Frauen können es in Deutschland
niemandem recht machen, immerhin darin sind sich die Parteien
einig: Haben sie keine Kinder, gelten sie als Karriereweiber. Gehen
sie trotz Kindern arbeiten, sind sie Rabenmütter. Und bleiben
sie für den Nachwuchs zu Hause, werden sie als Heimchen am
Herd abgestempelt. Die Fachpolitiker aller sechs Parteien im
Bundestag kennen diese Klischees und haben die Notwendigkeit eines
gesellschaftlichen Wandels in der Frauenpolitik erkannt: Junge,
qualifizierte Frauen werden durch die demografische Entwicklung
bald massiv auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt, und die meisten
wollen auch mit Kindern weiterarbeiten. Gleichzeitig haben Familie
und Zeit für den Nachwuchs einen viel höheren Stellenwert
für sie als noch vor einigen Jahren - die Frauen wollen ihr
Lebensmodell selbst und ohne Nachteile wählen. Plötzlich
gelten Frauenförderung, Gender Mainstreaming oder
Lebensgemeinschaften statt Ehen selbst bei den Volksparteien nicht
mehr als exotische Vokabeln. Den Frauen gehört die Zukunft -
die Botschaft ist in der Politik angekommen.
Die SPD
"Frauen- und Familienpolitik ist
Ökonomie." Mit diesem Satz machte die stellvertretende
SPD-Fraktionsvorsitzende Nicolette Kressl ihrer Partei gleich klar,
dass das "Gedöns"-Thema (Gerhard Schröder) jetzt ganz
oben auf der Agenda steht und sich auch andere Politikbereiche
daran ausrichten müssen. "Ohne Vertrauen in sichere
Arbeitsplätze oder gute Bildungschancen verzichten viele
Frauen und Männer lieber auf Kinder", sagt Kressl, "daher
gehört weit mehr zu erfolgreicher Frauenförderung als nur
bessere Betreuungsmöglichkeiten." In einem ersten Schritt will
eine SPD-Arbeitsgruppe deshalb unter Leitung von Kressl und der
Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann ein
Finanzkonzept vorlegen. Darin schlägt die SPD vor, nicht
zusätzliches Geld an Familien zu zahlen, sondern deutlich mehr
Mittel in Infrastruktur zu stecken, "die direkt Kindern und Eltern
zu Gute kommt", erklärt Kressl, "denn größere
Unabhängigkeit schafft größere Chancen für
Frauen, ihr Lebensmodell zu leben." Geldmittel dafür
wären vorhanden, wenn man für eine gewisse Zeit auf eine
Erhöhung des Kindergelds verzichten und das Ehegattensplitting
so reformieren würde, dass Kinder und nicht Ehen
gefördert werden. Auch Einsparungen in Milliardenhöhe
durch die sinkende Geburtenrate sollen nach dem Willen Kressls von
Bund, Ländern und Kommunen gezielt in den Ausbau der Betreuung
gesteckt werden statt im allgemeinen Haushalt zu
verschwinden.
Daneben bleibt es Kressls Ziel, die
Frauenerwerbsquote durch gezieltere Arbeitsmarktpolitik deutlich zu
erhöhen. In jedem Fall habe es bei dem ganzen Thema einen
Wandel in der Partei gegeben, erzählt Kressl: Was früher
kurz als nettes Wahlkampfthema lief, sei jetzt ein Dauerbrenner.
Die Expertin für Frauen, Familie und Senioren hat keine
eigenen Kinder, aber ihr Lebenspartner brachte einen
achtjährigen Sohn und eine fünfjährige Tochter mit
in die Beziehung. "Daher kenne ich die immense Organisation und das
Rabenmuttergefühl, wenn ich am Wochenende im Wahlkreis mal
wieder ein Feuerwehrjubiläum hatte statt eines Nachmittags mit
den Kindern", erzählt die 48-Jährige aus
Baden-Baden.
Organisieren ist ihre Stärke, und die
braucht sie als Bindeglied zwischen Fraktion und Fachministerien
auch. In der Fraktion gilt Nicolette Kressl als Strippenzieherin
mit gutem Draht zu Parteichef Franz Müntefering und
Fraktionschef Peter Struck. Kressl: "Mit guter Kommunikation
erreicht man in der Frauen- und Familienpolitik oft mehr als mit
lauten Forderungen."
