Kaukasus
Manfred Quirings Buch über die Krisenregion kann nicht überzeugen
Wer ist verantwortlich für den georgisch-russischen Krieg vom August 2008? Nach Ansicht der georgischen Opposition hat Präsident Michail Saakaschwili den russischen Militäreinsatz provoziert, schreibt Manfred Quiring, Moskauer Korrespondent der Tageszeitung "Die Welt". Zu Recht kritisiert der Journalist die "verbrecherische" Entscheidung des Präsidenten, die südossetische Hauptstadt Zchinwali mit schweren Waffen beschießen zu lassen.
Quiring weiß zu berichten, dass europäische und amerikanische Diplomaten Saakaschwili "immer wieder ins Gewissen geredet" hätten, um ihn dazu zu bewegen, die abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien mit friedlichen Mittel zurückzuholen. Allerdings seien unmittelbar vor dem Krieg "einige Leute aus der Umgebung des damaligen Präsidentschaftskandidaten John McCain" bei Saakaschwili ein und ausgegangen. Sie könnten "hinter verschlossenen Türen ganz anders geredet haben", mutmaßt Quiring. Da dies jedoch nicht nachgewiesen werden kann, stellt Quiring auf Grund von Indizien Vermutungen über den Nutzen eines "kleinen Krieges" in der letzten Phase des US-Präsidentschaftswahlkampfs an. In Zeiten einer vermeintlichen Bedrohungssituation hätte vor allem der außen- und sicherheitspolitisch erfahrene Kandidat und Russland-Kritiker McCain von einer Zuspitzung der Lage im Südkaukasus profitiert.
Leider gehört die Analyse des georgisch-russischen August-Krieges zu den wenigen gelungenen Abschnitten des Buches. Dabei kennt Quiring, der bereits zu DDR-Zeiten für die "Berliner Zeitung" aus der Sowjetunion berichtet hatte, den Kaukasus von zahlreichen Reisen. Bei der Beschreibung der Konfliktursachen bemüht er sich um Neutralität. Das führt nicht selten dazu, dass der Autor Ross und Reiter nicht klar benennt und der unkundige Leser umso verwirrter zurückbleibt. So weiß nur Quiring, warum er die Entstehung des zweiten Tschetschenien-Krieges ausgerechnet aus der Perspektive des im Londoner Exil lebenden russischen Milliardärs Boris Beresowski schildert.
Bemerkenswert ist zudem, dass sich der Journalist an der Verbreitung von Gerüchten beteiligt und mit historischen Tatsachen schlampig umgeht. Hier einige Kostproben: Die Rote Armee sowjetisierte Georgien nicht 1922, sondern bereits 1921. Auch hielten sich 1919 in Baku weder türkische noch deutsche Truppen auf. 1921 schlossen Russland und die Türkei keinen Vertrag über Berg-Karabach. Sowjetische Fallschirmjäger trieben die Demonstranten in Tiflis nicht 1988, sondern am 9. April 1989 auseinander. Berg-Karabach erklärte seinen Austritt aus der Aserbaidschanischen SSR nicht 1989, sondern im Februar 1988. Der georgisch-abchasische Krieg endete im September 1993, nicht 1994. Russland erkannte die Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens nicht im Oktober, sondern am 26. August 2008 an. Der russische Politologe Nikonow ist kein Enkel Stalins, sondern Molotows. Und es ist nur ein Gerücht, dass Präsident Ilcham Aliew die Grenze nach Georgien wegen sexistischer Annäherungsversuche Saakaschwilis gegenüber der aserbaidschanischen First Lady schließen ließ.
Hinzukommt die Verbreitung von Legenden, an der sich ein Journalist nicht beteiligen sollte. Beispielsweise erfährt der Leser bei Quiring, dass Verrat im Kaukasus angeblich anders als in Europa bewertet werde. Regelrecht albern ist seine Behauptung, dass sich georgische Frauen "möglichst immer in Begleitung" entweder "des Gatten, des Vaters, der Mutter oder irgendwelcher Vettern" in der Öffentlichkeit zeigen sollen. Diese Art der Talibanisierung der georgischen Gesellschaft entspricht schlicht nicht der Wirklichkeit.
Auch wenn es sich beim Kaukasus um ein spannendes Thema handelt, Quiring unterlaufen zu viele Fehler, als dass seine Arbeit dem Lesepublikum empfohlen werden könnte.
Pulverfass Kaukasus. Konflikte am Rande des russischen Imperiums.
Ch. Links Verlag, Berlin 2009; 200 S. 16,90 ¤