Der Weltklimabericht der Vereinten Nationen
bringt auf den Punkt, was alle wissen, aber niemand wahrhaben will:
Die Welt steuert auf eine verheerende Klimakatastrophe zu. Die
globale Durchschnittstemperatur könnte bis zum Ende dieses
Jahrhunderts um mehr als sechs Grad steigen. Infolge dessen
veröden weite Landstriche. Der Bericht hat seine Wirkung nicht
verfehlt. Frankreichs Präsident Jacques Chirac verlangte auf
der Internationalen Umweltkonferenz in Paris eine "Revolution zur
Rettung der Erde".
UN-Chef Ban Ki Moon und Bundesumweltminister
Sigmar Gabriel (SPD) schlugen einen Weltklimagipfel vor. Die
britische Regierung will noch in diesem Jahr eine internationale
Konferenz über die ökonomischen Folgen des Klimawandels
einberufen. Initiator ist der britische Ökonom Nicholas Stern.
Er ruft seit geraumer Zeit dazu auf, den Klimawandel auch aus
wirtschaftlicher Sicht ernst zu nehmen. Das weltweite
Bruttosozialprodukt könne um 20 Prozent einbrechen. Die
volkswirtschaftlichen Schäden durch Dürren, Stürme
und klimabedingte Veränderungen könnten in die Milliarden
gehen, schätzt er. Der Verfasser des Stern-Reports warnt
davor, die Vorsorge gegen den Klimawandel zu verschleppen. Dadurch
fielen die Kosten noch höher aus.
Energiepolitisches Trilemma
Bei der Europäischen Union ist der
Weckruf schon lange angekommen. Der Klimaschutz steht in
Brüssel ganz oben auf der Agenda. Umsetzen will die Union ihr
Ziel vor allem durch folgende Maßnahmen: CO2-Reduzierung
durch 20 Prozent mehr erneuerbare Energien bei der Stromerzeugung
bis 2020, Verschärfung des CO2-Emissionshandels, feste
Obergrenzen für den Kohlendioxidausstoß bei Neuwagen und
CO2-Abscheidung bei neuen Kohlekraftwerken. Doch die Politiker
müssen gleichzeitig auch die Versorgungssicherheit und die
Energiepreise im Auge behalten.
"Das energiepolitische Trilemma setzt sich
aus drei Dilemmas zusammen: Versorgungssicherheit versus
Wirtschaftlichkeit, Wirtschaftlichkeit versus Klimaschutz und
Klimaschutz versus Versorgungssicherheit", erklärt der
strategische Berater des Shell-Konzerns, Karl Rose. "Es gibt
derzeit keine energiepolitische Lösung, die alle drei Bereiche
gleichermaßen berücksichtigt."
Indien auf der Überholspur
Die Welt braucht Energie, und zwar zu
bezahlbaren Preisen. Derzeit sind die Preise zwar hoch, aber noch
nicht so hoch, dass die Wirtschaft darunter leidet. Doch die
fossilen Brennstoffe gehen in den nächsten Jahrzehnten zur
Neige. Gleichzeitig steigt der weltweite Energieverbrauch drastisch
an. Bis Mitte des Jahrhunderts wird Indien China als
bevölkerungsreichstes Land der Welt überholen. Rund 1,6
Milliarden Menschen werden dann dort leben, eine halbe Milliarde
mehr als heute.
Die Internationale Energieagentur rechnet
damit, dass sich der weltweite Energieverbrauch bis 2030 verdoppeln
wird. Auch für den Klimaschutz haben diese Zahlen eine
bedrohliche Relevanz, wie Wolfgang Große Entrup bei einer
Klausurtagung des CDU-Wirtschaftsrates hervorhob: "Regionale
Vorreiter wie die EU und Deutschland reichen nicht aus, um den
Klimawandel wirksam zu bekämpfen", sagt der Direktor des
Konzernbereichs Politik und Umwelt der Firma Bayer. "Alle wichtigen
Emittenten müssen sich am Klimaschutz beteiligen." Die USA
seien bereits dabei, ihre Klimaschutzpolitik neu auszurichten. Die
Entwicklungsländer müssten rasch folgen.