Die CDU
Ähnlich gewieft geht Ilse Falk,
ebenfalls stellvertretende Fraktionsvorsitzende, in der CDU vor.
Neben Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) gilt die vierfache
Mutter als ausgewiesene Fachfrau beim Thema Frauen und Familie. Die
Christdemokraten wollen das Ehegattensplitting, das bislang vor
allem Alleinverdiener-Ehen entlastete, zu einem echten
Familiensplitting umbauen. "Familien muss deutlich mehr übrig
bleiben als kinderlosen Lebensgemeinschaften", erklärt Ilse
Falk. Für die CDU wäre das eine kleine Revolution in der
Frauenpolitik, denn damit entfiele die staatliche Förderung
der klassischen Rollenteilung: Frau hütet die Kinder, Mann
verdient das Geld.
Außerdem stehen auf der Agenda der
Christdemokratin aus Xanten familiengerechtere Arbeitszeiten und
eine bessere Akzeptanz für Teilzeit. "Das gerade vereinbarte
Bündnis von Ursula von der Leyen mit der Wirtschaft ist nur
ein Anfang", betont Falk, "die Wirtschaft muss viel mehr tun.
Qualifizierte Frauen werden bald begehrte Arbeitskräfte sein -
darauf können sich die Unternehmen ruhig schon einstellen.
Junge Frauen treten heute mit einem anderen Selbstverständnis
an."
Sportlich, kurze Haare, blitzend blaue Augen
hinter randloser Brille und eine Portion Gelassenheit - man ahnt
sofort, dass Ilse Falk ziemlich hartnäckig sein kann, wenn sie
etwas durchsetzen will. Selbst ist sie eher den klassischen Weg
gegangen: Erst Hausfrau und Familie, dann die Politik. "Ich war
immer dankbar, dass ich das so machen konnte und empfand es als
Luxus, denn viele sind nun mal auf ein zweites Einkommen
angewiesen." Leicht hatte sie es trotzdem nicht: Die
Zwillingstöchter starben an einer schweren Krankheit. In die
Politik ging Falk erst, als der jüngs-te Sohn schon 16 Jahre
alt war. "Da war ich fast die einzige Abgeordnete mit praktischen
Erfahrungen im Familienmanagement", erzählt sie, "zum
Glück hat sich das in der Partei heftig geändert." Auch
die Rolle der Frau und das Familienbild: Nun gelte: "Familie ist,
wo Eltern für Kinder und Kinder für Eltern Verantwortung
übernehmen." Damit akzeptiert die CDU faktisch auch
gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften mit Kindern.
Die CSU
"So weit gehen wir dann doch nicht", sagt
dazu Johannes Singhammer von der CSU. Im Bundestag ist der
53-Jährige zwar familienpolitischer Sprecher für CDU und
CSU, aber ein paar unterschiedliche Ansichten gibt es doch zwischen
den Schwesterparteien. "Ehe und Familie bleiben unser Leitbild,
Adoptionen durch gleichgeschlechtliche Partnerschaften sind in der
CSU nicht vorstellbar", erklärt Singhammer. Jeder solle sich
sein Lebensmodell aussuchen, aber mit der CSU gebe es keine
Politik, die Müttern, die sich ausschließlich für
die Kindererziehung entschieden haben, den Respekt versagt.
Doch auch in der CSU ist man bei der Frauen-
und Familienpolitik mächtig in Bewegung gekommen: Nachdem
CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer im vergangenen Jahr die so
genannten "Vätermonate" beim Elterngeld noch als
"Wickelvolontariat" verspottete, erklärte er in dieser Tage,
"es schadet keinem jungen Vater, sich um Kinder, Familie und
Haushalt zu kümmern". Singhammer wünscht sich
mittlerweile, "dass es Vergleichbares wie das Elterngeld schon
früher gegeben hätte". Es dürfe künftig nicht
so sein, dass die Belastung durch die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf alleine auf den Schultern der Frau liege. Der 53-jährige
Familienpolitiker hat sechs Kinder, die überwiegend seine Frau
aufzog, während er als Abgeordneter pendelte. "Im
Rückblick habe ich da doch sehr vieles verpasst", gibt er
zu.
