Es wäre so schön, wenn man die
globale Erwärmung für die sinkende Geburtenrate
verantwortlich machen könnte. Oder die vitaminarme
Ernährung. Oder liegt es mal wieder an den egoistischen
Männern? Unsere mediale Diskurskultur liebt monokausale
Erklärungsmuster, weil sie angenehmerweise die
Simplizität der Problemlösung suggerieren. Und wenn es um
den Geburtenrückgang in Deutschland geht, dann ist der eine,
der einzige, der monolithische Grund schnell ausgemacht: fehlende
Betreuungsplätze für Kinder und Kleinstkinder. Oder, in
der erstarrten Formel politischen Themenbrandings: die
Unvereinbarkeit von Familie und Beruf.
Stimmt das? Auf den ersten Blick: ja.
Deutschland steht im internationalen Vergleich schlecht da, wenn es
um Kinderbetreuung geht. Und die Gebärquote dümpelt auf
historischem Tiefstand, unter der der meisten Nachbarstaaten. Auf
den zweiten Blick allerdings erfahren wir allerhand
Merkwürdigkeiten: In Schweden, einem Land, das stolz auf sein
lückenloses staatlich alimentiertes Betreuungssystem ist,
gehen die Geburten zurück. Und bei uns werden ausgerechnet in
Baden-Württemberg die meisten Kinder geboren, obwohl es dort
statistisch gesehen die wenigsten Betreuungsplätze gibt.
Könnte die Sache doch komplizierter sein als gedacht?
Komplexe Argumentationen sind so schwer
vermittelbar wie ein Langzeitarbeitsloser, der erst einen
Ministerpräsidenten provoziert und dann trotz neuen
Haarschnitts und reichlicher Jobangebote dankend verzichtet. Im
Zweifelsfall also: gar nicht. Das "Eva-Prinzip" von Eva Herman, ein
Buch, angetreten mit der Message, dass der Geburtenschwund einer
Neudefinition des Frauenselbstverständnisses, der
Familienbindungen und des Menschenbilds in der ökonomisierten
Gesellschaft folgt, wurde interessiert beäugt, die Rezeption
aber beruhte auf Komplexitätsreduzierung. Oder, in der
erstarrten Formel boulevardesken Themenbrandings: Frauen
zurück an den Herd. Versuchen wir es mal mit zwei Sonden in
die deutsche Befindlichkeit.
Sonde eins. Die Selbstverwirklichungsidee,
eine der wichtigsten Leitideen der Nachkriegszeit, hat ihre
Bühne außerhalb der Familie. Wer nur erzieht, ist ein
halber Mensch, flüstert sie uns ein. Sonde zwei. Intensive,
glückhaft empfundene Bindungen an Kinder entstehen, wenn Zeit,
Aufmerksamkeit, Energie fließen. Mal ehrlich: Warum noch
Kinder, wenn man sie so früh und so lange wie möglich
weggibt? Als Accessoire, wenn man alles andere erreicht hat? "Wozu
soll ich noch ein zweites Kind bekommen, wenn ich doch mein erstes
schon kaum sehe?", seufzte eine schwedische Freundin schon vor
einigen Jahren.
So, jetzt aber bitte ganz schnell
Lösungen. Gut, im Schnelldurchgang: Aufwertung von Familie als
unverzichtbarem sozialem Backing. Aufwertung der Mutterrolle als
menschlich und gesellschaftspolitisch wertvolle Leistung.
Entzerrung der Lebensplanung durch längere
Lebensarbeitszeiten, in denen mehrere Jahre Kinderpause und ein
praktikables Wiedereinstiegsmodell selbstverständlich sind.
Was lernen wir daraus? Dass wir manchmal Fragen anders stellen
müssen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird immer
simultan gedacht: Warum nicht aufeinander folgend, wenn unsere
Lebenserwartung doch stetig steigt? Und außerdem: Wenn wir
denn schon steinalt werden, wäre es schade, wenn wir am Ende
nicht nur Kinder, sondern auch Enkelkinder verpasst
hätten.
Die Autorin ist Ressortleiterin beim "Cicero" und Co-Autorin
des Buches "Das Eva-Prinzip" von Eva Herman.