Der Bundestag hat am Dienstag, 8. September 2009, den Weg frei gemacht für die Ratifikation des EU-Grundlagenvertrages von Lissabon. In namentlicher Abstimmung beschloss das Parlament mit 446 von 494 abgegebenen Stimmen das Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union. 46 Abgeordnete stimmten dagegen, zwei enthielten sich. Es ist eines von vier Begleitgesetzen zum Lissabon-Vertrag. Das Bundesverfassungsgericht hatte am 30. Juni das zuvor verabschiedete Begleitgesetz wegen unzureichender Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat für verfassungswidrig erklärt.
Dieser Gesetzentwurf ( 16/13923) war ebenso wie die Gesetzentwürfe zur Umsetzung der Grundgesetzänderungen für die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon ( 16/13924) sowie zur Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union ( 16/13925) von allen Fraktionen mit Ausnahme der Linksfraktion eingebracht worden. Der Bundestag folgte mit der Annahme gegen das Votum der Linken einer Beschlussempfehlung des Europaausschusses ( 16/13985, 16/13986, 16/13994, 16/13995). Kern des erstgenannten Gesetzentwurfs ist ein so genanntes Integrationsverantwortungsgesetz, das die Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat an Entscheidungen der Europäischen Union im Einzelnen regelt.
Mit großer Mehrheit angenommen wurde auch der Entwurf von CDU/CSU, SPD und FDP zur Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union ( 16/13926, 16/13987, 16/13996). Keine Mehrheit fand hingegen ein Gesetzentwurf der Linksfraktion zur Änderung der Artikel 23, 45 und 93 des Grundgesetzes ( 16/13928, 16/13988, 16/13997). Abgelehnt wurden ebenso eine Reihe von Änderungsanträgen der Oppositionsfraktionen zu den einzelnen Gesetzentwürfen ( 16/14013, 16/14017, 16/14018, 16/14011, 16/14015, 16/14019) sowie ein Entschließungsantrag der Linksfraktion ( 16/14014).
In der Debatte begrüßte Thomas Oppermann (SPD), dass von Unionsseite kein Entschließungsantrag zur Abstimmung vorgelegt wurde. „Wir brauchen keine neuen Klagearten beim Bundesverfassungsgericht, wir brauchen keine imperativen Mandate“, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer seiner Fraktion. Die CSU müsse sich entscheiden, ob sie in der „antieuropäischen Ecke“ bleiben wolle. Hinter mancher antieuropäischen Attitüde versteckt sich nach Oppermanns Eindruck nationales Denken. Der „politische Frust“ werde an Europa abgelassen. „Wir brauchen weder linken noch rechten Nationalismus, wir brauchen ein friedfertiges, soziales und demokratisches Europa. Wir kommen dem näher“, sagte Oppermann.
Markus Löning (FDP) zeigte sich froh, dass sich die „Linie der Vernunft“ und nicht die „Linie der Geheimbündelei“ durchgesetzt habe. Die FDP habe vorgeschlagen, dass alle finanziellen Verpflichtungen der Bundesregierung auch vom Deutschen Bundestag kontrolliert werden, sowohl im Zufluss als auch im Haushaltsvollzug. Der nächste Bundestag werde die Bundesregierung mit noch mehr Selbstbewusstsein kontrollieren. Aus Sicht Lönings kommt es darauf an, die EU mit Leben zu erfüllen, nicht mit Postengeschacher und Geschäftsordnungsfragen. Der Bundestag brauche ein Geflecht mit anderen nationalen Parlamenten, eine intensive Pflege der bilateralen Beziehungen zu den Nachbarn.
Gunther Krichbaum, Vorsitzender des Europaausschusses, sprach von einem „guten Tag für den Bundestag, den Bundesrat und den Parlamentarismus in Deutschland“. Die Mitwirkungsmöglichkeiten und -rechte des Bundestages würden durch dieses „echte Parlamentsgesetz“ gestärkt. Die Schwierigkeit habe darin bestanden, eine Balance zu finden, sagte Krichbaum. Die eigene Regierung müsse in Brüssel handlungsfähig bleiben, nur so könnten die Potenziale des Lissabon-Vertrages genutzt werden. Der Bundestag sei als oberstes Verfassungsorgan nicht dem Bundesverfassungsgericht, sondern den Wählerinnen und Wählern gegenüber verantwortlich. Der Beschluss sei auch ein Signal an die EU-Mitgliedstaaten Irland, Polen und Tschechien, die den Lissabon-Vertrag ebenfalls noch nicht ratifiziert haben.
Alexander Ulrich (Die Linke) lobte seine Fraktion, die in Karlsruhe zu den Klägern gegen das Begleitgesetz gehört hatte, weil dadurch von der Bundesregierung „ein Stück Demokratie“ zurückgewonnen worden sei. Ulrich äußerte die Hoffnung, dass die „No“-Kampagne in Irland gegen den Lissabon-Vertrag erfolgreich sein werde. „Wir wollen, dass Europa friedlich, sozial und demokratisch gestaltet wird, deshalb lehnen wir den Vertrag ab“, sagte Ulrich.
Für Manuel Sarrazin (Bündnis 90/Die Grünen) ist am wichtigsten, dass der Bundestag sich für die europäische Politik stärker verantwortlich erklärt. „Wir sind verantwortlich für das, was in Europa passiert“, betonte Sarrazin. Die „befriedende Wirkung“ des Bundesverfassungsgerichtsurteils dürfe nicht infrage gestellt werden. Das Verfassungsgericht habe festgestellt, dass durch den Lissabon-Vertrag die Handlungsfähigkeit der Demokratie gestärkt werde.
Der CSU-Abgeordnete Dr. Peter Gauweiler betonte: "Mit dem neuen Begleitgesetz wurde viel erreicht. Alle Prozessbevollmächtigten haben erklärt, dass dem neuen Begleitgesetz zugestimmt werden kann." Bundestag und Bundesrat hätten zum teil fundamental neue Rechte erhalten. Sei sei etwa künftig bei zwölf Arten von Beschlüssen ein parlamentarisches Zustimmungsgesetz erforderlich, bei sechs weiteren Arten ein zustimmender Bundestagsbeschluss. In drei Fällen seien verbindliche Weisungen von Bundestag und Bundesrat möglich.
Gauweiler nahm auch Bezug auf den von Thomas Oppermann (SPD) angesprochenen Entschließungsantrag. Darin hätte die Bundesregierung aufgefordert werden sollen, dafür zu sorgen, dass im Europäischen Rat festgestellt wird, dass der Lissabon-Vertrag nur nach Maßgabe der im Verfassungsgerichtsurteil dargelegten Gründe gültig ist. Eine solche Erklärung des Bundestages sei nur deshalb obsolet, weil die Bundeskanzlerin dem Parlament erklärt habe, dass sie eine solche Erklärung dem Europäischen Rat und der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft gegenüber abgeben werde.