Bei der "Zeit" nannte man sie "Gräfin".
Eine Anrede, die Respekt ausdrücken sollte für eine
Kollegin, auf die man stolz war bei der Wochenzeitung in Hamburg.
Gemeint ist Marion Gräfin Dönhoff, eine der großen
Gestalten der deutschen Publizistik. Am 11. März 2002 starb
die viel bewunderte Journalistin im Alter von 92 Jahren.
"Marion Dönhoff war auf jeden Fall ein
Vorbild. Allerdings war sie gleichzeitig ein Vorbild und eine
Fernbild, sie hatte so eine Aura von Unerreichbarkeit um sich
herum, was aber ja den Vorbildcharakter verstärkt hat. Obwohl
ich persönlich den Eindruck hatte, dass sie diesen Abstand von
sich aus gelegentlich gern überwunden hätte." So
charakterisiert die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin Antje
Vollmer die "Gräfin" in einem von insgesamt 27 Interviews, die
der Journalist Dieter Buhl mit Freunden, Verwandten und
Weggefährten führte und die er zusammen mit der
Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius in Buchform publiziert hat.
Bereits die Liste der Interviewten zeigt, welche Reputation der
Name von Marion Gräfin Dönhoff nicht nur in Deutschland
besitzt: Richard von Weizsäcker, Hildegard Hamm-Brücher,
Henry Kissinger, Egon Bahr, Fritz Stern, Hans-Jochen Vogel, Rupert
Neudeck - um nur einige zu nennen.
Rasanter Fahrstil
Angeregt wurde das Buch von Altbundeskanzler
Helmut Schmidt, der die "Zeit" einst als Dönhoffs Kind
bezeichnet hat, das sie "gepflegt, erzogen und geprägt" habe.
Aber die Interviews geben nicht nur Auskunft über ihr Wirken
als Journalistin, sondern auch über private Vorlieben wie das
rasante Fahren in schnellen Autos.
Das letzte Wort hat allerdings die
"Gräfin" selbst. In einem ihrer letzten Interview, das
Herausgeber Buhl im November 2001 mit ihr führte, sprach sie
über ihre Jugendzeit in Ostpreußen und ihre Lehrmeister.
Befragt, was Menschen unbedingt in ihrer Kindheit und Jugend lernen
sollten, antwortete sie: "Jeder Mensch sollte lernen, an die
Gemeinschaft und an die Nächsten zu denken. Das ist besonders
nötig in einer Wohlstandsgesellschaft, wo es nur um Geld und
die Gehaltsklasse geht." Eine für sie ganz typische und
weitsichtige Antwort. Wie drückt es Henry Kissinger aus?: "Wir
bewegen uns in eine Welt, die Marion niemals verstehen wird."
Dieter Buhl (Hg.): Marion Grafin
Dönhoff.
Wie Freunde und Weggefährten sie
erlebten.
Hoffmann und Campe, Hamburg 2006; 368
S., 22 €