Geht es um das Wahlverhalten von Frauen, sind
Meinungsforscher nicht ganz einer Meinung: Frauen wählen
anders als Männer, sagen die einen. Die anderen sagen, ihr
Wahlverhalten habe sich dem der Männer immer stärker
angeglichen. Angeglichen hat sich im Laufe der Jahre auf jeden Fall
die Wahlbeteiligung. Sie war früher generell niedriger als die
der Männer und ist nun nahezu gleich hoch.
Die Rolle des Geschlechts
Fakt ist, dass die meisten Wahlberechtigten
weiblich sind. 32,2 Millionen der 61,9 Millionen Wahlberechtigten
bei der Bundestagswahl 2005 waren Frauen, eine Mehrheit von 52
Prozent. Sie könnten also Wahlen entscheiden, und
tatsächlich haben sie Rot-Grün 2002 zu einem zweiten
Wahlsieg verholfen. Aber 2005? Hat die Bundeskanzlerin ihren
Wahlsieg den Frauen zu verdanken oder spielte der Merkel-Faktor bei
der jüngsten Bundestagswahl doch nur eine geringe Rolle
für die Wählerinnen? Bei Landtagswahlen erhielten die
weiblichen Kandidatinnen Heide Simonis in Schleswig-Holstein und
Ute Vogt in Baden-Württemberg zumindest mehr weibliche als
männliche Stimmen. Aber letztlich wählen Frauen
keinesfalls automatisch Frauen, wenn sie gegen Männer
kandidieren: 2005 zum Beispiel haben wie so oft mehr Frauen SPD und
ihren Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder gewählt als
Männer, nämlich 2,7 Prozent mehr.
Historischer Wandel
Doch das war lange anders. Als Frauen in
Deutschland 1919 erstmals an die Urnen durften, entschied sich die
Mehrheit der wenigen, die von ihrem Wahlrecht Gebrauch machten,
für konservative, christlich orientierte Parteien. Und das
blieb auch nach dem Zweiten Weltkrieg so. 1969 wählten immer
noch zehn Prozent mehr Frauen als Männer die CDU. Frauen im
mittleren Alter waren für die CDU Stammwählerschaft. Erst
in der gesellschaftlichen Aufbruchstimmung Ende der 60er-, Anfang
der 70er-Jahre gewann die SPD immer mehr Frauen für sich mit
Themen wie Ostpolitik und Bildungsreform. 1972 erhielt sie erstmals
mehr weibliche Stimmen als die CDU. Das Selbstverständnis der
Frauen hatte sich grundlegend geändert - weg vom reinen
Hausfrauendasein hin zu neuen Lebensentwürfen und zu
Berufstätigkeit.
Der Hang zum Konservativen blieb aber in der
Weise bestehen, dass es neuen politischen Bewegungen wie den
Grünen anfangs nur schwer gelang, Frauen als Wählerinnen
zu gewinnen. Das ist erstaunlich: Denn obwohl in der neuen Partei
viele Frauen an die Spitze kamen und Frauenpolitik deren Programm
wurde, zogen sie in ihrer Anfangszeit mehr männliche
Wähler an. Männer würden ihre Protestneigungen
stärker ausleben, diagnostizieren die Wahlforscher. Auch
neigen Frauen offenbar weniger als Männer dazu, rechtsextreme
Parteien zu wählen. Wissenschaftler vermuten, dass sie sich
von deren aggressiven Parolen eher abgestoßen
fühlen.
Für Frieden und Bildungschancen
Dass es heute mehr Frauen in Deutschland
gibt, die Parteien links von der Mitte wählen als Männer,
schien der Ausgang der Wahl 2002 zu bestätigen. Die
rot-grüne Regierungskoalition wurde vor allem von Frauen
wieder gewählt: 51 Prozent der Frauen, die zur Wahl gegangen
sind, haben sich für die alte rot-grüne Koalition
entschieden. Bei den noch unentschlossenen Frauen kurz vor der Wahl
konnte Edmund Stoiber (CSU) zunächst mit Kompetenz punkten.
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) galt ihnen zwar als der
sympathischere von beiden, aber erst durch seine Haltung im
Irak-Konflikt und seine entschiedene Ablehnung einer
militärischen Lösung gelang es ihm, die Frauen zu
überzeugen.
Wären am nächsten Sonntag Wahlen,
würden wahrscheinlich wieder mehr Frauen als Männer SPD
und Grüne wählen, das lassen zumindest die Trend-Umfragen
von Infratest Dimap von Anfang diesen Jahres vermuten.
Das Meinungsforschungsinstitut ermittelte
zudem Themen, auf die Frauen bei ihrer Entscheidung mehr achten als
Männer: Bei der Bundestagswahl 2002 sei es das Thema "Frieden"
gewesen. Auch das Thema Schule und Bildung sei Frauen wichtiger als
zum Beispiel Wirtschaftspolitik, die eher Männer
interessiere.
Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts
Forsa vor der Wahl 2005 zufolge lassen sich Frauen auch eher als
Männer von Themen und Inhalten und nicht von Personen
leiten.
Besonders wichtig für die Entscheidung,
wo sie ihr Kreuz setzen, seien die Themen Gesundheitspolitik,
Familienpolitik und die Sicherung der Altervorsorge - ganz offenbar
achten Frauen sehr darauf, was die Parteien ihnen als Lösung
für ihre Lebenssituation zwischen Beruf und Familie anzubieten
haben.