AUSWÄRTIGES
Die außenpolitische Troika der neuen schwarz-gelben Regierung stößt bei der Opposition auf Skepsis. Auch am Koalitionsvertrag lässt sie kein gutes Haar
Was wurde nicht geunkt und gespöttelt, bevor Guido Westerwelle als neuer Außenminister des schwarz-gelben Kabinetts überhaupt vereidigt war. Kritiker traute dem außenpolitisch unerfahrenen Liberalen kaum zu, das Amt des deutschen Chefdiplomaten auszufüllen. Wie wohltuend muss es für Westerwelle nun gewesen sein, als ihm im Ausland der rote Teppich ausgerollt wurde: in Warschau, Den Haag, Paris, Luxemburg, Brüssel, Washington, Kopenhagen und London, jenen Städten, in denen er - sichtlich zufrieden - seine ersten Schritte auf dem internationalen Parkett absolvierte. Von hiesigen Journalistenkollegen wurde er wegen seines Auftretens prompt als "Außenminister Welpe" verspottet.
Gegen sein schlechtes Image muss Westerwelle nun ankämpfen. Er muss zeigen, dass er Außenminister kann, dass er eigene Akzente setzen wird. Gelegenheit dazu bekam er am 10. November im Bundestag, wo er zu Beginn einer mehr als dreistündigen Debatte zur deutschen Außenpolitik seine erste Rede im neuen Amt hielt. Doch zur Enttäuschung der Opposition äußerte sich Westerwelle zu aktuellen, brennenden Fragen - wie etwa der künftigen deutschen Afghanistanpolitik - nicht. Er beließ es in seiner kurzen Rede dabei, dem Parlament zu versichern, dass er in der Außenpolitik auch künftig auf "Tradition und Kontinuität" setzen wolle, und stellte klar: "Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik." Ziel der Regierung sei es, ihre Politik einzubinden in die Politik Europas und der Völkergemeinschaft. Als Wegmarken gab der 47-Jährige an, er wolle die Beziehungen zu den östlichen Nachbarstaaten, vor allem zu Polen, weiter ausbauen, den respekvollen Umgang auch mit kleineren Mitgliedstaaten in der EU pflegen und die Tradition des besonderen transatlantischen Verhältnisses bewahren. Das ist unverfänglich - aber auch wenig konkret. Die Opposition warf Westerwelle Ideen- und Perspektivlosigkeit und eine Politik des Abwartens vor.
Allerdings war den Abgeordneten von SPD, Linken und Grünen nicht nur Westerwelle, sondern die ganze, auf der Regierungsbank versammelte neue Troika deutscher Außenpolitik sichtlich suspekt: Neben Westerwelle sind dies der frühere Wirtschafts- und heutige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP). Letzterer musste in der Debatte besonders viel einstecken. So nannte es Sascha Raabe (SPD) einen "schlechten Witz", dass mit der FDP "ausgerechnet die Partei, die in den Koalitionsverhandlungen das Entwicklungsministerium abschaffen wollte, nun den Entwicklungsminister stellt." Wolfgang Gehrke (Die Linke) bezeichnete den Blick auf die Regierungsbank insgesamt als "mehr als gewöhnungsbedürftig" und machte angesichts dieses "Trio Infernales" sogleich klar: "Wir werden uns nicht daran gewöhnen".
Kritik ernteten in der Debatte vor allem aber die außenpolitischen Passagen des Koalitionsvertrags. Der strotze vor "diplomatischen Leerformeln und durchsichtigen Kompromissen", monierte der stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Friethjof Schmidt mit Verweis etwa auf das "dröhnende Schweigen zur politischen Perspektive in Afghanistan". Auch zur Reform der Vereinten Nationen und der künftigen Rolle der G20 fänden sich in der Vereinbarung nur "ein paar Allgemeinplätze". Seine Fraktionskollegin Kerstin Müller warf der Regierung vor, nationale Interessen vor allem als wirtschaftliche Interessen zu definieren und die Sicherung des Exports zur Hauptaufgabe deutscher Außenpolitik zu machen. SPD-Fraktionsvize Gernot Erler vermisste im Koalitionsvertrag unter anderem Aussagen darüber, inwieweit und mit welchen Ländern die Regierung eine Erweiterung der EU anstrebt - aus Sicht Erlers eine "gefährliche" Veränderung, die gerade auf dem Balkan mit Sorge wahrgenommen werde.
