"Kohlruschen" ist ein Verb. Es bedeutet, dass
man sich einen Einzelfall vornimmt, um daraus allgemeinere
Schlüsse über die Gesellschaft zu ziehen. Es bedeutet
auch, dass man es als Journalistin zu etwas bringen kann. So wie
Eva Kohlrusch, nach der jener Ausdruck benannt ist. Sie ist
Vorsitzende des Journalistinnenbundes, einem Frauennetzwerk, in dem
sich rund 500 Medienschaffende engagieren.
Im Impressum des Burdamagazins "Bunte" wird
die 64-Jährige als Autorin geführt, ein Status, nach dem
man sich in der Branche die Finger leckt. Jene Einzelfälle,
die die Journalistin in der Bunten kolumniert und kohlruscht, sind
Trennungen, Tête-à-Têtes und Traumhochzeiten der
Prominenz und die gesellschaftliche Reflektion darüber - das
ist Kohlruschs Art, damit umzugehen, dass sie beim Boulevard
gelandet ist.
Nach der NDR-Ausbildung Ende der 60er-Jahre
wurde Boulevard ihr Ernährerjob, sie war die erste Frau bei
der Hamburger Morgenpost, stellvertretende Chefredakteurin bei
Bild. Alles Teil einer strategischen Karriereplanung, um Macht zu
bekommen, keine Kinder: Eva Kohlrusch und ihre berufliche Laufbahn
stehen für die Knackpunkte, mit denen Frauen in den Medien
nach wie vor konfrontiert sind.
Der Journalistinnenbund feiert in diesem Jahr
sein 20-jähriges Bestehen. Und seine anhaltende Relevanz.
Kohlrusch war mit von der Partie, als der der Verband 1987
entstand, seit 2005 kämpft sie wieder an vorderster
Front.
Anders als in der Ära der
Gründungszeit ist Fakt: Frauen sind optisch präsenter,
vor allem im Fernsehen. Sie moderieren politische Talkshows, sind
Anchorfrauen großer Nachrichtensendungen, bei CNN wie in der
ARD. "Frauen halten die Meinungsvermittlung in Händen", so
Kohlrusch, das sei längst unübersehbar. RBB-Intendantin
Dagmar Reim und ihre WDR-Kollegin Monika Piel, taz-Chefredakteurin
Bascha Mika sowie Annette Milz und Ulrike Kaiser,
Chefredakteurinnen der Branchenmagazine "Medium Magazin" und
"Journalist", zeigen: Ein paar Frauen besitzen in den deutschen
Medien inzwischen Entscheiderpositionen. Aber, schickt Kohlrusch
gleich hinterher, die meisten Journalistinnen arbeiteten als Freie.
Und nebenher als Lehrerin oder PR-Frau, um überleben zu
können. Auch sie gehören zu den so fortschrittlich
wirkenden "47 Prozent Frauenanteil" aller journalistisch
Arbeitenden, den sie zitiert. "Wir stellen fest, dass Kolleginnen
nach wie vor kämpfen müssen, um sich in dem Beruf
durchzusetzen."
Kinder sind eine Seltenheit
Das Thema Familie spiele da die kleinste
Rolle, Journalistinnen seien in der Regel ehe- wie kinderlos.
Bezeichnend, dass schon der erste Jahrestag des Mediennetzwerkes
1988 unter dem Motto "Frauen und Karriere" stand.
"Männer handeln, Frauen kommen vor" - so
die Diagnose einer Studie, die nicht nur auf diejenigen zutrifft,
die Stift oder Mikrofon in der Hand halten. Sie gilt
gleichermaßen für die, über die berichtet wird, so
die Bilanz der Küchenhoff-Studie, die nach dem
Münsteraner Medienwissenschaftler Erich Küchenhoff
benannt ist. Ihr Erscheinungsjahr: 1975. Aber auch heute
brandaktuell, wie die internationale Studie "Global Media
Monitoring Project" (GMMP) von 2005 zeigte.
Untersucht wurden weltweit 13.000 Nachrichten
aus Print, Hörfunk und Fernsehen. Das Ergebnis: 83 Prozent
aller zitierten Experten waren männlich, nur in zehn Prozent
der Nachrichten standen Frauen im Mittelpunkt der
Beiträge.
Der Journalistinnenbund koordinierte den
deutschen Teil der Stichprobe und schloss eine weitergehende
Umfrage an. Ergebnis: Die weltweiten Tendenzen spiegelten sich auch
in deutschen Medien. Wenn Frauen überhaupt zentral in
Nachrichten auftauchten, dann meist als Opfer, nicht als Profis.
Ein weiteres Resultat des GMMP: Ausgerechnet die linksliberale
Tageszeitung taz, die ihre Artikel jahrelang mit dem Binnen-i
"genderte", landete auf einem der Schlussplätze in Sachen
Frauenberichterstattung. Die FAZ brachte nur knapp weniger Frauen
auf den Hauptnachrichtenseiten.
Ein neuer Angriff
Auf dieser Basis starteten die Macher von
GMMP 2006 die Kampagne "Wer macht die Nachrichten?". "Who makes the
news?" sollte das Bewusstsein schärfen für mehr
ausgleichende Geschlechtlichkeit in der täglichen
Berichterstattung: für mehr Frauen als Akteure in den
Beiträgen und in den Reportersesseln der
Redaktionsräume.
Das Frauenprogramm der World Association for
Christian Communication, das Kampagne und Umfrage initiierte, ist
nicht die einzige derartige Organisation. Die International Women's
Media Foundation mit Sitz in Washington kämpft seit 1990
ebenfalls weltweit vernetzt für eine stärkere
Medienpräsenz von Frauen.
Die Gründerinnen des
Journalistinnenbundes hatten 1987 simple Fragen: Gibt es einen
weiblichen Journalismus? Warum haben Frauen
Berührungsängste, wenn es um Macht geht? Im
Jubiläumsjahr konstatiert die Vorsitzende Eva Kohlrusch: "Wir
müssen zu einem neuen Angriff blasen. Gegen die Mattigkeit im
aktuellen Feminismus."
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin.