Im vergangenen Jahr hatte der Optimist Recht: Während die Elite-Ökonomen vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung eine Wachstumsprognose von 1,5 Prozent für 2004 abgegeben hatten, sah der Bundeswirtschaftsminister darin nur die Untergrenze und hoffte auf bis zu zwei Prozent. Geworden sind es 1,7 Prozent, und der Optimist Wolfgang Clement (SPD) kann sich bestätigt fühlen. Auch für dieses Jahr sieht er die Aussichten rosiger als die Professoren. Während diese in ihrem Jahresgutachten 2005 ein Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent erwarten, rechnet der Minister in seinem Jahreswirtschaftsbericht mit 1,6 Prozent.
Dieser trägt den Titel "Den Aufschwung stärken - Strukturen verbessern". In der ersten Lesung von Jahresgutachten und Bericht am 27. Januar im Bundestag wurde der Minister nicht müde, Pluspunkte der wirtschaftlichen Situation des Landes zu betonen: die Exportstärke, die moderate Entwicklung der Lohnstück-kosten, die geringe Inflationsrate, die niedrige Steuerquote von 21,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, aber auch die technologische Leistungsfähigkeit, den Anstieg der Forschungs- und Entwicklungsausgaben und die hervorragende Infrastruktur.
Zwar werde sich im Jahresdurchschnitt aufgrund statistischer Effekte der Hartz-IV-Reform die Zahl der Arbeitslosen um etwa 150.000 erhöhen, sagte Clement. Auf der anderen Seite erwartet er aber auch, dass deren Zahl zum Jahresende um etwa 200.000 niedriger sein wird als zum Jahresbeginn. Der mit der Agenda 2010 eingeschlagene Weg der Reformen müsse konsequent weitergegangen werden.
Der Fraktionsvize der CDU/CSU, Roland Pofalla, nannte sowohl Clements Rede als auch den Jahreswirtschaftsbericht einen "politischen Offenbarungseid", weil der Minister trotz der höchsten Arbeitslosigkeit seit Gründung der Republik keinen Vorschlag gemacht habe, wie diese beseitigt werden kann. Wenn die Arbeitslosigkeit im Jahresdurchschnitt bei mehr als 4,5 Millionen liegen werde, wie im Jahreswirtschaftsbericht prognostiziert, so sei Clement dafür "persönlich verantwortlich". Das Wachstum müsste bei mindestens zwei Prozent liegen, um neue Vollarbeitsplätze hervorzubringen. Pofalla schlug dem Minister einen "Pakt für Deutschland" mit zehn Reformvorhaben vor, unter anderem eine 1,5-prozentige Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung und die Möglichkeit einer zehnprozentigen untertariflichen Entlohnung, um Langzeitarbeitslosen zu helfen.
Für Werner Schulz von den Bündnisgrünen ist die deutsche Wirtschaft "gut aufgestellt" und die Trendwende geschafft. Pofallas Pakt-Angebot tat Schulz als "Packung alter Hüte" ab. Die hohen Lohnnebenkosten von 42 Prozent bezeichnete er als "schwere Hypothek der Regierung Kohl", die abgetragen werden müsse.
Die Reform des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes nahm Rainer Brüderle (FDP) zum Anlass, um vor dem "Weg in eine Inflationsgemeinschaft" zu warnen. "Wie viele Schulden bräuchten wir denn noch, damit die Wirtschaft in Gang kommt?", rief er in den Saal. Das Wachstum steige, so Brüderle, wenn mehr gearbeitet werde: Vier Feiertage weniger hätten 2004 zu einem halben Prozent mehr Wachstum geführt.
Ludwieg Stiegler (SPD) registrierte ein gestiegenes Vertrauen der Verbraucher. Die Kommunen seien wieder handlungsfähig gemacht worden, sodass eine der wichtigsten Voraussetzungen für Investitionen gegeben sei. Die großen Unternehmen hätten sich entschuldet und seien ebenfalls zu Investitionen in der Lage. Stiegler freute sich, "dass die großen Banken wieder den Mittelstand entdecken". In Ostdeutschland dürfe keine Investition am Mangel an Fördermitteln scheitern. Deshalb teilten die Sozialdemokraten die Auffassung des Sachverständigenrates nicht, die Investitionszulage abzuschaffen.