Die Christsozialen fordern zunächst eine
höhere steuerliche Absetzbarkeit für
Kinderbetreuungskosten. Für die berufliche Planung der Frauen
müsse klarer sein, in welchen Lebensphasen welche finanzielle
Förderung erfolgt. "Berufseinstieg, Kinderkriegen, Kosten
für Eigenheim oder Miete und Altersvorsorgung - alles soll
gleichzeitig stattfinden", sagt Singhammer. "Viele junge Familien
sind damit überfordert und entscheiden sich lieber gegen ein
zweites oder mehr Kinder. Diese Rush-hour im Leben müssen wir
finanziell entzerren, wenn wir eine größere
Gleichberechtigung herstellen wollen." Eine
Bund-Länder-Familienkasse sei dafür ein erster
Schritt.
Bündnis 90/Die Grünen
Die familienpolitische Sprecherin der
Grünen, Ekin Deligöz, lebt das Singhammer-Modell genau
umgekehrt. Als Bundestagsabgeordnete pendelt sie zwischen Berlin
und der schwäbischen 22.000-Einwohner-Stadt Senden, ihr Mann
blieb für den inzwischen 5-jährigen Sohn anderthalb Jahre
zu Hause und arbeitet jetzt in Teilzeit. "Die traditionelle
Versorgerehe ist ein Auslaufmodell. Es gibt unterschiedlichste
Familienformen, in denen Kinder aufwachsen, und ihre Mütter
wollen Gleichberechtigung in allen Lebensentscheidungen - darauf
muss die Politik Antworten geben", erklärt die aus der
Türkei stammende Abgeordnete das Ziel der Grünen.
Die Grünen fordern die Abschaffung des
Ehegattensplittings und eine eigenständige Existenzsicherung
von Frauen. Ein Familiensplitting à la CDU lehnen sie
allerdings auch ab, weil sich damit nur das Prinzip "je höher
das Einkommen, desto höher das Steuergeschenk" verstärke.
Stattdessen soll die Steuervergünstigung durch das
Ehegattensplitting bei hohen Einkommen gekappt werden und nur bei
kleineren Einkommen bestehen bleiben. Die frei werdenden Mittel
durch dieses "Realsplitting" in Höhe von etwa 5 Milliarden
Euro wollen die Grünen direkt in Kinderbetreuungsgutscheine
und den flächendeckenden Ausbau der Infrastruktur stecken.
"Nicht die Kinder sind anstrengend", sagt Ekin Deligöz,
"sondern eine oft kinderfeindliche Umgebung und Arbeitswelt. Es
fehlt das Gefühl des Willkommenseins für Frauen mit
Kindern - daran müssen wir arbeiten."
Die FDP
Mehr Entgegenkommen der Arbeitgeber und die
Abschaffung des Ehegattensplittings, bis dahin kann Ina Lenke,
familienpolitische Sprecherin der FDP, den grünen Plänen
zustimmen. "Aber insgesamt fordern wir in der Frauenpolitik
deutlich mehr Selbstbestimmung statt staatlicher Lenkung oder gar
Frauenquotenreglungen", erklärt sie. An erster Stelle
stünde deshalb die finanzielle Gleichstellung von Mann und
Frau. Die Alleinverdiener-Ehe dürfe nicht länger
steuerlich privilegiert werden, und Frauen müssten endlich in
allen Bereichen genauso viel wie Männer verdienen.
Es soll für jeden Erwachsenen und jedes
Kind einen steuerlichen Grundfreibetrag von 7.700 Euro geben,
für Familien mit kleineren Einkommen soll das Kindergeld von
150 auf 200 Euro monatlich erhöht werden. "Es muss gelingen,
Familien so anerkannt und leistungsfähig zu machen, dass sie
keine Finanztransfers mehr brauchen", sagt Lenke. Keine einfach
Aufgabe: "Selbst innerhalb der FDP dauerte es eine Weile, bis
Frauen- und Familienpolitik endlich dauerhaft auf der Tagesordnung
stand", erinnert sich die 58-Jährige, "aber mittlerweile
gehört es fest zu allen steuer- und arbeitsmarktpolitischen
Überlegungen."