"Wir brauchen eine Energie- und
Klimaschutzpolitik aus einem Guss - national und in der EU", betont
der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates, Hans Jochen
Henke. Die Bundesregierung setzt dabei stark auf die erneuerbaren
Energien und unterstützt damit die Brüsseler Linie. So
ist die Förderung dieses Bereichs in Deutschland von 1998 bis
heute mehr als verdreifacht worden. Gleichzeitig erinnern
Wirtschaftspolitiker daran, dass die erneuerbaren Energien noch zu
teuer und ohne staatliche Zuschüsse nicht
wettbewerbsfähig sind.
Darüber hinaus ist die technische
Entwicklung, um Solarenergie oder Biomasse effektiv zu nutzen, noch
nicht weit genug fortgeschritten. So sei etwa die herkömmliche
kristalline Solartechnik nicht klimaneutral, wie Kurt Dömel,
Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Shell
Holding, unterstreicht. Shell ist aus dem Bereich
ausgestiegen.
Der von nahezu allen Experten geforderte
Ausstieg aus dem Atomausstieg ist derzeit in Deutschland nicht
verhandelbar. "Wir als CDU halten es nicht für verantwortbar,
den Ausstieg so wie geplant durchzuführen", sagt Katherina
Reiche, stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion. "Aber
es ist in der Koalition im Moment schwierig, darüber zu
reden." Atomenergie ist eine CO2-arme Energieerzeugungsvariante.
Auch die EU sieht den deutschen Ausstieg daher kritisch.
"Biokraftstoffe können die fossilen
Energieträger in absehbarer Zukunft nicht vollständig
ersetzen", erklärt Lucas Assuncao, Koordinator Klimawandel und
Biohandel bei der Welthandels- und Entwicklungskonferenz UNCTAD in
Genf. "Unsere Wirtschaft bleibt in den nächsten Jahrzehnten
abhängig von fossilen Energieträgern." Vor diesem
Hintergrund intensiviert Außenminis-ter Frank-Walter
Steinmeier (SPD) den Dialog mit Staaten in Zentralasien und der
Golfregion sowie mit Russland, wie Staatssekretär Georg
Boomgarden vom Auswärtigen Amt erläutert. Dabei
gehöre Russland noch zu den politisch stabilsten
Herkunftsländern für Energie. Russland deckt rund ein
Viertel des Öl- und Gasbedarfs der EU.
Boomender Bedarf in China
Für außenpolitische Bauchschmerzen
sorgt derzeit dagegen China. "Wir müssen mit Peking
darüber reden, wie eine verantwortungsvolle Politik aussehen
kann", sagt Boomgaarden. Denn China schließt auf dem
internationalen Markt hemmungslos langfristige
Energieverträge, um seinen boomenden Bedarf für die
nächsten Jahrzehnte zu sichern. Weil die Asiaten sich anders
als die Europäer dabei weder um Menschenrechte noch um
Demokratie in den Herkunftsländern scheren, verdrängen
sie die Europäer massiv vom Markt. "Man kann China nicht
verbieten, eine energiebezogene Außenpolitik zu betreiben",
erklärt Boomgaarden. "Aber es gibt andere Formen, um China zu
mehr Verantwortung zu bewegen." Auch die Weltbank denkt über
geeignete Maßnahmen nach, China zur internationalen
Kooperation zu bewegen.
KOMPAKT
- Fossile Energieträger: Gemeint sind damit
vor allem das Erdöl, das nach wie vor wichtigster
Energielieferant der Welt ist, Erdgas und die Kohle. Der
Energiegehalt der Braunkohle ist deutlich geringer als der der
Steinkohle.
- Biokraftstoffe: Sie sind Energielieferanten
für Verbrennungsmotoren und zumeist pflanzlichen Ursprungs
(Biomasse). Seit Anfang dieses Jahres müssen Bioethanol und
Biodiesel den fossilen Treibstoffen beigemischt werden.
- Atomenergie: Sie wird durch Kernspaltung
erzeugt. Einziges natürliches Element, das für die
Kernspaltungen verwendet wird, ist das Uran. Umstritten ist die
Endlagerung der radioaktiven Abfälle.