Konstituierung
Die fünf Bundestagsfraktionen stellen sich personell neu auf
Der Bundestag kennt keine Parteien - nur Fraktionen. Diese Feststellung, die schon 60 Jahren gilt, wird auch in den kommenden vier Jahren seine Geltung haben. Denn die Fraktionen - in dieser Legislaturperiode wieder fünf - gelten als die Bindeglieder zwischen der grundgesetzlich vorgeschrieben Mitwirkung der Parteien an der Willensbildung des Volkes und der Umsetzung in praktische Politik durch das Parlament.
Zur Bildung einer Fraktion müssen sich mindestens fünf Prozent (32 Abgeordnete) aller Mitglieder des Bundestages (zur Zeit 622) zusammenschließen. Sie müssen durch dieselbe politische Zielvorstellung und meist auch durch dieselbe Parteizugehörigkeit verbunden sein. Es können aber auch Mitglieder verschiedener Parteien sein, die aufgrund gleichgerichteter Ziele in keinem Bundesland miteinander im Wettbewerb stehen. Dies ist bei CDU und CSU der Fall, die sich regelmäßig zu Beginn der Legislaturperiode zu der CDU/CSU-Fraktion zusammenschließen.
Die Fraktionen haben einen hierarchischen Aufbau mit Vorsitz, Vorstand, Geschäftsführung und Sprechern. Ihre Mitglieder sind aber auch in verschiedene Arbeits- und Herkunftsbereiche unterteilt. So finden sich die Abgeordneten aus dem gleichen Bundesland in einer Landesgruppe zusammen, in der die Interessen des entsprechenden Landes koordiniert und in den Bundestag eingebracht werden. Abgeordnete mit dem selben fachlichen Schwerpunkt bilden eine Arbeitsgruppe oder einen Arbeitskreis, wie zum Beispiel die Arbeitsgruppe Haushalt, deren Mitglieder die Fraktion im Haushaltsausschuss vertreten.
Wenn in der Regel alle Abgeordneten des Bundestages in Fraktionen organisiert sind, so gibt es doch Ausnahmen: Immer wieder scheiden Abgeordnete aus ihren Fraktionen aus. In der vergangenen Legislaturperiode waren dies Gert Winkelmeier von der Linksfraktion, Henry Nitzsche (CDU/CSU) und Jörg Tauss (SPD). Ein anderes Beispiel für die Arbeit fraktionsloser Abgeordneter sind Gesine Lötzsch und Petra Pau, die von 2002 bis 2005 als einzige direkt gewählte Abgeordnete der damaligen PDS im Bundestag waren.
In den Sitzungswochen treffen sich die Abgeordneten regelmäßig dienstags zu ihren Fraktionssitzungen. Dabei werden die unterschiedlichen politischen Meinungen, Initiativen und Gesetzentwürfe besprochen und die gemeinsame Marschroute für die parlamentarischen Auseinandersetzungen in den Ausschüssen und im Plenum abgesteckt. Um die Geschlossenheit der Fraktionen zu wahren, wird auch erwartet, dass die einzelnen Abgeordneten nach der Entscheidung in der Fraktion sich diesem Votum beugen und entsprechend abstimmen. Ein Zwang kann aber daraus nicht abgeleitet werden.
Die Organisationsstruktur der Fraktion ähnelt in gewisser Weise mittelständischen Unternehmen. An der Spitze stehen die Fraktionsvorsitzenden, deren Stellvertreter und die Parlamentarischen Geschäftsführer. Dazu gehören auch in der Regel die Mitglieder des Bundestagspräsidiums. Diese Organisationsstruktur wird in der Regel von Legislaturperiode zu Legislaturperiode fortgeschrieben. Es wechseln nur die Handelnden. In der nun beginnenden 17. Legislaturperiode hat bisher die SPD-Fraktion sich am weitesten neu aufgestellt. Kurz nach der Bundestagswahl wählten die 146 Abgeordneten mit großer Mehrheit Frank-Walter Steinmeier, den Außenminister der Großen Koalition und Spitzenkandidaten der SPD, zu ihrem neuen Vorsitzenden. Er löst Peter Struck ab, der für den 17. Deutschen Bundestag nicht mehr kandidierte. Auch bei der Wahl der stellvertretenden Vorsitzenden wurden Änderungen notwendig, da zum Beispiel die bisherigen Amtsinhaber Walter Kolbow und Ludwig Stiegler nicht mehr kandidierten; Klaas Hübner wurde nicht mehr in den Bundestag gewählt. Außerdem schieden Fritz Körper und Christel Humme aus der Fraktionsführung aus.
Am 22. Oktober wurden die bisherige stellvertretende Fraktionsvorsitzenden Elke Ferner (zuständig für die Gesundheit und Soziales), Angelika Schwall-Düren (Europa), Ulrich Kleber (Umwelt) und Joachim Poß (Haushalt und Finanzen) auf ihren Posten bestätigt. Für Wirtschaft und Arbeit ist als Nachfolger Hübners der noch amtierende SPD-Generalsekretär Hubertus Heil zuständig und für die Verkehrspolitik Florian Pronold aus Bayern. Um die Familien- und Bildungspolitik wird sich Dagmar Ziegler aus Brandenburg kümmern, die neu in den Bundestag gewählt wurde. Für die Außen- und Sicherheitspolitik ist in Zukunft der bisherige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, zuständig. Von der ehemaligen SPD-Ministerriege der Großen Koalition wird neben Steinmeier der bisherige Arbeitsminister Olaf Scholz als stellvertretender Fraktionsvorsitzender die Innen- und Rechtspolitik leiten; Justizministerin Brigitte Zypries wird Justiziarin.
Aufgrund der Koaltionsverhandlungen hat sich die personelle Neuorganisation bei den Koalitionsfraktionen CDU/CSU und der FDP verzögert. Die CDU/CSU, mit 239 Mitgliedern die größte Fraktion, hat kurz nach der Wahl lediglich Volker Kauder mit großer Mehrheit in seinem Amt als Fraktionsvorsitzender bestätigt und Norbert Röttgen als Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer gewählt. Zu ihren Stellvertretern wurden von der CSU-Landesgruppe (45 Abgeordnete) Peter Ramsauer als erster stellvertretender Vorsitzender und Hartmut Koschyk als Parlamentarischer Geschäftsführer wiedergewählt. Ihre endgültige Mannschaft will die Fraktion erst im November bilden, wenn die Regierungsbildung abgeschlossen ist. Denn es ist möglich, dass bereits gewählte Mitglieder der Fraktionsführung in eine Position in der neuen Regierung wechseln. Dies gilt auch für die FDP-Fraktion, die im neuen Bundestag 93 Mitglieder hat. Sie wählte bereits kurz nach der Wahl Guido Westerwelle zu ihrem Vorsitzenden.
Die Fraktion Die Linke (76 Abgeordnete) hatte in den vergangenen vier Jahren eine Doppelspitze. Da Oskar Lafontaine aber auf eine Wiederwahl zum Fraktionsvorsitzenden verzichtete, wählte die Fraktion bisher nur Gregor Gysi zu ihrem neuen Vorsitzenden. Parlamentarische Geschäftsführerin ist wie bisher Dagmar Enkelmann. Bei einer Doppelspitze bleibt es bei der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Hier wurden von den 68 Abgeordneten Jürgen Trittin und Renate Künast zu den neuen Vorsitzenden gewählt; Parlamentarischer Geschäftsführer bleibt Volker Beck.