Der Mutter eines inzwischen erwachsenen Sohns
und Großmuter von drei Enkeln ist vor allem wichtig, "dass
die Entscheidung für Familie die Frauen nicht in die
Kinderfalle tappen lässt und ihnen beruflich nur Nachteile
bringt". Viele durchaus sinnvoll klingende Schutzgesetze wie
Kündigungsschutz oder Anspruch auf Teilzeit seien ein
Einstellungshindernis und fatal für Mütter, die vorher
keinen Job hatten und nun erst recht keine Chance auf dem
Arbeitsmarkt bekämen. Umgekehrt dürften für
Arbeitgeber flexible Teleheimarbeit, Satellitenarbeit oder Jahres-
und Lebensarbeitszeitkonten, die längere Familienphasen
ermöglichten, nicht länger etwas Exotisches
bleiben.
Die Linke/PDS
fordert dagegen gerade eine stärkere
Rolle des Staates in der Frauenförderung und Familienpolitik,
"aber unterstützend und nicht dirigistisch wie beim Beispiel
Elterngeld", sagt Jörn Wunderlich, Abgeordneter der Linken.
Außerdem stünden nach den 12 oder 14 Monaten Elterngeld
alle Eltern nach wie vor vor der Frage: Wohin mit dem Kind?
Meis-tens verzichteten dann die Frauen auf den Beruf. Um mehr
Finanzmittel zum Ausbau der Kinderbetreuung zu haben und damit
Frauen den Wiedereinstieg in den Beruf zu erleichtern, wollen die
Linken die Erbschaft- und Unternehmenssteuern erhöhen.
Jörn Wunderlich ist Familienrichter in
Chemnitz und Vater von zwei Kindern, seine Frau arbeitet mit
reduzierten Stunden als Anwältin. "Mein Beruf hat es mir zum
Glück fast immer ermöglicht, mich viel um meine Kinder zu
kümmern, aber dieses Privileg haben viele Menschen nicht."
Deshalb fordert die Linkspartei kürzere, familiengerechtere
Arbeitszeiten, einen jederzeitigen Anspruch auf Teilzeit ohne
betriebliche Hindernisse und eine Rückkehrgarantie nach der
Elternzeit in feste und auch in befristete
Arbeitsverhältnisse. "Der familien- und damit auch
frauenfeindliche Zwang zu Mobilität, Flexibilität und
endlosen Arbeitszeiten muss begrenzt werden", so Wunderlich.
Die Linkspartei will die
Eigenständigkeit von Frauen und Männern durch eine
Exis-tenz sichernde Grundsicherung sowie eine Kindergrundsicherung
gewährleisten und das Ehegattensplitting abschaffen.
Wunderlich: "Wer das Gefühl existenzieller Sicherheit hat, der
gründet gerne eine Familie. Der völlige Einbruch der
Geburtenraten nach der Wende hat doch gezeigt, was passiert, wenn
diese Sicherheit fehlt." Der 47-Jährige ist überzeugt
davon, dass der Staat stärker gefordert ist, die Vereinbarkeit
mit dem Beruf zu erleichtern und die Situation von Frauen zu
verbessern. "Wenn es gelingt, dass der Staat das jeweils frei
gewählte Lebensmodell jedes einzelnen schützt", sagt
Wunderlich, "dann erreichen wir auch echte
Gleichberechtigung."
Das Wettrennen um die Frauen und um die beste
Familienpolitik wird weitergehen und den Bundestagswahlkampf 2009
bestimmen. Die Partei-Strategen haben längst erkannt: Im
Vergleich zur Gesundheits- und Arbeitsmarktdebatte ist das Thema
Frauen und Familie fast schon sexy. Gut für den Standort
Deutschland ist das allemal.
Die Autorin ist Korrespondentin für Sozialpolitik bei der
"Wirtschaftswoche" in Berlin.
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Mitglieder gelangen Sie über:
www.bundestag.de