Wollte man beziehungsweise frau in den
letzten 20 Jahren auf einer Party seine Ruhe haben, reichte es,
sich als "Feminis-tin" oder auch nur vorsichtige
"Feminismussympathisantin" zu outen. Doch seit Frank Schirrmacher,
Eva Herman und Co. im letzten Frühjahr begannen, zum
antifeministischen Halali zu blasen, ist Feminismus plötzlich
wieder ein Partyhit. Die größte deutsche Wochenzeitung
versammelte angesagte Schriftstellerinnen, Schauspielerinnen,
Politikerinnen und Wissenschaftlerinnen, um sie vom Titelblatt
herab fordern zu lassen: "Wir brauchen einen neuen Feminismus!"
Frauenmagazine berichten über das Thema, als sei
"Emanzipation" die jüngste Duftkreation aus dem Hause Calvin
Klein. In Talkshows wird so entspannt über die
Möglichkeiten einer neuen Frauenbewegung geplaudert, dass man
meinen könnte, es ginge um eine schwedische Trendsportart.
Doch sind wir ernsthaft reif für einen "neuen Feminismus"? Und
wenn ja, wie müsste sich dieser vom "alten Feminismus"
unterscheiden?
Historisch gesehen waren die Frauenbewegungen
stets Nachbeben von gesamtgesellschaftlichen Erschütterungen:
Olympe de Gouges veröffentlichte ihre "Erklärung der
Rechte der Frau und Bürgerin" zwei Jahre nach Ausbruch der
Französischen Revolution. Die erste deutsche Frauenbewegung
nahm ihren Anfang in den Nachwehen der gescheiterten
bürgerlichen Revolution von 1848. Die zweite deutsche
Frauenbewegung, der 70er-Jahre-Feminismus, ist ohne die
Studentenbewegung von 1968 nicht zu denken. Die Kräfte, die
1989 beim Zusammenbruch des DDR-Sozialismus frei gesetzt wurden,
erzeugten keine feministischen Energien (mit Ausnahme jenes kurzen,
halberfolgreichen Aufschreis, als es in der ersten Hälfte der
90er-Jahre darum ging, das Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch
gesamtdeutsch zu regeln) - dafür brachten sie die erste Frau
ins Kanzleramt.
Angela Merkels Karriere ist exemplarisch
für das, was Emanzipation in den vergangenen zwei Jahrzehnten
bedeutete: Beherzte Einzelkämpferinnen nutzen die
Aufstiegschancen, die die Gesellschaft ihnen theoretisch in vollem
Maße bietet - und die beherztes-te von allen hat bewiesen,
dass es auch praktisch möglich ist, selbst das
mächtigs-te Amt im Lande zu erobern. Mit Feminismus hat das
allerdings nichts zu tun. Und die Signale, die solche individuellen
Emanzipationserfolge an die Geschlechtsgenossinnen aussenden, sind
ambivalent. Die Beherzten ermuntern sie, sich gleichfalls noch mehr
ins Zeug zu legen, nach dem Motto: "Schaut her, es geht!" Die
weniger Beherzten machen sie aggressiv oder demoralisieren sie,
indem sie ihnen bedeuten: "Selbst schuld, Mädels, wenn ihr
weiter als emsige Stubenbienen unter der gläsernen Decke
kreist und den Durchbruch nicht schafft."
Sichtbare Mauern
Feminismus hatte immer mit deutlich
sichtbaren Mauern zu tun, gegen die die Schwestern untergehakt
anrennen konnten. In den großen feministischen Kämpfen
der Vergangenheit ging es zwar auch darum, die Mauern in den
Köpfen nieder zu reißen - aber in erster Linie ging es
um konkrete politische Forderungen beziehungsweise rechtliche
Gleichstellungsschritte. Diese Kämpfe sind in der westlichen
Welt mit dem Ende des 20. Jahrhunderts - wenigstens vorläufig
- ausgefochten. Obwohl es ein antiquarisches Ärgernis erster
Klasse ist: Das Ehegattensplitting allein wird keine skandierenden
Frauenhorden auf die Straßen treiben. Die luxuriöse Crux
des Feminismus im 21. Jahrhundert ist, dass er vorrangig gegen
gläserne Decken anrennen muss - die zwar einerseits nicht so
robust sind wie Mauern, von denen sich aber andererseits leicht
behaupten lässt, dass sie lediglich in der Phantasie
überspannter Weiberhirne existieren.
Zahlreiche Einzelkämpferinnen haben
damit begonnen, die gläsernen Decken zu durchstoßen -
aber wie der Name sagt: jede für sich. Und insgesamt immer
noch zu selten, als dass die Gralsritter keine Chance mehr
hätten, nach jedem erfolgreichen Durchbruch den Glaser zu
rufen, damit er flugs eine neue Decke einzieht. Wenn man den
diversen Hysterien einflussreicher Männer aus der letzten Zeit
nachlauscht, kann man jedoch den Eindruck haben, den Glasern gingen
langsam die Scheiben aus. Deshalb ist eine feministische Forderung,
die keine politische Bewegung braucht, aber dennoch höchst
effektiv sein dürfte: "Liebe Einzelkämpferinnen,
entschuldigt Euch nicht dafür, ein Betriebsunfall zu sein,
sondern achtet darauf, dass nach Euch kein Glas mehr
wächst!"
Der beste Kandidat, einen neuen Feminismus
auf breiter gesellschaftlicher Basis zu organisieren, dürfte
der neu entbrannte Streit um Mutterschaft und Familie sein. Die in
den 90er-Jahren von Hera Lind und anderen Superweibern verbreitete
Illusion, mit ein bisschen Lässigkeit und Organisationstalent
seien Karriere und Familie locker unter einen Hut zu bekommen, ist
auf dem Boden der Tatsachen aufgeschlagen: Der Staat tut trotz
aller Bemühungen nach wie vor nicht genügend für
ausreichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten; die Unternehmen
begreifen nur zögernd, dass sie über neue
Arbeitszeitmodelle nachdenken und Betriebskindergärten
schaffen müssen; Väter fühlen sich - trotz Softie-,
Metrosexualitäts- und ähnlichen Lifestyle-Faxen - im
Alltag für die Brutpflege immer noch deutlich weniger
zuständig als die Mütter. Und die Mütter reiben sich
selbst und gegenseitig heftiger denn je mit der Frage auf, ob sie
Rabenmutter oder Glucke sind, Karrierebiest oder doch nur
Vollzeitmutti, die sich deshalb seit neuestem lieber
"Familienmanagerin" nennt.
Die Tatsache, dass in den kommenden Monaten
gleich zwei Bücher zum Thema von prominent berufstätigen
Müttern erscheinen, weist darauf hin, dass sich an dieser
Front etwas bewegt: Die Literaturkritikerin Iris Radisch will mit
ihrer "Schule der Frauen" die "Familie neu erfinden", und die
FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin verspricht, in ihrer
"Streitschrift für einen neuen Feminismus" mit dem
appellierenden Titel "Schwestern" zu zeigen, wie sich "Beruf,
Kinder und Familie zum Wohle von Frauen, Männern und Kindern
vereinbaren lassen".
Gegen alte Klischees
Zentrales Anliegen des 70er-Jahre-Feminismus
war es, die Frau aus der zwangsläufig für patriarchalisch
gehaltenen Familie zu befreien. Der kommende Feminismus scheint in
erster Linie die Familie vom patriarchalischen Restmief befreien zu
wollen. Dieser Schritt ist absolut nötig, denn es wäre
fatal, wenn das Feld der Familiendiskussion weiterhin den
biologistisch oder religiös inspirierten Reaktionären
überlassen bliebe.
Außerdem liegt darin die große
Chance, den Feminismus vom Ruf der Männer hassenden, mehr oder
weniger lesbischen, in jedem Fall "extremistischen" Megäre zu
befreien. Andererseits sollte ein neuer Feminismus dringend darauf
achten, nicht insgeheim ins selbe Horn zu stoßen wie die
demografischen Panikmacher, in deren Augen die entschieden
kinderlose Frau nur ein Paria sein kann.
Es wäre eine der weniger lustigen
Ironien des Schicksals, wenn ein neuer Feminismus da-ran mitwirken
würde, alle Frauenfragen abermals auf Mutterfragen zu
reduzieren.
Eine Emnid-Umfrage ergab im September 2006,
dass 50 Prozent der Deutschen dem Satz zustimmen, "Kinder, Familie
und ein harmonisches Heim sind wirklich die größte
Aufgabe für Frauen." 47 Prozent widersprachen dieser Aussage.
Die deutsche Gesellschaft ist in der Frage, ob sie sich weiter
emanzipieren oder doch lieber zurückrudern soll, tief
gespalten. Das interessanteste Detail der Umfrage: 55 Prozent der
Frauen bejahten die konservative Frauenrolle, aber "nur" 46 Prozent
der Männer. Traut man den Zahlen, scheint es gegenwärtig
mehr "Feminismuskandidaten" unter den Männern zu geben als
unter den Frauen. Eine neue "Frauenbewegung" darf also hoffen, die
Männer mit in Schwung zu bringen. Emanzipation ist eine Frage
der Geisteshaltung. Und nicht des Geschlechts.
Das Jahr ist noch jung, deshalb erlaube ich
mir eine Träumerei: Der "neue Feminismus" wird der erste sein,
der nicht als Nachbeben einer gesamtgesellschaftlichen Bewegung
entsteht, sondern Vorreiter einer solchen ist: für einen
neuen, humanistischen Individualismus.
Die Autorin ist Schriftstellerin und TV-Moderatorin in Berlin.
Im September 2006 erschien ihr Buch "Die neue F-Klasse. Wie die
Zukunft von Frauen gemacht wird".