EU-PARLAMENT
Der Pole Jerzy Buzek ist der erste Parlamentspräsident aus einem osteuropäischen Land
Er ist ein Freund der geflügelten Worte, der funkelnden Bonmots. Als Jerzy Buzek anlässlich seiner Antrittsrede am 15. September in den vollen Plenarsaal in Straßburg blickt, auf die vielen hundert Parlamentarier und Ehrengäste, die zur Feier der neuen Legislaturperiode versammelt sind, zitiert er Hannah Arendt. Die deutsche jüdische Philosophin habe einmal etwas über die Politik gesagt, ruft der Pole: "Sie ist der einzige Bereich, abgesehen von der Religion, in dem Wunder geschehen." Aus seinem Mund klingt das nicht einmal kitschig. Es ist sogar nachvollziehbar, dass ein frisch gewählter EU-Parlamentspräsident auf so etwas kommt. Jerzy Buzek wird eine Volksvertretung leiten, die von knapp 43 Prozent aller Wähler getragen wird. Jeder Zweite blieb bei der Wahl im Juni aus Gleichgültigkeit oder Protest zu Hause. Gelänge es Buzek, die Begeisterung für Europa neu zu entfachen, wäre das tatsächlich ein kleines Wunder.
Buzek weiß, dass es schwer wird. Und er will sich der Aufgabe stellen. Fürs Erste verweist der Konservative auf ein historisches Wunder: den Fall des Eisernen Vorhangs. "Vor genau 20 Jahren haben wir in Europa das erlebt. Deshalb glauben wir an die Kraft des Mutes, der Vorstellungskraft und der Weisheit. Ich denke, alle hier in diesem Saal glauben daran." Die Abgeordneten quittieren das mit lautem Applaus.
Jerzy Buzek, 69 Jahre alt, wurde 1940 im schlesischen Smilowice geboren und ist der erste Parlamentspräsident überhaupt, der aus einem osteuropäischen Land kommt. Das gibt ihm zum Amtsantritt einen zusätzlichen Sympathiebonus. Die Abgeordneten der westlichen EU-Länder freuen sich an der Symbolträchtigkeit der Stunde. Die Zeit, in der es ein "altes Europa" und ein "neues Europa" gab, sei vorüber, sagt Buzek. "Es gibt ein Europa - unser Europa. Wir wollen, dass es modern und stark ist und dass unsere Bürger dies fühlen."
In seinem Heimatland und auch international war Buzek vor seinem Amtsantritt kein Unbekannter. Lange Zeit gehörte der studierte Chemieeingenieur zu den politischen Dissidenten: Schon Anfang der 1980er Jahre trat er der antikommmunistischen Gewerkschaft Solidarnosc bei. Einige der alten Mitstreiter sollte er später im EU-Parlament wiedertreffen.
Von 1997 bis 2001 war Buzek polnischer Ministerpräsident und überstand dort immerhin eine vollständige Amtszeit, was in Polen Seltenheitswert hat. Unter seiner Regierung wurden die EU-Beitrittsverhandlungen eröffnet, trat Polen der Nato bei. Dann war es erst einmal vorbei mit den politischen Erfolgen. Bei den Parlamentswahlen 2001 fuhr seine Partei ein desaströses Ergebnis ein. 2004 wurde Buzek erstmals ins EU-Parlament gewählt. Bei den EU-Wahlen 2009 war er schließlich strahlender Überraschungssieger: Er holte für die konservativ-liberale "Bürgerplattform" (PO) rund 400.000 Stimmen. Buzek könnte bald "der wichtigste Pole der Welt seit Papst Johannes II." werden, frohlockte die Zeitschrift "Polityka". Mit einem Unterschied: Buzek ist praktizierender Protestant.
Nun wartet das politische Alltagsgeschäft auf den neuen Parlamentspräsidenten. Eine spannende Entscheidung steht schon am 2. Oktober an. Die Bevölkerung Irlands stimmt zum zweiten Mal über den Reformvertrag von Lissabon ab. Buzek liegt dieser Urnengang sehr am Herzen: Anfang September war er sogar selbst nach Irland gefahren, um für eine hohe Wahlbeteiligung zu werben. "Ich werde den Iren ihre Meinung nicht vorschreiben, ich habe selbst lange genug in einer Diktatur gelebt", erklärte Buzek während dieser Reise. Dennoch trägt er, wie alle großen Fraktionen des EU-Parlaments, den Lissabon-Vertrag mit. "Die Umsetzung des Lissabon-Vertrags sollte eine der großen Prioritäten für die nächste Zukunft sein", betont er in seiner Antrittsrede.
Seine übrigen Vorhaben spiegeln die allgemeinen Herausforderungen wider, vor denen die EU gerade steht: Wirtschaftskrise, Klimawandel, die Beziehungen zu wichtigen Ländern wie Russland und China. Ein anderer Punkt in Buzeks Rede dürfte seinen konservativen Parlamentskollegen nicht unbedingt gefallen haben. "Wir müssen eine offene Gemeinschaft sein. Die Immigration hat Europa immer Nutzen gebracht", erklärt der Pole. "Wir brauchen Möglichkeiten, Einwanderer zu uns einzuladen. Wir müssen Bedingungen schaffen für Integration. Die Einwanderer müssen sich dieser Integration aber auch öffnen."
Insgesamt klingt bei Buzek der Wunsch nach Kompromissen und Ausgleich durch. Entsprechend wohlwollend reagieren die Vorsitzenden der großen Fraktionen. "Jerzy Buzek ist ein Trumpf, wenn es darum geht, die Bürger mit Europa zu versöhnen", befindet Buzeks christdemokratischer Fraktionskollege Joseph Daul. Der Chef der Sozialdemokraten, Martin Schulz, wettert gegen europafeindliche Tendenzen im Parlament. Er sei froh, einen Präsidenten zu haben, der sich für eine Stärkung der EU einsetze.
Der Vorsitzende der Europäischen Konservativen und Reformisten, Michal Kaminski, zeigt immerhin Kooperationsbereitschaft: "Ich teile Buzeks Meinungen in mancher Hinsicht nicht, aber wir können Kompromisse erzielen." Seine Fraktion ist unter anderem gegen den Lissabon-Vertrag.
Die Grünen-Chefin Rebecca Harms sagt an Buzek gewandt: "Die Aufgabe, Ost und West näher zusammenzubringen, ist durch die Finanzkrise eher schwerer geworden." In der EU ist es also durchaus Zeit für ein paar kleine Wunder. Mit Buzek hat das Parlament zumindest jemanden gefunden, der daran glaubt.