EU-KOMMISSION
Das Parlament will die Mitglieder erst am 20. Januar absegnen. Zwei Spitzenämter sind noch völlig offen
Der schwedische Premier Fredrik Reinfeldt sieht in diesen Tagen nicht besonders glücklich aus. Zwar wird er von allen Seiten mit Komplimenten überschüttet, da es unter schwedischer Ratspräsidentschaft gelang, die fehlenden Unterschriften Irlands, Polens und Tschechiens für den Vertrag von Lissabon einzutreiben. Doch wie es nun aussieht, fangen die Schwierigkeiten jetzt erst richtig an.
Zwei neue Chefposten sind zu besetzen, sonst Anlass für großes Gedrängel in der Europäischen Union. Doch für den Job des Präsidenten des Europäischen Rates scheint sich außer Großbritanniens Ex-Premier Tony Blair und Luxemburgs Premier Jean-Claude Junker niemand zu interessieren. Das mag daran liegen, dass der Bewerber bereit sein muss, sein bisheriges Amt aufzugeben. Er tauscht es gegen die wenig attraktive Aufgabe, vier Mal im Jahr beim Gipfeltreffen in Brüssel den Gastgeber zu spielen.
Wesentlich attraktiver ist es, "Hoher Beauftragter", also Außenminister der EU, zu werden. Der Posten existiert zwar schon, wird aber durch eine eigene diplomatische Abteilung und ein eigenes Budget erheblich aufgewertet. Er soll gleichzeitig im Rat und der Kommission angesiedelt sein. Der Chef oder die Chefin wird die am besten vernetzte Person im Institutionengefüge - sie wird die Sitzungen des Außenministerrates leiten und an den wöchentlichen Treffen des Kommissionskollegiums teilnehmen.
Die Sozialisten wollen jemanden aus ihren Reihen für das Amt benennen, da der Kommissionspräsident und der Parlamentspräsident Konservative sind. Doch die Kandidatenkür wird zur peinlichen Prozedur. Das Dilemma: Es gibt kaum noch linke Regierungen in Europa, die einen der ihren in die Kommission entsenden könnten. Der britische Außenminister David Miliband würde den Posten des Hohen Repräsentanten zwar fachlich ausfüllen, stammt aber aus der Labour-Party, die wegen der Teilnahme am Irakkrieg bei Europas Sozialisten nicht gut angesehen ist. Außerdem scheint er nicht begeistert von der Idee, der nationalen Bühne für fünf Jahre den Rücken zu kehren.
Das Problem besteht vor allem darin, dass respektable Kandidaten wie der Italiener Massimo d'Alema oder der Franzose Pascal Lamy von konservativen Regierungen geschickt werden müssten. Wie gering die Bereitschaft dazu ist, zeigt das deutsche Beispiel: Angela Merkel zog es vor, mit Günther Oettinger einen auf europäischer Ebene völlig unbekannten Provinzpolitiker ihrer eigenen Partei in die Kommission zu schicken statt den Sozialdemokraten Frank-Walter Steinmeier zu benennen und damit den wichtigsten Posten, den die EU derzeit zu vergeben hat, für Deutschland zu sichern.
Selbst wenn die Kandidatenkür beim Sondertreffen der Regierungschefs am 19. November zu einem glücklichen Ende kommt, kann Fredrik Reinfeldt nicht aufatmen. Schon am 1. Dezember tritt der Lissabonvertrag in Kraft, und der neue Außenminister soll sein Büro in Brüssel beziehen. Doch seine Anhörung vor dem EU-Parlament findet erst drei Tage später statt. Das Parlament will sich das Recht nicht nehmen lassen, alle Kommissionsmitglieder zu begutachten und vielleicht sogar einzelne durchfallen zu lassen. Vor fünf Jahren führte die Ablehnung des italienischen Kandidaten Rocco Buttiglione zu einer Machtprobe mit Kommissionspräsident Barroso, die das Parlament gewann. "Wenn der Außenminister schon am 1. Dezember anfängt, gibt es Krach", warnt Elmar Brok von der CDU. "Seine Aufgabe im Rat und sein Status als Mitglied der Kommission sind nicht teilbar. Sollte das versucht werden, gibt es gleich zu Anfang eine Verfassungskrise." Frühestens bei der Plenarsitzung am 20. Januar in Straßburg will das Parlament die neue Kommission absegnen. Über die Struktur des neuen diplomatischen Dienstes könne, nach Beratungen mit dem neuen Außenminister, erst im März entschieden werden. Markus Ferber von der CSU meint dazu. "Wenn man neun Jahre auf einen Vertrag hat warten müssen, den man eigentlich schon in Nizza beschließen wollte, dann kann man auch noch ein paar Monate länger warten", sagte er bei einer Veranstaltung in Brüssel. Über die Ratlosigkeit in der Kandidatenfrage zeigt er sich berrascht. "Wir reden ja schon ein paar Jahre über die Möglichkeit neuer Ämter. Es ist erstaunlich, dass die Aufgabe die Staats- und Regierungschefs nun so schockartig trifft."
Bei der Debatte im Europaparlament am 11. November bedauerten viele Redner die Geheimniskrämerei, die um die neuen Posten gemacht werde. Guy Verhofstadt, Fraktionschef der Liberalen, sagte: "Der Präsident des Rates sollte doch wohl jemand sein, der an die europäische Integration glaubt. Wenn ein Papst gewählt wird, nimmt man ja auch einen Katholiken dafür." Fredrik Reinfeldt konterte leicht gereizt: "Ich muss meine Arbeit auf die Verträge stützen. Darin ist festgelegt, dass die Staats- und Regierungschefs diese Entscheidung treffen."
Auch Kommissionspräsident Barroso verbat sich jede Einmischung des Parlaments. Auf Verhofstadts Anregung, die 27 neuen Kommissare nach Politikbereichen zu bündeln und neben Vizepräsidenten auch Juniorkommissare zu ernennen, sagte er: "Vielen Dank für Ihre Vorschläge. Die Organisation der Kommission aber obliegt nach den Verträgen mir, und ich habe keinerlei Absicht sie abzugeben." Dahinter steckt die Erkenntnis, dass kein Land die Degradierung seines Kommissars zum "Junior" akzeptieren wird.
Die Entschlossenheit, ein wichtiges Ressort in der EU-Kommission für das eigene Land zu sichern, ist also groß. Günther Oettinger soll sich für Handel, Binnenmarkt oder Industrie interessieren.