Der politische Meuchelmord findet vor aller
Augen statt, wird aber für gewöhnlich vom Gemeuchelten
mit Schweigen übergangen. Erstens passt zum Spitzenpolitiker
die Opferrolle nicht, und zweitens geht das Leben weiter. Wer ein
Amt verliert, erhält meist Satisfaktion in Form von neuen
Posten. Oft muss er sich dabei an den Politiker halten, der ihn
entmachtet hat. Oder, was selten vorkommt, an die
Politikerin.
Eine Politikerin war es denn auch, die einen
Entmachteten dazu getrieben hat, öffentliche Klage zu
führen. Als nämlich Angela Merkel Vorsitzende der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion wurde, musste Vorgänger Friedrich
Merz weichen. Er prangerte daraufhin lauthals Komplott und
Hinterhalt an. Stattgefunden hatte eine - für Merz zweifellos
unerfreuliche - Absprache der üblichen Art. Merkel hatte 2002
die Kanzlerkandidatur von CSU-Chef Edmund Stoiber tatkräftig
unterstützt und nach dessen knappem Scheitern die fällige
Belohnung beansprucht. Die Botschaft der Anklage: Merkel meuchelt
Männer. Das haben männliche Spitzenpolitiker auch schon
getan. Da blieb es aber dort, wo die Macht für gewöhnlich
anzutreffen ist: unter Männern.
Merkel eroberte damit die letzte
parlamentarische Bastion: Sie war die erste Vorsitzende einer der
beiden großen Fraktionen, die Oppositionsführerin im
Bundestag. Im Jahr 1991 war Herta Däubler-Gmelin noch mit dem
Versuch gescheitert, SPD-Fraktionschefin zu werden.
Das Merkel-Merz-Beispiel beweist: Die
Geschichte der Frauen in der Politik ist kein abgeschlossenes
Kapitel. Nicht nur prinzipiell, sondern auch praktisch ist belegt,
dass Frauen alles können: Bundestagspräsidentin,
Ausschussvorsitzende, Parlamentarische Staatssekretärin.
Alibifrauen, Quotenfrauen, Ministerinnen und schließlich eine
Bundeskanzlerin haben Geschichte gemacht, die Geschichte eines
steilen Aufstiegs.
Die Verweildauer steigt
Sogar eine Dienstälteste verzeichnen die
Annalen des Deutschen Bundestages mittlerweile. Seit 34 Jahren ist
Däubler-Gmelin Abgeordnete. Sie liegt sogar auf Platz 9 der
ewigen Bestenliste der langjährigen Mandatsträger. Das
ist erwähnenswert. Denn die Verweildauer im Bundestag war
lange Zeit ein signifikanter Unterschied zwischen männlichen
und weiblichen Abgeordneten. Bis in die 1980er-Jahre waren die
Parlamentarierinnen älter als ihre männlichen Kollegen,
weil ihr Politikeinstieg später stattfand. Und sie wurden
seltener wiedergewählt. Heute ist die jüngste
Bundestagsabgeordnete eine Frau, Anna Lührmann von den
Grünen, Jahrgang 1983. Sie hat zwei Sterne im
"Kürschner", ist also schon zum zweiten Mal in den Bundestag
eingezogen.
Bei der Frauenfrage ist der Bundestag seit
jeher ein Spiegel der Gesellschaft. Wenige Frauen, aber steigender
Trend von 1949 (6,8 Prozent) bis 1957 (9,2): Die Männer waren
noch nicht zurück. Fallende Tendenz in den 1960er-Jahren: Das
Wirtschaftswunderland rekonstruierte die traditionellen
Geschlechterrollen. 1972 war mit 5,8 Prozent Frauenanteil der
Tiefpunkt erreicht. Sprunghafter Anstieg im Gefolge von
Bildungsrevolution, Frauenbewegung und grüner Quote: 1987 sind
es über 15 Prozent, 1994 schon über 26. Im aktuellen
Bundestag sind 31,8 Prozent der Abgeordneten weiblich. Das
könnte sich durch Nachrückerinnen noch verbessern - auf
den hinteren Landeslistenplätzen stehen immer noch
vorzugsweise Frauen.
Alter, Dienstalter, Arbeitsgebiete - das
waren lange Zeit die entscheidenden Indikatoren für
Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Abgeordneten.
Sie haben sich eingeebnet. Die Macht der feinen Unterschiede zeigt
sich aber noch bei einem fundamentalen Lebensthema: beim
Familienstand. Frauen waren und sind häufiger allein stehend.
Sie hatten und haben weniger Kinder als ihre männlichen
Kollegen.
Ein hoher Preis
Alle Posten sind erstürmt. Doch Frauen
sind in der Politik immer noch Minderheit. Sie zahlen, siehe
Kinder, einen anderen Preis. Die alte Frage, ob sie es an der Macht
anders, womöglich besser machen, muss auch nach dem ersten
Jahr mit einer Bundeskanzlerin als unbeantwortet gelten.
Unbestreitbar aber ist, dass die weibliche Macht andere Reaktionen
auslöst als die männliche: Siehe Merz. Siehe Chiracs
Handküsse oder die neckischen Handgreiflichkeiten von George
W. Bush gegenüber Merkel. Die viel sagenden Blicke gibt es
immer noch, die Parlamentarierinnen fraktionsübergreifend
austauschen, wenn es im Ausschuss wegen des männlichen
Selbstdarstellungsbedarfs wieder doppelt so lange gedauert hat, als
sachlich geboten war.
In über 50 Jahren bundesdeutscher
Parlamentsgeschichte hat sich sehr gewandelt, wofür und mit
welchen Mitteln Frauen kämpfen mussten. Als Elisabeth
Schwarzhaupt 1961 endlich als erste Frau Bundesministerin wurde,
kommentierte sie: "Also übernahm ich ein Ministerium, dass es
noch gar nicht gab, in dem Bewusstsein, eine von meinen Kolleginnen
schwer erkämpfte Alibifrau zu sein." Dafür muss heute
keine mehr eine Hand rühren. Es wurde als Skandal empfunden,
als die SPD-Abgeordnete Lenelotte von Bothmer am 15. April 1970 im
Hosenanzug zur Plenarsitzung erschien. (Die erste
Bundestagspräsidentin, Annemarie Renger, nahm zwei Jahre
später weibliche Rache und ermahnte den jungen Abgeordneten
Jürgen W. Möllemann, als der in Cordhosen im Bundestag
auftrat.)
Seilschaften bilden
Die Quote, die von allen Parteien mit
Ausnahme der FDP angewandt wird, trägt immer noch ihren Teil
zum steigenden Anteil von Frauen bei. Den Weg zum ersten Platz
garantiert sie nicht. Dafür müssen Frauen die alte
"männliche" Machttechnik beherrschen lernen, Seilschaften zu
bilden und trotzdem zu konkurrieren. Der weibliche Siegeszug ist zu
eindrucksvoll, als dass Forderungen nach einem "Mehr" noch etwas
bewegen könnte. Jetzt kommt es darauf an, die erkämpften
Rollen ausfüllen: als verantwortliche Parlamentarierinnen, als
Politikerinnen, die öffentliches Vorbild sind. Tissy
Bruns
Die Autorin ist leitende Redakteurin beim "Tagesspiegel" in
Berlin.
Stichwort
Frauen in Länderparlamenten
- Aktueller Stand Die höchste Frauenquote
in einem Länderparlament hat nach Prozenten die Bremer
Bürgerschaft (41,0 Prozent), die niedrigste
Baden-Württemberg mit 23,7 Prozent. Zahlenmäßig
liegt das Landesparlament Niedersachsen mit 63 weiblichen
Abgeordneten vorn, Schlusslicht ist hier das Saarland mit 17
Frauen.
- Die Ersten Das hessische Landesparlament war
das erste, in das weibliche Abgeordnete einzogen (1946: 6). Am
längsten männerdominiert: Rheinland-Pfalz. Erst 1987
zogen elf Frauen in den Mainzer Landtag ein - mit ihnen aber 89
Männer.