Die harten Fakten vorneweg: Noch immer steigt
weltweit die HIV-Infektionsrate bei Frauen. Auch die Gewalt gegen
Frauen konnte in den vergangenen Jahren nicht reduziert werden.
Armut und Menschenhandel haben oft ein weibliches Gesicht. Der
wachsende Fundamentalismus und bewaffnete Konflikte haben in vielen
Ländern Bedingungen geschaffen, die die Verwirklichung von
Frauenrechten fast unmöglich machen. Zudem geht in Zeiten
weltweiten Sozialabbaus der politische Wille, Frauenprojekte zu
finanzieren, immer mehr verloren. Berichte von Frauenorganisationen
und den Vereinten Nationen zeigen: Zum Jubeln gibt es keinen
Anlass.
Im Spiegel der 4. Weltfrauenkonferenz, die
1995 in Peking stattfand, ist das eine dramatische Entwicklung.
Über 50.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer machten das Treffen
zur größten Konferenz in der Geschichte der UN. Es galt
als Meilenstein in der Geschichte der internationalen Frauenrechte.
Das Ergebnis war die "Aktionsplattform", die "Beijing Action
Platform" - ein Forderungskatalog, der institutionelle Mechanismen
zur Förderung der Gleichberechtigung von Frauen auf zwölf
verschiedenen Politikfeldern verlangt. 189 Staaten ratifizierten
das Abkommen, in der Hoffnung, damit eine neue Ära in der
internationalen Frauenpolitik einzuleiten. Hat sie sich
erfüllt?
Viele Gesetze und Programme
Zunächst mündete der Schwung von
Peking in einen Institutionalisierungsschub: Es wurden viele
Gesetze auf den Weg gebracht und in mehr als 120 Ländern
Gleichstellungsprogramme entwickelt. Frauen treten in der Politik
seither stärker in Erscheinung. In Afrika etwa ist der
Frauenanteil in den Parlamenten südlich der Sahara inzwischen
fast so hoch wie in Skandinavien. In Südafrika, Ruanda und
Mocambique haben Frauen 30 oder mehr Prozent der Mandate inne. Nur:
Ämter mit wirklicher Macht bekleiden sie kaum.
Als strategisches Instrument, um die
Gleichberechtigung von Frauen in den Gesellschaften zu erreichen,
legte die "Aktionsplattform" das Instrument des "Gender
Mainstreaming" fest. Politische Entscheidungen und Programme sollen
seither im Vorfeld unter "geschlechtsbezogener Perspektive"
geprüft werden, darauf also, welche Auswirkungen sie auf
Männer und Frauen haben könnten.
Das aber erwies sich in der Umsetzung als
nicht ganz einfach: Denn es setzt voraus, dass Staaten demokratisch
verfasst sind - was auf die meisten Staaten, die die
"Aktionsplattform" unterzeichnet haben, nur unzureichend zutrifft.
So werden in vielen Entwicklungsländern und ehemaligen
sozialistischen Ländern die Prinzipien der freien
Meinungsäußerung, der parlamentarischen und
zivilgesellschaftlichen Teilhabe und Kontrolle nicht beachtet - was
bedeutet, dass eine ausschließlich auf das Instrument "Gender
Mainstreaming" ausgerichtete Gleichstellungspolitik massiv an ihre
politischen Grenzen stößt.
Erwartungen im Westen
Doch auch in vielen westlichen
Industrieländern sind die Erwartungen verpufft, wie Barbara
Unmüßig, Mitglied im Vorstand der
Heinrich-Böll-Stiftung, bestätigt. Im Jahr 2005 hat sie
den Kongress "Femme Globale", den deutschen Beitrag zum
internationalen Peking plus 10-Check, initiiert. "Das Problem bei
uns in Deutschland ist, dass "Gender Mainstreaming" in keinem
einzigen politischen Themenfeld jemals wirklich durchexerziert
wurde. Zwar wurden Leitfäden und Pilotprojekte entwickelt -
aber es wurde nie analysiert, wie sich zum Beispiel die
Gesetzgebung im Gesundheitswesen oder anderen Politikfeldern auf
die Geschlechter auswirkt."
Der systematische Einbezug der
Geschlechterperspektive hat bestehende Machtverhältnisse,
Politik und Strukturen zudem nur in Ausnahmefällen
verändert. In vielen Institutionen dominieren nach wie vor
männerbündische Macht- und Interessengruppen. "Die
wenigen Frauen, die es in wichtige politische Positionen geschafft
haben, dürfen nicht als Beweis für eine wachsende
Gleichberechtigung der Geschlechter missverstanden werden", sagt
Karin Nordmeyer von UNIFEM, dem Entwicklungsfonds für Frauen
der Vereinten Nationen. "Diese Frauen haben es geschafft, weil sie
die Gabe besitzen, sich den derzeitigen Möglichkeiten
anzupassen."
Ähnlich zwiespältig fällt die
Bilanz auf den Feldern Bildungschancen und Erwerbsarbeit von Frauen
aus. In vielen Ländern haben sich die
Zugangsmöglichkeiten von Mädchen zur Schulbildung zwar
verbessert: In der Karibik, in Lateinamerika und in Teilen Europas
zum Beispiel haben junge Frauen Männern gegenüber sogar
schon einen Qualifikationsvorsprung. In weitaus mehr Staaten jedoch
ist die Schulbildung von Mädchen allerdings immer noch nicht
institutionalisiert.