Tatsächlich ist im Vertrag lediglich von einer "Erweiterungspolitik mit Augenmaß" und "ergebnisoffenen Verhandlungen" die Rede. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei werden vorsichtig als "Prozess mit offenem Ende" bezeichnet. Erler warf der Koalition vor, nicht nur in diesem Punkt, sondern auch in der Frage der Rüstungsexporte, der Entwicklungspolitik und des Verhältnisses zu Russland einen "Bruch mit dem bisherigen Grundkonsens" in der Außenpolitik zu vollziehen. Zudem befürchtet er wie auch der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripur aufgrund einer Passage im Koalitionsvertrag, dass die Regierung an den Entscheidungsrechten des Bundestages bei Auslandseinsätzen kratzen will - ein Vorwurf, dem Elke Hoff (FDP) klar widersprach: "Das Gegenteil ist der Fall."
Eine Diskussion zur rechten Zeit: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz kommt schon im Dezember wieder zur Anwendung, wenn der Bundestag über die Verlängerung des Bundeswehrmandats in Afghanistan entscheiden muss - und dies am Ende des "militärisch schwierigsten und verlustreichsten Jahres des ISAF-Einsatzes", wie Andreas Schockenhoff (CDU) betonte. Verteidigungsminister Guttenberg sprach gar von "kriegsähnlichen Zuständen in Teilen" des Landes - sein Amtsvorgänger Franz Josef Jung (CDU) hatte derart drastische Formulierungen stets vermieden.
Die Opposition will nun so schnell wie möglich wissen, wie die künftige Afghanistan-Strategie der Bundesregierung aussehen soll. "Die Zeit drängt", sagte Kerstin Müller, wurde aber von Guttenberg vertröstet: Ein Konzept "mit konkreten Zeit- und Zielvorgaben" solle erst auf der internationalen Afghanistan-Konferenz im Januar 2010 erarbeitet werden.
Vorher soll die afghanische Regierung in Vorlage treten: Bei seinem Antrittsbesuch am 12. und 13. November in Afghanistan forderte Guttenberg Präsident Hamid Karsai auf, vor der Konferenz klare Ziele für die weitere Entwicklung des Landes zu benennen. Zugleich reagierte der Verteidigungsminister auf die verschärfte Sicherheitslage im Norden: Er kündigte an, Mitte Januar 120 zusätzliche Bundeswehrsoldaten in die Region Kundus zu schicken. Damit wäre das aktuelle Mandat des Bundestages für die Afghanistan-Mission voll ausgeschöpft - die Obergrenze liegt bei 4.500 Soldaten. Für die Linksfraktion der falsche Weg: "Das Ende des Krieges beginnt auch damit, dass die deutschen Truppen aus Afghanistan abgezogen werden", sagte Wolfgang Gehrke.
Nicht unbedingt einen Abzug, aber zumindest einen teilweisen Rückzug befürchtet die Opposition an anderer Stelle: der Entwicklungpolitik. Ressortchef Niebel konnte im Parlament noch so sehr betonen, dass die neue Regierung die Entwicklungszusammenarbeit "ausdrücklich" aufwerte. Er nannte auch zahlreiche Schwerpunkte seiner künftigen Politik, zum Beispiel die Stärkung fairer Handelsstrukturen und des privaten Sektors in den Partnerländern, eine Reform der Durchführungsorganisationen und die Förderung guten Regierungshandelns. Die Opposition zeigte sich gleichwohl ratlos: Warum steht im Koalitionsvertrag nichts über die Erhöhung des deutschen Entwicklungshilfebudgets ab 2010 auf 0,51 Prozent des Bruttosozialprodukts? Dazu hatte sich Deutschland international verpflichtet. Mehr noch: Ab 2015 soll der Etat sogar auf 0,7 Prozent steigen. Dazu heißt es im Koalitionsvertrag: Die Verpflichtungen sollen eingehalten werden, aber dem Ziel wolle man sich "verantwortlich im Rahmen des Bundeshaushaltes annähern". Der SPD-Abgeordnete Raabe warnte, wenn die Regierung das 0,51-Prozent-Versprechen 2010 nicht einhalte, sei dies "die größte Wahllüge, die es in der Geschichte dieser Republik jemals gegeben hat". Und Gernot Erler erinnerte an die Aussage der Kanzlerin, die am Morgen in ihrer Regierungserklärung Entwicklungspolitik zu einer "Hauptsache" erklärt hatte. Leider, sagte Erler, spiegele sich dies weder in der Besetzung des Ministeriums noch im Koalitionsvertrag wider. Am Ende einer langen Debatte schien es, als habe nicht nur Westerwelle noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.