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Gültig ab: 05.08.2008 10:19
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Die Angst vor dem sozialen Abstieg

Schützt der Sozialstaat noch ausreichend vor sozialer Not? Müllsammler in einer deutschen Stadt
Schützt der Sozialstaat noch ausreichend vor sozialer Not? Müllsammler in einer deutschen Stadt
© Picture-Alliance/Keystone

Armut in Deutschland

Die Entwicklung kommt schleichend. Zuerst sind es nur „die anderen”, denen es nicht mehr so gut geht, die in Armut fallen. Doch längst haben nicht nur Arbeitslose, Alleinerziehende, Kinder und Geringverdiener Mühe, am normalen Leben teilzunehmen. Auch Arbeitnehmer aus der Mittelschicht fürchten zunehmend den sozialen Abstieg. Was läuft schief in Deutschland? Im Streitpunkt von BLICKPUNKT BUNDESTAG diskutieren darüber Inge Zeller, gelernte Diplombetriebswirtin und seit drei Jahren arbeitslos, und Carsten Schneider, haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.

Der jüngste Armutsbericht der Bundesregierung spricht eine deutliche Sprache: Jeder vierte Deutsche ist arm oder von Armut bedroht. Die Lücke zwischen Arm und Reich wird immer größer — die Mittelschicht kleiner. Alarmierende Zahlen, die die politischen Parteien bis hin zum Bundespräsidenten in Besorgnis versetzen. Denn das Gefühl vieler Bürger, nicht mehr anerkannter Teilhaber am Gemeinwesen, nur noch gering geschätzter Transferbezieher zu sein, könnte den Kitt unserer Gesellschaft, das Gefühl sozialer Gerechtigkeit, brüchig machen. Schon jetzt befindet sich die Zustimmung zu unserem Parteiensystem im Sinkflug, ist das Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft auf unter 50 Prozent Zustimmung gerutscht.

Allerdings: Auch wenn die soziale Kluft in Deutschland tiefer wird — von wirklich lebensbedrohlicher Not sind wir noch entfernt. Wer von Armut betroffen ist, muss deswegen nicht zwangsläufig unter Brücken schlafen oder Hunger leiden. Hier helfen die staatlichen Transferleistungen wie Sozialhilfe, Arbeitslosengeld, Miet- und Heizkostenzuschüsse, Kindergeld. Zudem ist die Definition von Armut umstritten. Nach europäischem Maßstab gilt als armutsgefährdet, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdient. Als Alleinlebender sind dies zurzeit monatlich 781 Euro netto. Doch Statistiken haben ihre Tücken: Würde sich das Durchschnittseinkommen in Deutschland verdoppeln, blieben Menschen in den Augen der Statistiker auch mit deutlich mehr Geld weiterhin arm, da sich an der zugrunde gelegten Relation von 60 Prozent des Durchschnittseinkommens nichts veränderte.

Wer jeden Cent sparen, jeden Euro dreimal umdrehen muss, für den sind solche Rechenspiele egal. Er muss sehen, wie er den Alltag bewältigt, die Kinder vernünftig großzieht, Anschluss am Leben hält. Wer kein Geld hat für eine Kinokarte oder mal ein Glas Wein im Restaurant, fühlt sich rasch einsam und ausgegrenzt. Das Schlimmste an Armut ist häufig die Perspektivlosigkeit, das Gefühl, an der eigenen Lage nichts ändern zu können.

In der Politik ist der Alarm des Armutsberichts angekommen. Einige Parteien überschlagen sich mit Forderungen nach Steuer- und Abgabesenkungen, höherem Kindergeld und angesichts der Explosion der Energiepreise nach neuen Sozialtarifen. Doch sind das die richtigen Rezepte? Sind die eigentlichen Stellschrauben im Kampf gegen die Armut nicht andere — etwa entschiedene Investitionen in eine bessere Kinderbetreuung und in die Bildung insgesamt? Denn eines prophezeien alle Experten: Nur wer gut ausgebildet ist, hat künftig Chancen, Arbeitslosigkeit und Armut von sich fernzuhalten.

Die Gretchenfrage heißt zudem: Wer soll Steuersenkungen oder höhere Leistungen bezahlen? Da werden die Mienen in der Politik schnell länger. Denn die Große Koalition hat sich auf den Schuldenabbau und die Sanierung des Staatshaushaltes verschworen. Auch dies ist eine Frage der Gerechtigkeit. Zwischen den Generationen. 

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Erschienen am 13. August 2008

Weitere Informationen:

Armutsbericht
Der 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zum Download: www.bmas.de/coremedia/generator/26744


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