"Ich bin nur eine von vielen, die ihre Heimat
verloren haben", so die Exilafghanin Rona Yussof-Mansury. Vor 39
Jahren kam sie nach Deutschland und blieb, weil die politischen
Verhältnisse nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen in
Afghanistan 1979 sie dazu zwangen. Ihr Vater Mohammad Yussof, 1962
bis 1964 Ministerpräsident des Landes und von 1966 bis 1973
Botschafter in Deutschland, reiste mit der Familie ins deutsche
Exil. Rona Yussof-Mansury engagierte sich in den 80er-Jahren mit
ihrem Vater für eine friedliche Konfliktlösung. Als nach
dem Abzug der Sowjets aus Afghanistan im Jahre 1992 das Land
für die Weltöffentlichkeit an Bedeutung verlor,
gründete Rona Yussof-Mansury mit anderen Exilafghaninnen in
Hagen die Hilfsorganisation "Afghanischer Frauenverein e.V.".
Über 60 Projekte, vor allem für Frauen und Kinder, wurden
seitdem abgewickelt: Schulen, Ausbildungszentren,
Krankenhäuser, Brunnenprojekte.
Aufgewachsen war Rona Yussof-Mansury in einem
für sie anderen Afghanistan. Mit der neuen Verfassung von 1964
hatte sich die gesellschaftliche Stellung der Frauen gewandelt, vor
allem in den Städten. Vor dem Gesetz waren Frauen
gleichberechtigt und arbeiteten als Ministerinnen,
Universitätsdozentinnen, Richterinnen, Ärztinnen und
Lehrerinnen. Rona Yussof-Mansury selbst studierte von 1962 bis 1966
Chemie und Biologie an der Universität Kabul.
Eine Zäsur in ihrem Leben bedeutete die
sowjetische Besetzung Afghanistans im Dezember 1979, denn ein Krieg
begann, der sich auch nach 1992 in verschiedenen Phasen bis heute
fortsetzt. Frauen und Kinder leiden besonders unter den Folgen:
Flucht, Trauer, Traumatisierung, Erniedrigung, Zerstörung
ihrer Familien, Armut, Krankheit, Perspektivlosigkeit. Das Land ist
zerstört, die Böden sind vermint.
Nach dem 11. September 2001 richtete sich der
Fokus der Weltöffentlichkeit plötzlich erneut auf das
Land. Westliches Militär zog ins Land, das Taliban-Regime
wurde zerschlagen. Die Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg bei
Bonn führte zur Ausarbeitung einer Verfassung, zur
Vorbereitung von Wahlen und Entsendung internationaler
Schutztruppen. Diesen Prozess begleitete auch Rona Yussof-Mansury.
Als Vertreterin der so genannten "Rom-Gruppe" um König Sahir
Schah setzte sie sich für freie Wahlen und für die
Respektierung der Menschenrechte in Afghanistan ein.
Fünf Jahre danach stellt sich die Frage:
Was hat sich geändert für die afghanischen Frauen?
Zunächst wurde 2004 eine Verfassung verabschiedet, die Frauen
und Männern vor dem Gesetz gleiche Pflichten und Rechte
zuweist. 25 Prozent der Abgeordneten des 2005 gewählten
Parlaments sind seither Frauen. Seit Ende des Taliban-Regimes
nehmen Frauen vermehrt am öffentlichen Leben teil. Sie gehen
Berufen nach, die Mädchen erhalten eine Schulbbildung. An den
Universitäten von Kabul und Herat sind bereits 30 Prozent der
Studierenden weiblich.
Während in den Städten viel
erreicht wurde ist die Lage auf dem Land anders: Ein
Emanzipationsprozess nach rein westlichem Muster wird hier nicht
möglich sein. Nur ganz behutsam, unter Berücksichtigung
der Traditionen - und unter Einbeziehung der Männer - kann
Veränderung Früchte tragen. Auch die Männer
benötigen Bildung und Arbeit und einen Hoffungsschimmer.
Doch richtigen Frieden gibt es bisher nicht
in Afghanistan - und parallel zu den jüngsten kriegerischen
Auseinandersetzungen hat sich die Situation vieler Frauen wieder
verschlechtert. Die Ursachen sind vielschichtig. Krieg und extreme
Armut verstärken die Not. Es mangelt an Nahrung,
gesundheitlicher Versorgung, Bildung und Ausbildung.
Fatal ist, wenn sich die Medien einseitig auf
Negativberichte beschränken, die afghanische Frauen als Opfer
präsentieren, eingezwängt in die so genannte Burka, das
Symbol der Unterdrückung. "Es ist richtig, die Frauen sind in
vielen Bereichen von der Macht ausgeschlossen, aber in anderen sind
sie tätig - trotz der schwierigen Umstände", sagt Rona
Yussof-Mansury. Viele starke Frauen engagieren sich für ihr
Land, leiten Mädchenschulen und Krankenhäuser. Die
Menschenrechtlerin Sima Samar, ehemalige Frauenministerin, ist
Repräsentantin der afghanischen Sektion von "amnesty
international". "Malalai", eines der ersten afghanischen
Frauenmagazine, informiert Frauen über ihre Rechte,
thematisiert auch die Probleme in den ländlichen
Gebieten.
Beim Radio und im staatlichen afghanischen
Fernsehen arbeiten Frauen für Frauen und produzieren Sendungen
zu gesellschafts- und frauenpolitischen Themen. Sportförderung
für Frauen und Berichte über ihren Sport im Fernsehen
sind ein bemerkenswertes Zeichen. Hilfe zur Selbsthilfe für
Frauen ermöglichen besonders auch die vielen kleinen
Hilfsorganisationen mit geringstem Verwaltungsaufwand; sie bieten
Ausbildungen, Arbeitsmöglichkeiten, gesundheitliche
Versorgung. "Die Entwicklung benötigt Zeit. Nach Jahrzehnten
des Krieges wird es für die Frauen keine schnellen
Lösungen geben", so Rona Yussof-Mansury, die zudem betont:
"Gerade jetzt, angesichts der aktuell unsicheren politischen
Situation, benötigen die Afghanen unsere Solidarität,
unsere Unterstützung. Eine große Gefahr für Frieden
und Aufbau ist die Resignation der Bevölkerung. In fünf
Jahren wurden nur sieben Milliarden Dollar für zivile
öffentliche Entwicklungshilfe, aber 90 Milliarden Dollar
für das Militär ausgegeben. Man überlege nur, wie
viele Schulen, Universitäten, Krankenhäuser hätten
gebaut werden können für Frauen, für Kinder,
für alle."
Und noch etwas verdeutlicht Rona
Yussof-Mansury: "Gut ausgebildete und gesunde Menschen können
Verantwortung tragen beim Aufbau ihres Landes. Und in diesem
Prozess sind die afghanischen Frauen Hoffnungsträgerinnen.
Niemand kann auf ihre Kraft verzichten - einen Frieden wird es ohne
sie nicht geben."
Die Autorin ist seit 1994 Mitarbeiterin im Afghanischen
Frauenverein mit Sitz in Osnabrück.