Frau Käßmann, sind Sie zufrieden mit der Repräsentanz von Frauen in Ihrer Kirche?
Ich bin zurzeit zufrieden, weil ich denke, die evangelische Kirche entwickelt sich parallel zur Gesellschaft. Natürlich gibt es auch bei uns an der Spitze deutlich weniger Frauen als Männer. Aber dennoch: Frauen sind in allen Leitungspositionen angekommen. Es gibt nun leitende Juristinnen und Theologinnen. Allerdings noch nicht halbe-halbe. Noch findet man bei unseren 30.000 Hauptamtlichen auch sehr viel mehr Frauen in den niedrigen Gehaltsklassen als Männer.
Richtig zufrieden klingt das nicht.
Wenn ich mir die Leitungsebene der Kirchenkonferenz anschaue - das sind alles leitende Geistliche, alles leitende Juristen - dann haben wir noch einen weiten Weg zu gehen. Aber wenn Sie überlegen, dass um 1908 die erste Frau Theologie studiert hat, dass die ersten Frauen erst nach dem Zweiten Weltkrieg ordiniert wurden, dass erst im Jahr 1973 die volle Gleichstellung von Pastoren und Pastorinnen erfolgt ist und wir heute fast ein Drittel Pastorinnen haben - dann ist das kirchengeschichtlich gesehen ein enormer Fortschritt.
Aus der Perspektive Ihrer Töchter wirken die Frauen weiterhin unterrepräsentiert.
Drei Bischöfinnen unter 25 leitenden Geistlichen - das ist zuwenig. Und mehr als die Hälfte der Pastorinnen arbeitet in Teilzeit, weil sie Familie hat. Auch für Frauen in der Kirche gilt, dass die Vereinbarkeit von Familie oder Partnerschaft mit dem Beruf weiterhin ein Problem bleibt. In der evangelischen Kirche haben wir zunehmend Pastorinnen, die Single sind. Auch da liegen wir im normalen Trend.
Wie werden die angenommen?
Eine alleinstehende Pastorin hat es wesentlich schwerer. Beziehen sie mal eine Pfarrwohnung mit 240 Quadratmetern als Single auf dem Dorfe. Da wird dann immer geschaut, weshalb sie keine Kinder hat oder weshalb noch nicht. Frauen werden viel stärker nach ihrem privaten Umfeld beurteilt. Mit oder ohne Kinder haben sie es nicht leicht. Es sind die Bilder: Eine Mutter gehört zu den Kindern, und wie kann der Mann das überhaupt aushalten, dass die Frau immer da vorne steht.
Sind Frauen in der evangelischen Kirche selbst zu zurückhaltend? Immerhin haben sie dort theoretische Aufstiegsmöglichkeiten im Vergleich zur katholischen Kirche.
Ich sehe heute durchaus junge Frauen mit dem Willen zu leiten. Die kommen zu mir und sagen, sie möchten Superintendentin werden und trauen sich das auch zu. Aber die Familienfrage ist bei allen schwer. Wenn sie Familie haben und eine Leitungsposition einnehmen, kann die Spannung ungeheuer belastend sein. Viele Frauen äußern dann den Vorbehalt, ob sie sich dem Druck und Stress einer solchen Position aussetzen wollen. Da ist die Frage: Was ist mir wichtig im Leben? Und die entscheiden Frauen oft anders als Männer.
Wie ging es Ihnen selbst?
Als ich zur Bischöfin gewählt worden war, hatte ich auch eine Phase des Zweifels, weil ich meine eigenen Bilder von einer Führungspersönlichkeit hatte. Ich dachte: Das bist Du nicht, das kannst Du überhaupt nicht. Und auch von außen habe ich in meinem ersten Jahr diese Frage gespürt: Kann die das? Die einzige Möglichkeit war dann, "Ich" zu bleiben. Nun, im achten Jahr, ist es wesentlich leichter.
Sollte sich die Kirche also noch stärker für Frauen öffnen und vielleicht sogar mitbedenken, dass es auf deren Seite oft einen Mangel an Zutrauen gibt?
Die evangelische Kirche Deutschlands ist da auf einem guten Weg. Es geht jetzt um das Genderbewusstsein. Das Wort "Gender" zu erwähnen, also das von der Gesellschaft zugeschriebene Rollenverhalten, erzeugt aber oft noch Heiterkeit, ist immer noch eine Lachnummer in der Kirche. Wie überall. Dabei ist es an der Zeit, dass Männer überlegen, wer sie als Mann sind. Ich sehe das in unserer Kirche, aber auch in der Gesellschaft, als das viel größere Problem. Ich erlebe Mädchen und junge Frauen, die etwas erreichen wollen. Aber denken Männer in unserer Kirche und in unserer Gesellschaft darüber nach, was Männlichkeit bedeutet? Es ist in der Regel eine unreflektierte Selbstwahrnehmung.
Sie sind vielleicht einige der wenigen Führungspersonen in der evangelischen Kirche mit diesem Bewusstsein. Was tun Sie dafür?
