Europa im Dunkeln - das hatten sich zumindest
verschiedene Umweltgruppen anlässlich der Vorstellung des
UN-Klimaberichts Anfang Februar gewünscht. Für fünf
Minuten sollten überall die Lichter ausgehen, um ein Zeichen
gegen die drohende Klimakatastrophe zu setzen. Zwar erlosch in
Paris der Lichterglanz des Eiffelturms, ansonsten flossen aber auch
in diesen Minuten unzählige Kilowattstunden durch Europas
Netze.
Viel Energie brauchten auch die Abgeordneten
des Europaparlaments und die Vertreter der nationalen Parlamente
auf ihrem Treffen am 5. und 6. Februar in Brüssel. Und das
nicht allein, weil es im riesigen Konferenzsaal kein Tageslicht
gab. Bereits zum dritten Mal diskutierten dort Vertreter aus 27
EU-Mitgliedstaaten und ihre Kollegen aus Kroatien, Mazedonien und
der Türkei mit Europaparlamentariern sowie mit
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und dem
deutschen Kanzleramtschef, Staatsminister Thomas de Mazière
als Vertreter der EU-Ratspräsidentschaft, wie Europas
Wirtschaft neuen Schwung bekommen könne. Lissabon-Strategie
heißt dafür das europäische Zauberwort, das viele
kennen, aber kaum einer versteht. Seit 2000 steht es für den
ambitionierten Plan, Europa bis zum Jahr 2010 zum
wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten
Wirtschaftsraum weltweit zu machen. Dass dieses ehrgeizige Ziel in
Zukunft immer mehr von der Gestaltung einer gemeinsamen
europäischen Energiepolitik abhängt, bezweifelt wohl kein
Abgeordneter mehr. Neben dem Thema "nachhaltige Energie" wurde in
zwei weiteren Arbeitsgruppen über "Binnenmarkt und Innovation"
und die Frage von Ausbildung, Arbeitsplätzen und die soziale
Absicherung von Arbeitnehmern diskutiert, zusammengefasst unter der
kühl distanzierten Wortschöpfung "Humankapital".
Klangkörper Europa
Auch wenn die weit gefassten Themenkreise auf
den ersten Blick weitgehend Einigkeit vermuten ließen, kamen
bei der Frage nach der konkreten Umsetzung viele unterschiedliche
Positionen zum Ausdruck. Bundestagspräsident Norbert Lammert
brachte diese Tatsache zu Beginn der Konferenz auf einen
musikalischen Nenner - aufgrund der deutschen
EU-Ratspräsidentschaft führte er gemeinsam mit dem
Präsidenten des Europaparlaments Hans-Gert Pöttering den
Vorsitz: "Wir haben uns auf ein Stück geeinigt, aber nach den
ersten Proben werden wir noch brauchen bis es aufführungsreif
ist", sagte er in Anlehnung an den früheren
österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Der
hatte bei der Konferenz im Mozartjahr 2006 davon gesprochen, dass
Europa ein Orchester sei, das mehr als Solisten brauche, sondern
vor allem einen gemeinsamen Klangkörper. Ziel des
Parlamentariertreffens sei daher hinsichtlich der
Lissabon-Strategie, so Lammert, "nicht nur eine Bestandsaufnahme,
sondern wie wir sie im Zeitrahmen realisieren können". Auch er
weiß: die Zeit drängt - gerade im Energiebereich. Die
Abgeordneten der Arbeitsgruppe "Nachhaltige Energie", deren Bericht
vom früheren Bundesumweltminister Jürgen Trittin
(Bündnis90/Die Grünen) vorgestellt wurde, sprachen sich
daher fast einhellig für einen Binnenmarkt im Energiebereich
aus. Europa besitze gegenüber der Welt eine große
Verantwortung, so ihr abschließendes Papier. Wie weit die
europäische Vorreiterrolle aber gehen soll, blieb unklar. Zwar
bestand Einigkeit, dass bis 2020 die Treibhausgase um mindestens 20
Prozent verringert werden sollen - auf einen Abbau um 30 Prozent,
mit dem Europa eine Spitzenstellung einnehmen würde, konnten
sich die Abgeordneten jedoch nicht verständigen. Als wichtiger
Baustein für mehr Energiesicherheit nannten auch sie den
Ausbau der europäischen Netze für Strom und Gas. Gerade
die Vertreter kleinerer Mitgliedstaaten forderten hier mehr
Solidarität ein. Europa solle sich auch in Energiefragen
gegenseitig Beistand leisten und gegenüber seinen
Energielieferanten mit einer Stimme sprechen. Keinen Konsens fanden
die Abgeordneten bei Frage der Nutzung der Kernenergie. Auch
welcher Energiemix für die Energieversorgung gewählt
wird, soll weiter Sache der Mitgliedstaaten bleiben.
Wachsendes Bewusstsein
Beim Klimaschutz mit einer Stimme zu
sprechen, zeigt nach Meinung von EU-Kommissionspräsident
Barroso erste Erfolge: "Es gibt ein wachsendes Bewusstsein im
US-Kongress und in der Gesellschaft und auch China wird sich
bewegen. Sie sehen die großen Herausforderungen für ihre
eigene Umwelt." Der Mehrwert der Lissabon-Strategie zeige sich eben
darin, dass die Länder merken, dass sie einen integralen
Ansatz bräuchten. Deutschland will nach Worten von
Kanzleramtschef Thomas de Maizière den Lissabon-Prozess mit
konkreten Maßnahmen ankurbeln. Geplant ist unter anderem die
Verabschiedung eines Maßnahmenpakts zum Bürokratieabbau.
Dadurch sollen langfristig rund 1,3 Milliarden Euro eingespart
werden. Neben Verhandlungen mit Russland zu Energiefragen sind auch
Gespräche mit den USA zum Ausbau der transatlantischen
Partnerschaft vorgesehen. Die Konferenz versuchte, den Terminus
Lissabon-Strategie mit Leben zu erfüllen. Das Treffen diente
aber nicht allein dem Austausch von Meinungen, sondern trug, so
Bundestagsvizepräsidentin Susanne Kastner, auch dazu bei, "den
Meinungsprozess in Europa durch die Abgeordneten zu den
Bürgern zu tragen."