Haushalt
Finanzminister Schäuble will im kommenden Jahr 85,8 Milliarden Euro Kredite aufnehmen
Das gab es noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Der Bund will im kommenden Jahr 85,8 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen. Das sind rund 48,3 Milliarden Euro mehr als in diesem Jahr. Dies sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) am 16. Dezember im Haushaltsausschuss bei der Vorstellung des Etatentwurfs 2010, den das Kabinett kurz zuvor beschlossen hatte.
Die Einnahmen und Ausgaben sollen danach im kommenden Jahr jeweils 325,4 Milliarden Euro (2009: 303,9 Milliarden Euro) betragen. Für Investitionen sind 28,7 Milliarden Euro eingeplant. Die Steuereinnahmen sollen 211,9 Milliarden Euro betragen, das sind rund 15 Milliarden Euro weniger als in diesem Jahr.
Schäuble begründete den Anstieg der Nettoneuverschuldung vor allem mit der anhaltenden Wirtschafts- und Finanzkrise. "Der Etatentwurf ist das Spiegelbild der Situation", sagte er. Die Krise sei noch nicht überwunden. Mit der Neuverschuldung würden vor allem die Zuschüsse an die Bundesagentur für Arbeit und die gesetzliche Krankenversicherung sowie die Kosten der Konjunkturprogramme finanziert. Außerdem seien noch Mittel für die Landwirtschaft (425 Millionen Euro), für Forschung und Bildung (750 Millionen Euro) und für das Wachstumsbeschleunigungsgesetz eingearbeitet worden. Der Minister hielt es vor allem aus "makroökonomischer Sicht" für richtig, jetzt nicht zu sparen, sondern gegenzusteuern, "wo immer es geht". "Ich hoffe, dass wir 2010 die Krise überwinden werden", erklärte er.
Der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Norbert Barthle, unterstützte den Minister "vollständig" in seinem Kurs. Trotz der hohen Neuverschuldung werde am Ziel der Haushaltskonsolidierung festgehalten. Barthle wies darauf hin, dass die Bürgerinnen und Bürger um insgesamt 24 Milliarden Euro entlastet würden.
Otto Fricke, haushaltspolitscher Sprecher der FDP-Fraktion, sieht nur "kleine Teile" der Handschrift der Liberalen in dem Etatentwurf, da dieser im Wesentlichen auf dem Entwurf der Vorgängerregierung vom Juli dieses Jahres aufbaue. Er betonte, dass mit diesem Etat nicht nur die Leistungsträger durch Steuersenkungen entlastet werden sollen, sondern es sei auch sichergestellt, dass die Beiträge für die Sozialversicherungen nicht steigen würden.
"Ich vermisse eine klare Ansage, wie die Lage wirklich ist", erklärte der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Carsten Schneider. Der Etatentwurf stehe nicht auf dem Boden der Realität und es gebe keine überarbeitete mittelfristige Finanzplanung, kritisierte er. In diesem Jahr sei die Nettoneuverschuldung um 9,7 Milliarden Euro geringer als vorhergesehen. Dieses Geld werde aber nicht von der Regierung für die Haushaltskonsolidierung genutzt, sondern die Mittel würden für "Geschenke an die eigene Klientel" ausgegeben. Dem stimmte der Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Alexander Bonde, zu. Außerdem wies er darauf hin, dass es neben der Neuverschuldung von rund 86 Milliarden Euro mehr als 14 Milliarden Euro in "Schattenhaushalten" gebe. Damit betrage die Neuverschuldung im kommenden Jahr mehr als 100 Milliarden Euro. Für die haushaltspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Gesine Lötzsch, treibt die Neuverschuldung den Staat in die "Handlungsunfähigkeit". Deshalb brauche der Staat eine solide Einnahmebasis. "Vor allem brauchen wir endlich Steuergerechtigkeit", forderte sie. Durch Steuererhöhungen müssten diejenigen zur Sanierung der Staatsfinanzen herangezogen werden, die sich in den vergangenen 20 Jahren auf Kosten der Allgemeinheit eine "goldene Nase" verdient hätten. Bei den Ausgaben schlug sie Einsparungen vor allem im Verteidigungsministerium, aber auch beim Bau des Berliner Schlosses vor.
Der Etatentwurf der Bundesregierung zum Haushalt 2010 soll in der Woche vom 19. bis 22. Januar 2010 in erster Lesung im Bundestag beraten werden. Anschließend wird er im Haushaltsausschuss debattiert, der seine Beratungen mit der sogenannten Bereinigungssitzung am 4. März 2010 beenden will. Die Verabschiedung ist für die Sitzungswoche vom 16. bis 19. März eingeplant. Bis dahin gilt die vorläufige Haushaltsführung.
Schäuble kündigte an, dass der Etatentwurf der Bundesregierung für 2011 nach dem "üblichen Zeitplan" vorgelegt werde. Danach wird das Kabinett den Entwurf Ende Juni/Anfang Juli verabschieden und dem Bundestag vorlegen. Der wird sich vom September bis Ende November damit beschäftigen. Für die Zeit ab 2011 kündigte der Minister ein scharfes Sparprogramm an.
Das strukturelle Defizit bezifferte er auf insgesamt 70 Milliarden Euro. Die Regierung werde deshalb ab 2011 jährlich 10 Milliarden Euro davon abbauen, um bis 2016 die Kriterien der Schuldenbremse einzuhalten. Dies werde "ungewöhnlich schwierig" und "nicht mit den herkömmlichen haushalterischen Maßnahmen zu schaffen" sein. Wie genau diese Aufgabe erfüllt werden solle, könne er derzeit nicht sagen.
Der Minister versicherte, dass Deutschland bis 2013 wieder die Defizitgrenze des Euro-Stabilitätspakts von drei Prozent des Brutto-Inlandsprodukts (BIP) einhalten wolle. Die internationale Glaubwürdigkeit des Euro müsse unbedingt erhalten bleiben; dabei sei die Bundesrepublik der "entscheidende Anker". Er räumte jedoch ein, dass 2010 das gesamtstaatliche Defizit eher bei sechs als bei fünf Prozent liegen dürfte. Zur Konjunkturerholung sagte der Minister, das "tiefste Tal" sei nun durchschritten, auch wenn kommendes Jahr die Arbeitslosigkeit noch einmal merklich steigen werde.