Zum einen haben wir Mentoring-Programme eingeführt für Frauen und Männer, in denen das Gender-Thema bewusst besprochen wird. Ich versuche, das bei Einstellungsgesprächen zu bedenken. Männer legen einem sofort einen Lebenslauf hin, der nach etwas aussieht. Frauen sagen, sie wüssten nicht, ob sie sich trauen sollen. Feministische Theologie ist zudem noch ein Schimpfwort in der Kirche - das versuche ich zu ändern. Wir sollten Gott nicht so fixieren auf Geschlechtlichkeit und den Begriff "Vater Gott". Es geht darum, die Gottesbilder zu erweitern. Da kann ich als Bischöfin einiges tun, was dann auch Zorn hervorruft.
Womit hatten Sie Ärger?
Seitdem die "Bibel in gerechter Sprache" erschienen ist, werde ich überschüttet mit wütenden Briefen von Menschen, die schreiben, Gott sei der Herr und sonst nichts. Da kommen tiefste Ängste vor einer totalen Feminisierung der Kirche hoch. Da kann eine Bischöfin in der Personalpolitik und in der Bewusstseinsbildung einiges fördern. Oder wenn es bei einer Einstellung heißt: Die können wir gar nicht fragen, die hat zwei kleine Kinder. Dann sage ich: Natürlich fragen wir sie, weil sie das selbst entscheiden wird, ob sie das mit zwei kleinen Kindern kann oder nicht. Oder wenn es heißt: In dem Kirchenkreis sind schon zwei Frauen Superintendentin, da können wir nicht noch eine Superintendentin hinsetzen, sage ich: Es hat noch nie einen gestört, wenn in einem Sprengel sieben Männer sind!
Sie sind eine der Mitautorinnen und Unterstützerinnen der "Bibel in gerechter Sprache". Tun Sie sich persönlich schwer mit der Vaterfigur Gott, die sich zum Beispiel im Vaterunser ausdrückt?
Wir müssen die Texte, die wir als Erbe mitsprechen, nicht immer alle Wort für Wort zu den unseren machen. Ich kann mich gut fallen lassen in dieses Erbe der Väter und Mütter im Glauben. Dieses zentrale Gebet wird nun seit 2000 Jahren so gesprochen. Ich kann Gott aber auch als Mutter sehen, als Freundin oder Ewige, und als Vater im positiven Sinne. In der Alternativ-Bibel heißt es "Du Gott bist uns Vater und Mutter im Himmel, dein Name werde geheiligt, deine gerechte Welt komme". Ich halte die Übersetzung für spannend - sie will doch die Luther-Übersetzung nicht ersetzen. Ich erhalte an der Stelle auch nur Kritik von Männern, denen das Angst macht. Das ist eine Erschütterung ihres Gottesbildes.
Wie würden Sie das vorherrschende Frauenbild der heutigen evangelischen Kirche beschreiben?
Die evangelische Kirche hat angefangen zu entdecken, dass in der Bibel die Unterordnung nicht das Hauptthema ist, wie es Jahrhunderte lang tradiert wurde. Gott schuf den Menschen in Vielfalt, beide Bereiche spiegeln die Wirklichkeit Gottes.
Das wird stärker erkannt, aber die Kirche ist deswegen nicht die Speerspitze der Veränderungsbewegung.
Es wird dauern, bis klar ist, dass es nicht um eine herablassende Frauenförderung geht. Sondern dass es ein Defizit der Kirche ist, wenn nicht beide Geschlechter in allen Ebenen agieren.
Was unterscheidet das evangelische Frauenbild von dem der katholischen Kirche?
Kann eine Frau Priester werden - das ist für mich schon die zentrale Frage.
Die Katholiken würden sagen, dass Jesus Jünger berufen hat. Wir würden sagen, dass er biblisch gesehen zuallererst Frauen in die Verkündigung gesandt hat.
In der katholischen Kirche zählt eben die Tradition genauso viel wie die Bibel. Und das macht die evangelische Kirche etwas freier: Vom biblischen Zeugnis her gibt es nichts, was gegen die Frauenordination spricht.
Sie stehen als Bischöfin in Kontakt mit den Menschen in privaten und familiären Fragen. Was wünschen Sie sich von der Politik?
Ich würde mir wünschen, dass es endlich Bildungsprogramme gibt, die Kinder aus sozial schwachen Familien ganz anders ausstatten. Wir sollten auch die Gender-Frage mit Blick auf die jungen Männer und ihre Identifikationsmodelle endlich ernster nehmen.
Und wenn wir von derselben Würde jedes Menschen sprechen, wäre es gesellschaftspolitisch wichtig, dass wir mal aufhören, Frauen nach ihrer Lebenssituation zu beurteilen: Es gibt keine unterschiedliche Wertigkeit zwischen einer Frau, die sich für Kinder, und einer, die sich gegen Kinder entscheidet.