KOSOVO
Wenige Tage nach den Kommunalwahlen gerät die Regierung in die Krise
Üblicherweise sind Kommunalwahlen nicht Anlass für internationale Aufmerksamkeit. Wenn es aber um die ersten Wahlen im jüngsten Staat der Welt geht, dann stehen die Vorzeichen anders. 1,5 Millionen Kosovarinnen und Kosovaren waren am 15. November aufgerufen, erstmals seit der Ausrufung der Unabhängigkeit im Februar 2008 die Bürgermeister und Gemeindeparlamente in 36 Kommunen neu zu bestimmen. Die noch vor der Unabhängigkeitserklärung ins Amt gekommene Regierung von Premierminister Hashim Thaci wollte der Welt mit diesem Urnengang beweisen, dass das zu mehr als 90 Prozent von Albanern bewohnte Kosovo in der Lage ist, selbstständig demokratische Wahlen zu organisieren.
Das hat funktioniert. Von internationalen Beobachtern bekam Kosovo gute Noten. Die österreichische Europaabgeordnete Ulrike Lunacek sagte: "Kosovo hat mit der Durchführung von freien und fairen Wahlen, die europäische Standards erfüllten, einen wichtigen Test für seine demokratische Glaubwürdigkeit bestanden."
Innenpolitisch ging es aber um mehr: nämlich um einen Machtkampf zwischen den beiden stärksten Parteien, der vom heutigen Premier Hashim Thaci geführten Demokratischen Partei Kosovos (PDK) und der Demokratischen Liga Kosovos (LDK). Sie regieren Kosovo seit November 2007 in einer von niemandem wirklich gewollten "großen Koalition". Unmittelbar nach den Kommunalwahlen kam es zwischen ihnen zu einem handfesten Streit. Auslöser soll eine Vereinbarung zwischen der LDK und der AAK von Oppositionsführer Ramush Haradinaj gewesen sein, wonach sich beide bei der Stichwahl für die noch nicht vergebenen Bürgermeister-Posten vom 13. Dezember gegenseitig unterstützen wollen. Als Reaktion darauf kündigte die PDK in der Nacht zum 20. November an, mit zwei kleineren kosovo-albanischen Parteien sowie der bereits jetzt mitregierenden kosovo-serbischen SLS eine neue Koalition bilden zu wollen. Nur wenige Stunden später gab es Entwarnung: Ein möglicher Bruch der Koalition scheint - vorerst- abgewendet. Die LDK gab am Nachmittag des 20. November in Pristina bekannt, dass der Koalitionsvertrag bis zur nächsten Parlamentswahl 2011 bestehen bleiben soll. Die Gründe für diese Wendung waren bis Redaktionsschluss nicht bekannt.
So turbulent die Kommunalwahlen auch endeten - das Interesse der Bevölkerung war gering: Insgesamt beteiligten sich nur gut 45 Prozent der Stimmberechtigten an den Wahlen - wohl ein Zeichen für die Ernüchterung über den ausbleibenden Aufschwung nach der Unabhängigkeits-Euphorie. Die Arbeitslosigkeit erreicht rund 50 Prozent, das durchschnittliche Jahreseinkommen liegt pro Person bei gerade 1.700 US-Dollar.
Mit besonderer Spannung war die Wahlbeteiligung der Kosovo-Serben, erwartet worden, die etwa 6 Prozent der rund zwei Millionen Einwohner des Landes ausmachen. Die serbische Regierung, die die Abspaltung Kosovos nicht anerkennt und das Gebiet als seine südliche Provinz betrachtet, hatte die Kosovo-Serben erneut zu einem Wahlboykott aufgerufen. Trotzdem hatten sich 22 kosovo-serbische Parteien, Bürgerinitiativen und unabhängige Kandidaten für die Wahlen registrieren lassen. In den fünf mehrheitlich von Serben bewohnten Gemeinden im Süden und Osten des Landes gingen zwischen 14 und 31 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen. Verglichen mit der kaum messbaren serbischen Beteiligung in den Vorjahren ist das eine Kehrtwende. Drei dieser Gemeinden waren nach der Unabhängigkeitserklärung auf Empfehlung des früheren UN-Sondergesandten Martti Ahtisaari neu geschaffen worden. Dazu gehört auch Gracanica unweit der Hauptstadt Prishtina. Bojan Stojanovic wurde hier bei 24 Prozent Beteiligung mit fast zwei Dritteln der Stimmen zum Bürgermeister gewählt. Die Serben hätten "begriffen, dass sie einen Mechanismus brauchen, um auf ganz praktische Weise ihre Interessen zu schützen", sagte der Vertreter der kosovo-serbischen SLS nach seiner Wahl und kritisierte die Regierung in Belgrad für den Boykottaufruf.
Kommunen mit serbischer Bevölkerungsmehrheit genießen nach den Vorgaben des sogenannten Ahtisaari-Plans verschiedene Sonderrechte und mehr Autonomie. In dem fast nur von Serben bewohnten und direkt an Serbien angrenzenden Nordteil Kosovos hat dies als Anreiz zur Wahlbeteiligung aber offenbar nicht ausgereicht. In diesem Gebiet wurde der Boykottaufruf aus Belgrad vollständig befolgt. Selbst in jenen zwei Gemeinden, in denen ein serbischer Bürgermeister-Kandidat zur Wahl stand, bekam dieser keine einzige Stimme - offensichtlich nicht einmal seine eigene.
Kosovos Staatspräsident Fatmir Sejdiu betonte dennoch, viele Serben hätten gezeigt, dass Belgrad sie nicht länger "als Geiseln halten kann, die gegen ihre eigenen Interessen handeln". Oliver Ivanovic, Staatssekretär im serbischen Kosovo-Ministerium, sprach von einem "Misserfolg" und einem "Riss" zwischen Belgrad und den Kosovo-Serben. Er zeigte sich überzeugt, dass die kosovo-albanische Seite den Ausgang der Kommunalwahlen für die Anhörung vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) der Vereinten Nationen in Den Haag nutzen wird, die im Dezember beginnt. Auf Ersuchen Serbiens soll der IGH eine Stellungnahme abgeben, ob die Unabhängigkeitserklärung Kosovos rechtens war. Kosovo will sich deshalb besonders jetzt als stabile Demokratie präsentieren, in der auch Minderheiten ihren Platz haben. 63 Staaten - darunter Deutschland, 21 weitere EU-Mitglieder und die USA - haben die Unabhängigkeit Kosovos bislang anerkannt. Russland dagegen unterstützt die serbische Position.