könne Deutschland auch seine Führungsposition in diesem Bereich behalten. Die Entwicklung der CCS-Technologien solle durch die Demonstrationsanlagen vorangetrieben werden. Zur Begründung wird auf aktuelle Studien verwiesen, nach denen der Ausstoß von anthropogenen Treibhausgasen bis 2050 um 50 bis 80 Prozent verringert werden müsse, "um die negativen Auswirkungen des Klimawandels zu begrenzen". Gleichzeitig würden aber fossile Energieträger wie Kohle auch in Zukunft einen erheblichen Beitrag zur Energieversorgung in Deutschland leisten.
Viele Klimaschutzszenarien würden davon ausgehen, dass durch CCS der globale Ausstoß von Treibhausgasen erheblich verringert werden könne. Dann könnten fossile Energieträger wie Kohle auch weiterhin genutzt werden. "Die mit der Nutzung von Kohle verbundene geringere Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten aus zum Teil geopolitisch unsicheren Regionen erhöht zugleich die Energieversorgungssicherheit", heißt es weiter.
Mit dem Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass die Länder 30 Jahre nach der vollständigen Befüllung eines Speichers die Verantwortung für die Speicherstätte übernehmen. Die Betreiber müssen einen angemessenen Nachsorgebeitrag leisten und den "Nachweis der Langzeitsicherheit nach dem Stand von Wissenschaft und Technik" erbringen.
Wie es in dem Entwurf weiter heißt, dürfen der Schutz des Klimas und das Interesse an Energieversorgungssicherheit nicht zulasten des Menschen und der Umwelt gehen. Daher seien der Schutz des Menschen und der Umwelt ausdrücklich als Zweck des Gesetzes benannt worden. "Die Vorschriften dienen mithin auch dem Zweck, eine Leckage von bereits gespeichertem Kohlendioxid insbesondere zum Schutz der Tier- und Pflanzenwelt, aber auch des Wassers, des Bodens und der übrigen unter den Begriff der Umwelt fallenden Schutzgüter zu verhindern", schreibt die Regierung.
Gabriel wies in seiner Rede Kritik an CCS zurück. So behindere CCS nicht die Nutzung von Erdwärme (Geothermie). Druckluftspeicher lägen in einer anderen geologischen Höhe. Während geothermische Anlagen überwiegend in Süddeutschland gebaut werden, befänden sich die Kohlendioxid-Speicherstätten in Norddeutschland. Gabriel warnte vor Hysterie: "Wir leben in Berlin auf einem riesengroßen Erdgasspeicher." Kohlendioxidspeicher seien aber keine dramatische Gefahr, die mit Erdgasspeichern, und Atommüll vergleichbar seien. "Lassen Sie also bitte die Kirche im Dorf und den CO2-Speicher unter der Erde."
Horst Meierhofer (FDP) erklärte, wenn es keine Alternative zu CCS gebe, müsse diese Technik gefördert und nicht verhindert werden. Kohle sei ein günstiger Energieträger und weltweit in riesigen Mengen vorhanden. Hartmut Schauerte (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, sagte, mit CCS solle erreicht werden, "dass Kohle weiterhin eingesetzt wird". In den nächsten 20 bis 30 Jahren könne die Energiewirtschaft nicht ohne Kohle betrieben werden.
Eva Bulling-Schröter (Linke) bezeichnete CCS dagegen als "Versuch der Energiewirtschaft", die Ära der Kohleverstromung um weitere 50 Jahre zu verlängern. Der Klimakiller CO2 habe unter der Erde nichts zu suchen. "Dabei weiß bis heute niemand, ob wir uns mit dem verflüssigten CO2 nicht ein neues und gigantisches Endlagerproblem unter die Schuhsohlen pressen", sagte sie.
Was es bedeute, wenn man von Hürth in Nordrhein-Westfalen bis nach Schleswig-Holstein Leitungen lege, wollte Bärbel Höhn (Bündnis 90/Die Grünen) wissen. Es stelle sich die Frage, was es für die Sicherheit der Bevölkerung bedeute, wenn man Kohlendioxid für tausende von Jahren unter die Erde presse. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen lehnte den Gesetzentwurf ab. Viele technische Fragen von CCS seien ungeklärt und es sei offen, ob die Anwendung von CCS in Deutschland überhaupt sinnvoll sei.