REGIERUNGSBILDUNG
Vor vier Jahren vergingen mehr als zwei Monate bis zur Vereidigung des Kabinetts
So viel Zeit wie vor vier Jahren will sich Angela Merkel (CDU) dieses Mal nicht nehmen: Spätestens am 9. November, wenn sie die Staats- und Regierungschefs anderer Länder zum 20. Jahrestag des Mauerfalls begrüßt, möchte die Kanzlerin ihre neue Regierung im Amt sehen, wie sie schon einen Tag nach der Wahl vom 27. September wissen ließ.
Das wäre deutlich schneller als 2005, als die
zweite große Koalition mit einem Rekord startete: Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hatte es nach einer Bundestagswahl so lange gedauert, bis die anschließende Regierungsbildung abgeschlossen war. Rot-Grün war damals abgewählt, aber auch Union und FDP hatten zusammen keine Mehrheit, und mit der Linksfraktion etablierte sich eine fünfte Kraft im Parlament. Schon am Wahlabend hatte zwar FDP-Chef Guido Westerwelle einer rot-gelb-grünen "Ampel"-Koalition eine Absage erteilt, doch Spekulationen über ein schwarz-gelb-grünes "Jamaika"-Bündnis fanden erst nach entsprechenden Sondierungen ihr endgültiges Ende. Nach einer Nachwahl in Dresden schließlich nahmen CDU, CSU und SPD ihre Koalitionsverhandlungen auf. Insgesamt zogen nach dem Urnengang vom 18. September ganze 65 Tage ins Land, bis mit der CDU-Vorsitzenden Merkel am 22. November zum ersten Mal eine Frau vom Bundestag zur Kanzlerin gewählt und anschließend ihr Kabinett vereidigt wurde.
Am längsten hatte die Regierungsbildung bis dahin 1961 mit 58 Tagen gedauert, als sich Union und FDP nach vier Jahren absoluter CDU/CSU-Mehrheit wieder zu einer Koalition unter Kanzler Konrad Adenauer (CDU) zusammenfinden mussten - wobei die Liberalen das Bündnis von einem Rücktritt des Regierungschefs während der neuen Legislaturperiode abhängig machten. Am schnellsten war es 1969 und 1983 mit jeweils 24 Tagen gegangen. Das mag im März 1983 weniger überrascht haben als 14 Jahre zuvor: Schließlich hatten Union und FDP erst ein halbes Jahr vorher, im September 1982, Koalitionsverhandlungen geführt und sich darauf verständigt, Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) mit einem konstruktiven Misstrauensvotum zu stürzen und den CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl zum Kanzler zu wählen; jetzt war das neue Regierungsbündnis vom Wähler bestätigt und konnte Fahrt aufnehmen.
1969 dagegen war es nach der ersten großen Koalition um die erstmalige Bildung eines sozialliberalen Bündnisses gegangen, nachdem sich die Parteivorsitzenden von SPD und FDP, Willy Brandt und Walter Scheel, noch in der Wahlnacht auf die Bildung einer gemeinsamen Regierung verständigt hatten, obgleich die Union klar stärkste Kraft geworden war. Freilich hatte sich die Koalitionsbereitschaft von Sozial- und Freidemokraten schon bei der Bundespräsidentenwahl im März 1969 gezeigt, bei der der SPD-Kandidat Gustav Heinemann mit den Stimmen der Liberalen ins höchste Staatsamt gewählt worden war. Auch nach der vorgezogenen Neuwahl 1972 benötigten SPD und FDP übrigens mit 26 Tagen eine verhältnismäßig kurze Zeitspanne bis zum Abschluss der Regierungsbildung.
Einen Sonderfall stellt das Jahr 1976 dar, in dem der Wahltermin mehr als zwei Monate vor Ablauf der Legislaturperiode lag. Damals wurde der neue Bundestag schon am 3. Oktober gewählt, doch endete die vorangegangene Wahlperiode erst am 13. Dezember. Drei Tage später wurde dann das neue Bundeskabinett vereidigt - 74 Tage nach der Parlamentswahl. Wegen des frühen Wahltermins kann diese Frist aber nicht mit den Daten aus den anderen Legislaturperioden verglichen werden.
1980 dann dauerte die Bildung der bislang letzten sozialliberalen Bundesregierung 32 Tage. Ebenso lang brauchten Union und FDP 1994 beim Start ihrer bisher letzten gemeinsamen Regierung, während sie es nach den Wahlen von 1987 und 1990 immerhin auf 46 beziehungsweise 47 Tage gebracht hatten.
Deutlich schneller ging es bei Rot-Grün 1998 und 2002 mit jeweils 30 Tagen. SPD und Grüne blieben damit auch unter den Zeitspannen, die in den Anfangsjahren der Republik für die Regierungsbildung benötigt wurden: Waren es 1949 bei der ersten, von CDU/CSU, FDP und Deutscher Partei (DP) getragenen Bundesregierung noch 37 Tagen, dauerte es nach den folgenden zwei Bundestagswahlen 1953 und 1957 jeweils 44 Tage und - nach der erwähnten 58-Tages-Spanne von 1961 - wieder 37 Tage nach der Wahl von 1965.
Gemessen wird die Dauer der Regierungsbildung übrigens vom Tag der Bundestagswahl bis zur Vereidigung des Bundeskabinetts - und nicht etwa bis zur Kanzlerwahl. Dies liegt daran, dass der Regierungschef -wie 1953 und 1957 - auch schon vor Abschluss der Koalitionsverhandlungen (einschließlich der Verständigung über die Zusammensetzung des neuen Kabinetts) gewählt werden kann.
Koalitionsverhandlungen gingen auch den beiden Regierungswechseln von 1966 und 1982 voraus, die während einer laufenden Legislaturperiode stattfanden. 1966 vergingen vom Bruch der Koalition aus Union und FDP am 27. Oktober bis zur Etablierung des Kabinetts der großen Koalition unter Kurt Georg Kiesinger (CDU) am 1. Dezember 35 Tage. Und 1982 dauerte es nach dem Auseinanderbrechen der sozialliberalen Koalition am 17. September bis zur Vereidigung des ersten Kohl-Kabinetts am 4. Oktober 17 Tage.
Betrachtet man jedoch nur die Regierungsbildungen nach Bundestageswahlen - ohne den Sonderfall von 1976 -, wurden dafür in den zurückliegenden 60 Jahren im Durchschnitt 38,4 Tage in Anspruch genommen. Sollte die neue Bundesregierung einen in diesem Sinne durchschnittlichen Start erwischen, würde sie in der ersten Novemberwoche im Bundestag vereidigt - rechtzeitig vor den Feierlichkeiten zum Mauerfall-Jubiläum.