Auch die Wege der Erwerbsarbeit, die Frauen
einschlagen können, sind vielfältiger geworden - immer
mehr Frauen sind berufstätig. Doch meistens arbeiten sie in
unsicheren, schlecht bezahlten Jobs und verdienen weniger als
Männer in derselben Position. Untersuchungen belegen zudem,
dass eine prosperierende Wirtschaft die Lohndiskriminierung von
Frauen nicht automatisch aufhebt - gerade in ökonomisch sehr
erfolgreichen Ländern, wie Taiwan oder Südkorea, sind die
Lohnunterschiede am größten.
Berichte der Vereinten Nationen aus den
Jahren 2000 und 2005 zeigen, dass die globale Wirtschaftspolitik in
vielen Entwicklungsländern sogar schwerwiegende Folgen
für Frauen hat: Während Budgetdefizite unter Kontrolle
gebracht werden konnten, verstärkten sich soziale und
ökonomische Ungleichheiten, wovon vor allem Frauen betroffen
sind. "Die globale Wirtschaftspolitik geht nicht Hand in Hand mit
Alphabetisierungsmaßnahmen", sagt Christa Stolle,
Geschäftsführerin der Organisation "Terre des Femmes
Deutschland", die 1995 maßgeblich an der Planung der Pekinger
Konferenz beteiligt war. "Wenn Frauen gebildeter wären,
könnten sie den wirtschaftlichen Entwicklungsprozess positiv
für sich nutzen. Stattdessen treten sie nur als billige
Arbeitskräfte in Erscheinung und nehmen nicht am
öffentlichen Leben teil. Sie müssen viel Kraft und
Energie aufwenden, um die Familie zu versorgen. Zeit, um sich
weiterzubilden, haben sie nicht."
Hemmblock: Millenniums-Ziele
Ein weiterer Hemmblock bei der Umsetzung der
Ziele von Peking, glauben viele Frauenrechtsorganisationen, ist die
starke personelle und finanzielle Konzentration vieler Staaten auf
die Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele (MDGs). Mit ihnen
will die UNO die weltweite Armut bis zum Jahr 2015 halbieren. Dabei
wird die Gleichstellung von Frauen explizit als eines der Ziele
genannt - doch die dafür getroffenen Maßnahmen
beschränken sich auf traditionelle Felder wie Armut und
Gesundheit. "Der Hintergrund der Aktionsplattform ist jedoch die
Überzeugung, dass Frauenrechte Menschenrechte sind und als
solche durchgesetzt werden müssen", erklärt Barbara
Unmüßig. "Es sollen Instrumente entwickelt werden, mit
denen Frauen sich gegen ihre rechtliche Diskriminierung wehren
können."
Leider zeigte sich, dass viele Zusagen der
Unterzeichner nur Lippenbekenntnisse waren. Der Appell der 4.
Weltfrauenkonferenz, "Nehmt Peking mit nach Hause ("Take Beijing
Home")", verpuffte allzu oft. Eines von vielen Beispielen: Die
Weltfrauenkonferenz hatte festgelegt, dass künftig
geschlechtsspezifische Daten auf nationaler und internationaler
Ebene erhoben, analysiert und regelmäßig vorgestellt
werden sollen. Nur so sei die Situation der Frauen verifizierbar,
hieß es. Doch die Zahl der Staaten, die solche Statistiken
der UNO melden, ist seitdem kaum gestiegen: Einige afrikanische
Staaten etwa enthalten sich der Datenweitergabe bis heute
ganz.
Zersplitterte Frauenbewegung
So scheint es, als sei eine 5.
Weltfrauenkonferenz notwendiger denn je. Oder vielleicht doch
nicht? Erstaunlicherweise ist der Ruf nach einer Wiederauflage von
Peking nahezu verstummt - aus verschiedendsten Gründen.
Die Frauenbewegungen sind zunehmend
zersplittert und verfolgen jeweils eigene Themen. Nach dem
Konferenzmarathon der 90er-Jahre sind viele Regierungen
verhandlungsmüde. Und angesichts der Legitimationskrise der
Vereinten Nationen haben groß inszenierte UN-Konferenzen viel
von ihrer politischen Glaubwürdigkeit eingebüßt.
Die Reform des UN-Systems bedroht zudem inzwischen alle
Frauengremien und Projekte von UNIFEM. Sogar der Erhalt der
Frauenrechtskommission scheint nicht gesichert.
Ebenso schwer wiegt die Befürchtung von
Feministinnen aus Entwicklungsländern und den Vereinigten
Staaten, dass eine Konferenz im gegenwärtigen politischen
Klima sogar zu einem Rückschlag für die Frauen und einer
Aushöhlung der erkämpften Rechte führen könnte:
Denn in bestimmten Punkten, etwa der Forderung nach dem Recht auf
Abtreibung, stimmen islamische Fundamentalisten und die
Bush-Regierung überein.
Shara Razavi, die Koordinatorin eines
UNO-Berichts zum Thema Geschlechtergerechtigkeit, brachte es
unlängst in einem Interview auf den Punkt: Zu befürchten
sei heute sogar eine Art Allianz gegen die Errungenschaften von
Peking.
Die Autorin arbeitet als Volontärin bei der "Frankfurter
Allgemeinen Zeitung" in Frankfurt am Main.