Nicht die emanzipierten Frauen sind schuld,
wenn in Deutschland weniger Kinder geboren werden als in den
europäischen Nachbarländern. Verantwortlich ist vielmehr
die mangelhafte Emanzipation beider Geschlechter - sie könnte
den Geburtenrückgang tatsächlich stoppen.
In der Mainstream-Debatte zum Thema
Geburtenrückgang werden allerdings Fehler gemacht, die eine
solche Emanzipation behindern.
Kinderfeindliche Arbeitswelt
Erstens steht im Mittelpunkt der Debatte
immer nur das weibliche Geschlecht. Schon die amtliche Statistik
kennt allein die Fertilitätsrate der Frauen - als ob
Männer keine Kinder bekämen. Zweitens werden die
herrschenden Geschlechterverhältnisse und die überwiegend
noch männlich orientierte Arbeits- und Berufswelt
ausgeblendet. Die heutigen Arbeitsbedingungen und
Arbeitsanforderungen sind produktions- und
effektivitätsversessen - aber leider reproduktionsvergessen.
Das bedeutet: Niemand kann mithalten, was die Ansprüche an
örtliche und zeitliche Flexibilität und
Verfügbarkeit angeht, wenn er oder sie sich täglich um
die Kinder sorgen muss. Eine solche Arbeitswelt ist am Erwerbsmann
ausgerichtet; die damit einhergehende mangelhafte
Betreuungsinfrastruktur passt noch zum so genannten
Ernährermodell, das allenfalls eine hinzuverdienende Frau und
Mutter vorsieht. Für ein gleichberechtigtes
Partnerschaftsmodell sind diese Rahmenbedingungen untauglich.
In den letzten Jahren hat sich einiges
verändert: Immer mehr Frauen wollen heute berufstätig
sein und in Bereichen arbeiten, die früher reine
Männerdomänen waren.
Deshalb stehen die traditionellen beruflichen
Strukturen einer Mutterschaft und zunehmend auch einer Vaterschaft
entgegen. Vor allem Frauen in Führungspositionen bleiben
deutlich häufiger kinderlos als Männer.
Jedoch werden beide Geschlechter verunsichert
durch prekäre Berufseinstiege, Zeitverträge, Verdienste,
die das Existenzminimum nicht sichern, Befristungen und ungewollte
Arbeitszeitverkürzungen - unter solchen Bedingungen die
Verantwortung für ein Kind zu übernehmen, ist
schwierig.
Muttermythos
Und nicht zuletzt ist es gerade der
Muttermythos in Deutschland, der zum Geburtenrückgang
beiträgt: Dieser Mythos lässt glauben, dass in den ersten
Lebensjahren nur die leibliche Mutter dem Wohl des Kindes wirklich
dienen kann. Dem entspricht der mangelhafte quantitative und
qualitative Ausbau der frühkindlichen Betreuungsangebote vor
allem im Westen der Republik. Was also muss verändert
werden?
Der Geburtenrückgang und die
Vereinbarkeit von Berufs- und Betreuungsarbeit darf nicht zum
individuellen Problem von Frauen und Müttern definiert werden.
Stattdessen braucht es tief greifende gesellschaftliche
Anpassungsprozesse: Das Vater- und Mutterbild muss im Sinne der
gleichen Arbeit und Verantwortung für die Kinder
verändert werden. Für Erziehung und Bildung der Kinder
muss auch die Gesellschaft Verantwortung übernehmen.
Darüber hinaus muss sich die Arbeitskultur verändern,
müssen gesicherte Existenzmöglichkeiten für
Väter und Mütter geschaffen werden. Das wären
wirkliche strukturelle Innovationen - sie würden zu einer
höheren persönlichen Bereitschaft bei Männern und
Frauen führen, sich für ein Kind zu entscheiden.
Die Autorin ist Genderexpertin bei der
Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn.