Selten waren sich die Medien so einig:
"Kommunismus in Sachen Sex und Geschlechterbeziehung" empörte
sich "Cicero", "Politische Geschlechtsumwandlung" titelte die
"Frankfurter Allgemeine Zeitung" und auch der "Spiegel" prangerte
im Beitrag "Der neue Mensch" an, die Bundesregierung habe ein
"Erziehungsprogramm für Männer und Frauen" aufgelegt -
mit tief greifenden gesellschaftlichen Konsequenzen. Im Fadenkreuz
dieser heftigen Kritik: Gender Mainstreaming.
Strukturelle Änderungen
Hinter diesem so kompliziert klingenden
Begriff verbirgt sich eine einfache Erkenntnis: Männer und
Frauen haben oft unterschiedliche Lebensumstände und
Interessen. Diese müssen bei allen gesellschaftlichen Vorhaben
im Blick behalten werden, damit echte Chancengleichheit zwischen
den Geschlechtern bestehen kann. Schweden und Norwegen waren die
ersten Länder, die sich dieses Leitbild auf die Fahnen
schrieben. Mitte der 90er-Jahre hielt Gender Mainstreaming in
beiden Staaten Einzug in kommunale, regionale und nationale
Behörden. Der Anstoß zur Umsetzung auch in anderen
Ländern ging aber von der 4. Weltfrauenkonferenz der Vereinten
Nationen 1995 in Peking aus. Die dort von den Mitgliedstaaten
angenommene "Arbeitsplattform" forderte die Regierungen weltweit
auf, geschlechterspezifische Belange in die Konzeption ihrer
Politik einzubeziehen.
Die Bundesregierung verankerte Gender
Mainstreaming, wie zuvor schon die Europäische Union, 1999 in
ihrer Geschäftsordnung. Fortan sollten in allen
Politikbereichen, ob im Städtebau oder Strafvollzug, die
Auswirkungen auf beide Geschlechter geprüft werden. Unter dem
Stichwort "Gender Budgeting" sollten künftig auch Haushalte
auf den Prüfstand kommen. Der Grund: Politische Entscheidungen
können sehr unterschiedliche Folgen für die Geschlechter
haben. So beträfen etwa finanzielle Kürzungen bei
öffentlichen Verkehrsmitteln Frauen mehr als Männer - sie
benutzen Bus und Bahn öfter als Männer.
Dennoch steht Gender Mainstreaming in der
Kritik: Die Strategie sei nicht nur teuer und undemokratisch, sagen
seine Gegner, sondern sie ziele darüber hinaus auf einen
gesellschaftlichen Wandel, der auf unzulässige Weise den
Menschen und sein Geschlecht verwandeln wolle.
"Quatsch", findet Barbara Stiegler. Sie ist
Referentin der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung und
beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Gleichstellung.
"Gender Mainstreaming ist in erster Linie eine Strategie, die
Routinen auf struktureller Ebene verändern soll, kein
pädagogisches Konzept", sagt sie. Dass manche Kritiker es
dennoch so darstellen wollen, hat ihrer Meinung nach das Ziel: Die
Bemühungen der Gleichstellungspolitik zu diskreditieren.
Der Sozialpädagoge Stephan Höyng
sieht in der Kritik demgegenüber ein Indiz für den Erfolg
von Gender Mainstreaming. Besonders im Jugendbereich zeige das
Konzept Wirkung, meint der Dozent an der Katholischen
Fachhochschule Berlin. Die grundsätzliche Kritik vieler
Männer, darunter auch von Männerforschern wie Walther
Hollstein, die sagt, Gender Mainstreaming sei bloß eine
weitere Spielart des Feminismus und damit einseitig, kann er nicht
nachvollziehen: "Durch Gender Mainstreaming ist zum ersten Mal von
einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen worden, dass auch
Männer in bestimmten Bereichen benachteiligt sein
können." Höyng engagiert sich deshalb mit dem Verein
"Dissens" für eine spezielle Jugendarbeit - doch die geriet im
"Spiegel" unter Verdacht, "Teenagern ihr Geschlecht absprechen zu
wollen". Für Höyng eine Verdrehung der Tatsachen. Ziel
sei es, Jungen von Klischees zu befreien, die sie etwa bei der Wahl
ihres Berufs einschränkten. "Wenn ich Jungen helfe, sich
entgegen eines Männerklischees für eine Ausbildung zu
entscheiden, die ihnen liegt, kann doch niemand ernsthaft dagegen
sein."
Anscheinend doch. Barbara Stiegler sieht die
Ursachen des aktuellen Gegenwindes, in einer wachsenden Angst vor
gesellschaftlichen Veränderungen. "Wir haben eine
Bundeskanzlerin und eine Familienministerin, die Väter dazu
bringen will, Erziehungszeit zu nehmen. Anscheinend macht das
manchen Männern Sorge."
Eine paradoxe Situation, findet die
Gleichstellungsexpertin, denn in der Umsetzung stagniere Gender
Mainstreaming derzeit: "Zwar setzen es die Organisationen, die sich
einmal dafür entschieden haben, noch um. Doch es werden
deutlich weniger, die damit neu beginnen."
Im Vorzeigeland Schweden kann man sich
über die Probleme nur wundern. "Der ehemalige schwedische
Botschafter Carl Tham sagte einmal zu mir, er könne nicht
begreifen, warum man über Gender Mainstreaming hierzulande
noch immer streitet", erzählt Barbara Stiegler, "in Schweden
sei das mittlerweile Konsens".
In Berlin zumindest arbeiten seit zwei Jahren
nahezu alle Senats- und Bezirksverwaltungen nach
Gender-Mainstreaming-Prinzipien - mit Erfolg. "Die
Gender-Perspektive hat unseren Blick für die Bedürfnisse
von Männern und Frauen geschärft", sagt Sybille
Krönert, Genderbeauftragte der Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung. Grundsätzliche Unterschiede gebe es weniger.
"Männer und Frauen achteten nur auf andere Aspekte", sagt sie.
Ein Beispiel: "Mehr Radwege in der Stadt - das befürworten
alle. Doch während Männer auf einen Asphaltbelag Wert
legen, um zügig fahren zu können, fragen Frauen nach
Sicherheit, damit Kinder unbeschadet spielen können." In der
Umsetzung müssten beide Bedürfnisse beachtet werden. Die
große Aufregung um Gender Mainstreaming als Ansatz kann
Krönert nicht verstehen: "Eigentlich ist der Ansatz doch ein
Friedensangebot im Kampf der Geschlechter."
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin.