SKlaVErei
Egon Flaigs Gesamtdarstellung präsentiert fragwürdige Thesen
Sie schuften in Privathaushalten, auf Kakaoplantagen und in Bordellen. Die meisten sind jung, ein Fünftel sind Kinder unter 14 Jahren, viele sind weiblich. Das ist Sklaverei heute. Zahlen nennt der UN-Bericht "Menschenhandel - ein Verbrechen, das uns alle beschämt" von 2009 nicht, denn es gibt keine. Die "Ware Mensch" im 21. Jahrhundert ist billig, schon für 20 Euro ist ein afrikanisches Kind zu haben. Ein Plantagenbesitzer in den Südstaaten der USA musste um 1850 noch umgerechnet 30.000 Euro für einen Sklaven bezahlen. Profitabel war Sklaverei zu allen Zeiten, sie durchzieht deshalb wie ein roter Faden die Menschheitsgeschichte. Selbst indianische Völker, Germanen und Maori hielten sich allesamt Skalven.
Es ist ein Verdienst des Rostocker Althistorikers Egon Flaig, auf die historische Dimension und Universalität von Menschenhandel hinzuweisen, wo doch hierzulande vorzugsweise die Boulevardpresse auf den Plan tritt, wenn ein Prominenter mit einer als "Sexsklavin" titulierten Zwangsprostituierten erwischt wird. Flaig konzentriert sich in seinem handlichen Buch auf die Antike, die islamische Welt und Amerika nach Ankunft der Europäer, und er rückt den "Prozess des Versklavens" ins Blickfeld. Erst wo das Pferd heimisch wurde, konnten sich Reiterhorden bilden, die bei benachbarten Völkern auf Menschenjagd gingen.
Sklaven stellten mitunter erhebliche Anteile an der Bevölkerung. Die hoch gelobte Debattenkultur im antiken Athen wäre ohne Sklavenarbeit nicht denkbar gewesen. Und ohne die Arbeit der von den Debatten ausgeschlossenen Frauen, möchte man ergänzen, denn der Althistoriker erwähnt sie nicht, obwohl sie für die Einschätzung der Arbeitsverhältnisse wichtig ist. Eunuchen bekleideten in antiken Gesellschaften verantwortungsvolle Ämter, dennoch blieben sie als Unfreie den Willkürakten ihrer Herren ausgeliefert.
Den Schwerpunkt legt Flaig auf die Sklaverei in islamisch geprägten Gesellschaften, auch weil aus seiner Sicht "die islamische Sklaverei seit dem 19. Jahrhundert beschönigt" wurde. Der diagnostizierten Verharmlosung rückt der Althistoriker mit überaus grobem Werkzeug zu Leibe. Der "Scharia-Islam" sei auf das Versklaven ausgerichtet, behauptet Flaig, und unterschlägt, dass "die Scharia" als einheitliches islamisches Gesetzeswerk nicht existiert. Vielmehr kennt der Islam zahllose, einander mitunter befehdende Glaubensrichtungen, genau wie das Christentum.
Aber Flaig setzt noch eins drauf, indem er den Islam zum Komplizen der Sklaverei erklärt. "Die maßgeblichen Gutachten moderner islamischer Rechtsgelehrter" halten laut Flaig Sklaverei nicht für inhuman, "sondern für vorübergehend nicht praktizierbar". Belege bleibt der Althistoriker allerdings schuldig, und bereits seine Annahme einer klaren Hierarchie, in der wenige Religionsgelehrte die Interpretationshoheit über die gesamte islamische Welt besäßen, lässt auf Unkenntnis der dezentralen islamischen Strukturen schließen, oder auf propagandistische Absichten. Ein Blick auf die Literaturliste, die sich auf westliche Autoren beschränkt, verstärkt den Verdacht, dass der bereits als "Islamkritiker" in Erscheinung getretene Autor sich nicht auf belegbare Fakten beschränken möchte.
Im Gegenzug verpasst Flaig dem Abendland einen antisklavistischen Heiligenschein und phantasiert von Englands und Frankreichs "humanitärem Kolonialismus" in Afrika. Die Besetzung und Ausbeutung des Nachbarkontinents ist demnach "dem politischen Willen, zugunsten eines universalen Prinzips zu intervenieren" geschuldet. Damit stellt sich Flaig in eine Reihe mit den finstersten Kolonialapologeten aus längst vergangen geglaubten Zeiten. Tatsächlich kostete es viele Millionen Menschenleben jenseits des Atlantik, bevor sich die urspünglich kleine Schar der Abolotionisten gegen europäische Händler und weiße Plantagenbesitzer als Profiteure der Sklaverei durchsetzen konnte.
Weltgeschichte der Sklaverei.
Verlag C.H. Beck, München 2009; 238 S., 12,95 ¤