NAMIBIA
Statt Entschädigungszahlungen fordern Stammesvertreter ein nachhaltiges Herero-Förderprogramm
Stramm steht er da und zupft die khakifarbene Uniform zurecht, dann erhebt der Mann mit dem buschigen Schnauzer die Stimme: "Innerhalb der deutschen Grenzen wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen." "Cut!" schallt es vom Regisseur aus dem Hintergrund. "Das muss forscher kommen. Und bitte noch einmal alles auf Anfang!"
Was hier nahe der namibischen Hauptstadt Windhoek derzeit im Auftrag des ZDF für eine Guido-Knopp-Dokumentation nachgestellt wird, hat sich einst tatsächlich so zugetragen: Am 2. Oktober 1904 erließ General Lothar von Trotha im damaligen Deutsch-Südwestafrika den sogenannten "Vernichtungsbefehl" gegen die einheimischen Herero. Zuvor hatte sich das Hirtenvolk gegen die Enteignung ihrer Weidegründe zur Wehr gesetzt und mehr als 100 deutsche Siedler ermordet. Es folgte ein grausamer Rachefeldzug im Namen des Kaisers, dem zwischen 60.000 und 80.000 Herero zum Opfer fielen.
Deutsche Schutztruppler jagten Männer, Frauen und Kinder in die Omaheke-Wüste und ließen sie elend verdursten. Wasserstellen wurden vergiftet, und wer der tödlichen Einöde zu entkommen suchte, wurde vom "Groot Rohr" (dem großen Geschütz) in Stücke gerissen. Mehr als zwei Drittel des Stammes wurden vernichtet - es war, sind die Herero überzeugt, der erste Völkermord der deutschen Geschichte.
Bereits kurz nach Namibias Unabhängigkeit im Jahr 1990 forderte der umstrittene Politiker und Herero-Chef Kuaima Riruako Deutschland zur Wiedergutmachung auf. Sein Argument ist simpel: Die Juden erhielten nach dem Holocaust Entschädigung. Weshalb also nicht auch die Herero? Geradezu feinsinnig wurde dagegen gehalten: 1904 habe noch gar kein Völkerrecht existiert, insofern könne es auch keinen Genozid gegeben haben.
Die von Riruako in den USA sowie beim Internationalen Gerichtshof angestrengten Klagen wurden abgelehnt, da dort nur Staaten, nicht jedoch einzelne Gruppen auftreten dürfen. Das könne nur die namibische Regierung. Die aber winkt seit jeher ab, und bemüht dieselben Argumente, die auch Berlin gerne in den Vordergrund rückt: Die Bevorzugung einer einzelnen Ethnie könne die Stabilität Namibias gefährden. Die Ex-Kolonie erhält zudem die höchste Pro-Kopf-Entwicklungshilfe Deutschlands. Geld, das allen zugute komme, und damit auch den Herero.
Dies darf jedoch bezweifelt werden, da die namibische Regierung vom Stamm der Ovambo dominiert wird und recht ungeschminkt die von Ovambo bewohnten Regionen bevorzugt fördert. Als Deutschland 20 Millionen Euro Direkthilfe für die Herero anbot, wurde dies vom Staat brüsk abgewiesen.
Unter der Bedingung, dass Namibia das selbst regelt, sind inzwischen die ersten Millionen eingetroffen, aber: "Wir haben davon bislang keinen Cent gesehen", kritisiert Herero-Aktivist Ueriuka Tjikuua. "Wir werden nicht einmal in den Prozess mit einbezogen." Die Finanzspritze folgte dem Besuch von Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) im Jahr 2004 zum 100-jährigen Gedenken an die "Schlacht am Waterberg". "Im Sinne des gemeinsamen Vater unser" bat sie um Vergebung für die einstigen Gräueltaten deutscher Soldaten. Ein Schuldeingeständnis? Moralisch ja, juristisch nein - sagen die Fachleute. Die Herero sahen das freilich anders, und Sprachrohr Riruako machte erneut klar, dass Versöhnung und Entschädigung eine Einheit bilden müssten. Dem widersprach die Ministerin: Reparationsforderungen würden den Versöhnungsprozess nur erschweren. Die Herero waren bitter enttäuscht. "Der Ruf nach direkten Entschädigungszahlungen ist aussichtslos", sagt Tjikuua, der im "Rat für den Dialog über den Genozid von 1904" engagiert ist. Die Vereinigung vertritt rund die Hälfte der heute 400.000 Herero und distanziert sich von Riruako. Solange namibische Parteipolitik Stammes-Politik ist, sei eine Versöhnung zwischen seinem Volk und Deutschland kaum möglich. Der Rat fordert von Berlin daher eine Art nachhaltiges Herero-Förderungsprogramm: "Ich werde davon zwar nichts mehr haben", erklärt Tjikuua, "aber meine Enkel, die eines Tages vielleicht eine von Deutschland finanzierte Ausbildung genießen können."
2008 scheiterte im Bundestag ein Antrag der Fraktion Die Linke auf Anerkennung und Wiedergutmachung der deutschen Kolonialverbrechen im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika. Auf der Zuschauertribüne: ein frustrierter Kuaima Riruako. Seitdem ist es ruhig geworden um den Mann, der gern in wilhelminischer Uniform auftritt und auf internationalem Parkett stets den Anspruch auf alleinige Herero-Führerschaft erhob.
Dabei gilt Riruako als Machtmensch. Er hatte unter dem südafrikanischen Apartheidregime, das lange Zeit auch in Namibia herrschte, hohe politische Ämter bekleidet, weil er stets eine Segregation der Bevölkerungsgruppen befürwortete. Mittlerweile wird die Stimme des 68-Jährigen national kaum noch gehört - seine konservative Herero-Partei hat gerade einmal drei Sitze im Parlament und muss bei den Wahlen Ende November weitere Einbußen befürchten, da der Wahlkampf von innenpolitischen Themen dominiert wird. "Der tote Herero darf sich nicht mehr bewegen!", ruft der Regisseur in Richtung eines Statisten, über dessen filmblut-verschmiertes Gesicht ein Lächeln huscht. "Und bitte nochmal alles auf Anfang!"
Der Autor arbeitet als freier Journalist in Namibia