Ein Verteilungsverfahren wird angewendet, wenn es darum geht, aus den "Anteilen" der verschiedenen "Parteien" in einer "Ausgangsmenge" die entsprechenden Anteile (Sitze) in einem zu besetzenden "abgeleiteten Gremium" zu ermitteln. Bei einer Parlamentswahl z.B. sind unter Parteien die politischen Parteien, unter Ausgangsmenge ist die Summe der gültigen Stimmen und unter Anteilen sind die jeweils auf eine Partei entfallenden Stimmen zu verstehen; bei der Besetzung eines parlamentarischen Ausschusses ist die Ausgangsmenge die Gesamtzahl der Abgeordneten im Plenum, die Parteien sind hier die Fraktionen, Gruppen und fraktionslosen Abgeordneten, ihre Anteile sind die jeweiligen Stärken im Plenum.
Wie schon in diesen Beispielen, ist das zu besetzende, abgeleitete Gremium in der Regel kleiner als die Ausgangsmenge.
Eng verbunden mit der Aufgabe, Anteile in einem Gremium zu ermitteln, ist die Aufgabe, aus den gegebenen Anteilen in einer Ausgangsmenge eine Reihenfolge abzuleiten; etwa die Reihenfolge, in welcher Parteien ein Wahlrecht ausüben können. Das Wahlrecht kann sich zum Beispiel auf die Vorsitze in den parlamentarischen Ausschüssen oder auf die Bestellung von Berichterstattern beziehen.
Eine wichtige Forderung bei dieser Aufgabe ist, dass das abgeleitete Gremium mit seinen Anteilen der verschiedenen Parteien möglichst die Ausgangsmenge mit deren Aufteilung repräsentiert.
So ist ein möglicher und in der Praxis bedeutender Grundsatz für die parlamentarische Repräsentanz die Verhältnistreue. Soweit das Wahlrecht die Verhältniswahl vorsieht, soll die Zusammensetzung eines Parlaments verhältnistreu, das heißt proportional zu den Anteilen der verschiedenen Parteien am Wahlergebnis sein; ebenso soll bei der Besetzung eines parlamentarischen Ausschusses die Zusammensetzung proportional zur Zusammensetzung des Plenums sein.
Dazu können im parlamentarischen Bereich weitere Forderungen kommen:
Ein Beispiel dafür ist die Vorgabe, dass jede Partei der Ausgangsmenge auch im abgeleiteten Gremium mit wenigstens einem Anteil (Sitz) vertreten sein soll; dies ist insbesondere bei kleinen Gremien oft nur durch eine radikale Maßnahme wie z. B. durch die Einführung eines sogenannten Grundmandates zu erfüllen. So wurde Ende 1994 in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages der folgende Satz angefügt: "Jede Fraktion des Deutschen Bundestages ist durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium vertreten." (Forderung der Mindestvertretung).
Eine weitere Forderung ergibt sich aus der Möglichkeit der Koalitionsbildung zwecks Erlangung einer Mehrheit. Danach sollen die Mehrheitsverhältnisse in der Ausgangsmenge (Plenum) sich auch in den abgeleiteten Gremien (Ausschüsse) wiederfinden (Forderung der Mehrheitstreue). Diese praktisch sehr wichtige Forderung wird im folgenden nicht weiter behandelt. Es sei dazu aber auf einen Vorschlag von F. Hermsdorf, Mathematiker im Dienst des Bundesrates, verwiesen1).
Der Grundsatz der Verhältnistreue, also der Proportionalität in der Zusammensetzung der Ausgangsmenge und des abgeleiteten Gremiums, bringt in aller Regel die Schwierigkeit mit sich, dass die Übertragung der exakten Verhältnisse auf das abgeleitete Gremium, die nach einer einfachen Dreisatz-Rechnung vorgenommen werden müsste, zu nicht-ganzzahligen Anteilen führt.
Beispiel 1: (die Beispiele stellen jeweils Auszüge aus den im Anhang gegebenen Musterberechnungen dar, auf die deshalb verwiesen wird.)
Ausgangsmenge hat die Summe | 356 | |
abgeleitetes Gremium soll die Summe | 47 | haben |
|
Der streng proportionale Anteil im abgeleiteten Gremium ergibt sich aus der
Proportionalitäts-Rechnung: |
Wenn es sich bei der Zusammensetzung der Gremien um Individuen handelt, und das ist im parlamentarischen Bereich der Fall, sind nicht-ganzzahlige Anteile untragbar, und das einfache Dreisatz-Verfahren ist deshalb nicht anwendbar. (Anders verhält es sich etwa bei der Repräsentanz in einer Wohnungseigentümer-Versammlung, bei der die Stimmen der einzelnen Eigentümer möglicherweise jeweils das Gewicht ihrer nicht-ganzzahligen Eigentumsanteile bekommen.) Damit dennoch die Ganzzahligkeit der Anteile der beteiligten Parteien in einem Gremium erreicht wird, sind verschiedene Verfahren entwickelt worden.
Im folgenden wird auf die besonders gebräuchlichen Verfahren nach
im einzelnen eingegangen.
Für die Ermittlung von Anteilen (Sitzverteilungen) werden an derartige Verfahren grundsätzlich die folgenden Anforderungen gestellt:
Für die Ermittlung von Reihenfolgen gibt es im wesentlichen nur eine Forderung:
Wie oben andeutungsweise schon festgestellt, lassen sich diese Forderungen nur in Ausnahmefällen alle zugleich erfüllen. Wenn man also von der Integritätsforderung und der Summenforderung nicht abrücken will bzw. kann, müssen die notwendigen Abstriche bei der Proportionalitätsforderung gemacht werden. Das heißt, das Ergebnis solcher Berechnungen trifft zwar in der Summe das vorgegebene Gremium, und die Zusammensetzung besteht aus ganzzahligen Anteilen der einzelnen Parteien, die Verhältnisse zwischen den Anteilen in dem abgeleiteten Gremium und in der Ausgangsmenge stimmen meistens jedoch nicht exakt überein. Auch liefern die Verfahren nicht immer eindeutige Ergebnisse.
Die verschiedenen Verfahren haben jeweils spezifische Vor- und Nachteile. Sie werden im folgenden dargestellt.
Dabei soll hier schon auf einen bemerkenswerten Unterschied zwischen dem Verfahren nach Hare/Niemeyer einerseits und den Verfahren nach d´Hondt und Sainte Laguë/Schepers andererseits hingewiesen werden:
Das Verfahren nach Hare/Niemeyer befasst sich bei der Berechnung mit einer einzigen Soll-Größe, nämlich der integralen Stärke des abzuleitenden Gremiums. Es kann daher auch als "Integrales Verfahren" bezeichnet werden.
Die Verfahren nach d´Hondt und Sainte Laguë/Schepers bauen im Unterschied dazu das abzuleitende Gremium schrittweise auf und durchlaufen dabei alle Gremien mit einer darunter liegenden Stärke - bei Eins beginnend - , bis die vorgegebene Stärke des abzuleitenden Gremiums erreicht ist. Die zu dieser Klasse gehörigen Verfahren können deshalb als "Inkrementelle Verfahren" bezeichnet werden.
1) Fred Hermsdorf, ZParl (1990) Heft 3, Seite 528, und private Mitteilung (1995)