PATIENTENVERFÜGUNG
Nach jahrelanger Diskussion verabschiedet der Bundestag eine neue Regelung
Das kollektive Aufatmen war spürbar. Nach jahrelanger Diskussion ist es geschafft: Das Parlament hat am 18. Juni ein Gesetz beschlossen, das die Patientenverfügung regelt. Für die Vorlage ( 16/8442, 16/13314), die eine Abgeordnetengruppe um Joachim Stünker (SPD), Michael Kauch (FDP), Lukrezia Jochimsen (Die Linke) und Jerzy Montag (Bündnis 90/Die Grünen) auf den Weg gebracht hatte, stimmten 320 Abgeordnete. 241 Parlamentarier votierten dagegen; 5 enthielten sich. Für die Praxis bedeutet das: Was die Betroffenen schriftlich niedergelegt haben, muss unbedingt respektiert werden. (siehe Kasten).
Noch vor der Abstimmung wurde über das dabei anzuwendende Verfahren gestritten. Die Wortführer der drei vorliegenden Gesetzentwürfe - neben Stünker waren dies der CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach ( 16/11360) und der CSU-Abgeordnete Wolfgang Zöller ( 16/11493) - hatten sich nicht darauf einigen können, in welcher Reihenfolge die Gesetzentwürfe zur Abstimmung gestellt werden sollten. Allgemein wurde davon ausgegangenen, dass der zuletzt abzustimmende Entwurf die besten Chancen haben würde, vom Parlament angenommen zu werden. Bei der zur Entscheidungsfindung anberaumten "Abstimmung über die Abstimmung" sprach sich eine knappe Mehrheit dafür aus, über den Stünker-Entwurf zum Schluss abzustimmen.
In der Debatte zuvor warben dessen Initiatoren für ihren am Ende angenommenen Entwurf. Stünker betonte, es gehe um das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht: "Die Menschen haben einen Anspruch darauf, dass dieses Selbstbestimmungsrecht nicht nur in der Verfassung steht, sondern auch im Alltag eingehalten wird." Man brauche in Deutschland endlich Rechtssicherheit, deshalb "müssen wir heute die Kraft aufbringen, zu einer Entscheidung zu kommen". Der Staat habe kein Recht, dem Patienten vorzuschreiben, im Interesse des Lebensschutzes seine Entscheidung zu überdenken, argumentierte Stünker.
Der FDP-Politiker Michael Kauch sagte, es stimme nicht, dass eine gesetzliche Klarstellung der Verbindlichkeit einer Patientenverfügung das Sterben "verrechtlichen" würde. Der Arzt dürfe schon heute nicht machen, was er wolle, betonte Kauch. Die Patientenverfügung sei im Interesse der Patienten, aber auch im Interesse der Ärzte, die für ihre Tatigkeit Sicherheit brauchen.
Jochimsen und Montag gaben zu bedenken, dass viele Menschen die Befürchtung hätten, am Ende ihres Lebens hilflos der Intensivmedizin ausgeliefert zu sein, die die physische Lebenserhaltung in den Vordergrund stelle. "Um Gottes willen, wenn es mit mir einmal zu Ende geht, will ich nicht, dass ihr mich an Schläuche hängt. Ich will das nicht!", sagte Montag in seinem engagierten Plädoyer. Aus diesem Grunde, so Montag, brauche man eine gesetzliche Regelung.
Der von einer Gruppe um Bosbach, René Röspel (SPD), Katrin Göring-Eckardt, Harald Terpe und Josef Philip Winkler (alle Bündnis 90/Die Grünen) sowie Otto Fricke (FDP) initierte Entwurf erhielt 220 Ja-Stimmen. 344 Abgeordnete sprachen sich dagegen aus, 2 Abgeordnete enthielten sich.
Wolfgang Bosbach wies darauf hin, dass der Bundestag bei einer Organspende unter Lebenden immerhin acht Bedingungen - darunter eine Zwangsberatung - vorgeschrieben habe. Bei einer Patientenverfügung werde aus seiner Sicht hingegen weniger Sorgfalt aufgewandt. Zu sagen "Wer schreibt, der bleibt" und dann von Selbstbestimmung zu reden, sei ein Widerspruch, sagte Bosbach. Der SPD-Politiker Röspel machte deutlich, dass seines Erachtens ärztlicher Rat erforderlich sei, bevor man eine Verfügung aufsetze. Unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung könne man dann sicher sein, dass die medizinische Behandlung beendet werde. Göring-Eckardt betonte, wenn der Bundestag zu einem Beschluss komme, sei man nicht am Ende der Diskussion, sondern am Anfang dessen, "was wir zu den Fragen von Tod und Sterben regeln müssen".
Der dritte Gesetzentwurf, den neben Wolfgang Zöller auch Hans Georg Faust (CDU), Herta Däubler-Gmelin (SPD) und Monika Knoche (Die Linke) auf den Weg gebracht hatten, verfehlte deutlich die Mehrheit: 77 Parlamentarier stimmten dafür, 486 votierten dagegen, 8 Abgeordnete enthielten sich. Zöller betonte, dass es eine große Erwartungshaltung bei diesem Thema gebe, aber auch große Verunsicherungen. In dem von ihm unterstützten Entwurf sei es gelungen, die in der Praxis bestehende Rechtsunsicherheit im Hinblick auf die Verbindlichkeit der Patientenverfügung zu beseitigen. Patientenautonomie und Lebensschutz werde so gleichermaßen Rechnung getragen.
Auf die Möglichkeit einer mündlichen Patientenverfügung wies die Abgeordnete Däubler-Gmelin hin. "Warum sollte eine klare, nachweisbare Patientenverfügung nur deshalb nicht gelten, weil sie nicht schriftlich vorliegt", fragte die ehemalige Bundesjustizministerin.
Schon unmittelbar nach Ende der Debatte hatte ein Antrag ( 16/13262) keine Mehrheit erhalten, der darauf zielte, dass eine über die gegenwärtige Rechtslage hinausgehende gesetzliche Regelung der Patientenverfügung "weder notwendig noch überzeugend möglich" sei.