Der Begriff "Jihad" wird hierzulande als
"Heiliger Krieg" verstanden, mit dem einige Radikale dem Westen
gewaltsam den Islam aufzwingen wollen. Wer da unter dem Slogan
"Gender Jihad" für mehr Rechte der Frau in islamischen
Gesellschaften kämpft, erweckt daher ein Stirnrunzeln. Jetzt
auch noch der islamische "Krieg der Geschlechter"?
Für Asra Nomani ist diese Art von
Interpretation ein Ausdruck westlicher Klischees. Die amerikanische
Journalistin ist Teil einer immer größer werdenden
Bewegung von moslemischen Frauen, die seit Anfang der 1990er-Jahre
weltweit für weibliche Emanzipation und Reformen innerhalb des
Islams kämpfen. "Jihad" bedeute in erster Linie "Anstrengung,
Bemühung", nicht "Heiliger Krieg" - eine von vielen
Fehleinschätzungen, die eine produktive Auseinandersetzung
zwischen Ost und West verhinderten. "Islam ist kein Widerspruch zum
Feminismus", meint Nomani. "Im Gegenteil, Emanzipation passt sehr
gut zu den frühen Lehren unserer Religion und gibt Hoffnung,
den Extremismus zu überwinden".
Die Journalistin kämpft in den USA
für die "Seele des Islams". Andere Frauen sind in Pakistan
(Asma Barlas), im Iran (Ziba Mir-Hossein) oder im Libanon (Azizia
al-Hibri) aktiv. Mit Feministinnen wollen diese Frauen allerdings
nicht verwechselt werden. Feminismus ist ein säkularer,
westlicher Begriff, der im Zuge der linken Studentenrevolte der
1960er-Jahre entstand. Für eine internationale Konferenz im
Oktober 2005 in Barcelona wurde deshalb "Gender Jihad" als Motto
gewählt. Rund 250 Frauen aus der ganzen Welt trafen sich dort
zum ersten Mal, um über gemeinsame Strategien im Kampf
für Gleichberechtigung nachzudenken. Eine Gleichberechtigung,
die sich nicht wesentlich von der im Westen unterscheidet: Absolute
rechtliche Gleichstellung und Selbstbestimmungsrecht der Frau -
aber eben unter dem Banner der Religion. Das Tragen eines Kopftuchs
oder eines Schleiers ist damit nicht automatisch verbunden. "Es ist
nicht der Islam, der Frauen das Kopftuch vorschreibt, sondern es
sind die Gelehrten", schrieb Asar Nomani in einem Artikel für
die Washington Post.
Zurück zu den Ursprüngen
Zweifelhafte Unterstützung bekommen die
"Jihadistinnen" mittlerweile auch von sehr konservativen,
islamistischen Kreisen, zum Beispiel vom sudanesischen
Islamistenführer Hassan Al-Tubari - der 74-jährige
Theologe gewährte einst Osama bin Laden 1991 bis 1996 Asyl im
Sudan.
In Marokko hat sich die umstrittene Bewegung
"Gerechtigkeit und Spiritualität" von Nadia Yassine dem
Streben nach Gleichberechtigung angeschlossen. "Die Geschichte des
Islams ist eine Geschichte des Machismo", erklärt Yassine, die
Führerin der Bewegung. "Immer wieder waren es Männer, die
die heiligen Texte interpretiert haben. Das muss sich ändern."
Durch eine zeitgemäße Auslegung ("ijtihad") und Analyse
("tafsir") durch Frauen soll ein neuer Kanon entstehen, der dem,
"tatsächlichen" Islam entsprechen soll, wie er im 7.
Jahrhundert zu Zeiten des Propheten Mohammed praktiziert wurde. Der
Koran gehe nämlich von einer absoluten Gleichberechtigung der
Geschlechter aus, niemand dürfe dem anderen überlegen
sein, sagt Yassine. Als 2003 in Marokko das Familienrecht zugunsten
der Frau geändert wurde - ein Schritt, der in der
islamisch-arabischen Welt als historischer Schritt in Richtung
vollkommene Gleichberechtigung der Geschlechter gewertet wird -
erklärte die Aktivistin: "Das sind nur halbherzige
Maßnahmen, da muss noch viel mehr geschehen".
Lippenbekenntnisse
Für Latifa Jbabdi, die Präsidentin
der marokkanischen "Union de l'Action Feminine", sind das aber nur
bloße "Lippenbekenntnisse": Sie hält die
Unterstützung der Frauen aus islamistischen Kreisen für
einen gut geplanten Mediencoup. "Nach außen hin geben sie
sich liberal, aber in Wirklichkeit denken und machen die
Ultrakonservativen das Gegenteil."
Die Frauenrechtlerin (siehe Interview auf
dieser Seite) beruft sich auf ihre Erfahrungen mit Yassines
Bewegung "Spiritualität und Gerechtigkeit": "Bei der
progressiven Neugestaltung des Familienrechts", so die
Präsidentin der "Union de l'Action Feminine", "hat uns weniger
die marokkanische Regierung behindert, als Nadia Yassine." Man
dürfe auch nicht vergessen, dass "Gerechtigkeit und
Spiritualität" im Jahr 2000 mit Demonstrationen für eine
Geschlechtertrennung an den Stränden Marokkos eingetreten sei.
"Mit Emanzipation hat das nun wirklich nichts zu tun", betont
Jbabdi.
Die ideologischen Differenzen und Kämpfe
zwischen den mal mehr, mal weniger konservativen Verfechterinnen
eines islamischen Feminismus sind also groß und teilweise
undurchschaubar - letztendlich zeigen sie in erster Linie, wie sehr
mit dem "Gender Jihad" die innerkulturelle Auseinandersetzung
über die Rolle der Frau im Islam in Bewegung geraten ist. In
Südafrika, den USA und mittlerweile auch in der Türkei
beten Frauen und Männer, trotz aller Widerstände,
inzwischen sogar gemeinsam in Moscheen.
"Gender Jihad" ist insofern ein Versuch, das
System langsam von innen her zu verändern, ohne die
Grundprinzipien in Frage zu stellen. Der Koran gilt nach wie vor
als das Buch der Bücher, wird allerdings "neugelesen" und
"neuinterpretiert" mit einer weiblichen Perspektive - vielleicht
eine Erfolg versprechende Strategie, Veränderung in streng
konservative, islamische Gesellschaften zu bringen.