Analysen des westlichen Wohlstandsmodells und seiner verheerenden Folgen für die Umwelt füllen mittlerweile ganze Bibliotheken. Leider ist es um die Umsetzung des Leitbildes einer nachhaltigen Entwicklung - einer vernünftigen Verzahnung der ökologischen, ökonomischen und sozialen Entwicklung - in die Praxis schlecht bestellt.
Es besteht kein Anlass zu der Hoffnung, dass die derzeitigen Anstrengungen zur Ressourcenschonung und zum Klimaschutz den Weg einer zukunftsfähigen, "dauerhaft durchhaltbaren" Entwicklung ebnen können, meint Felix Ekardt. Denn bisher würden alle Maßnahmen durch unsere Wohlstandszuwächse aufgefressen; der Lebensstil in den westlichen Industriestaaten sei nach wie vor nicht nachhaltig, ein Kurswechsel nicht in Sicht.
Einen Grund dieser Misere sieht der Professor für Europäisches Verfassungsrecht und Umweltrecht an der Universität Bremen und einer der jüngeren Mitglieder des Club of Rome in einem Theoriedefizit der Nachhaltigkeitsdiskussion, die sich weitgehend in Worthülsen ohne Begründung und praktische Durchsetzung erschöpfe. Ekardts zentrale These: Wir brauchen ein neues Gerechtigkeitskonzept, das in der Lage ist, Demokratie und Menschenrechte in einem globalen Maßstab zu begründen.
Auf der Basis vernunftorientierter Werteentscheidungen könne die Einsicht verbreitet werden, dass Freiheit, Zukunft und globale Gerechtigkeit universal real werden müssten. Gefühle, Religion, Tradition, Konformität und eigennütziges Kosten-Nutzen-Denken seien untauglich, Gerechtigkeitsideen zu begründen. Es gehe darum, im Rahmen einer liberalen Grundordnung die Grundbedürfnisse aller Menschen zu sichern .
Autoritären und gemeinschaftsorientierten Ordnungen erteilt der Autor eine klare Absage. Dem von der Umweltbewegung so geschätzten Philosophen Hans Jonas weist er - zumindest zwischen den Zeilen - ökodiktatorische Züge nach. Ekardt zitiert Jonas' bekanntes Werk "Prinzip Verantwortung", in dem dieser für eine mögliche "Pause der Freiheit" zugunsten der Menschheitserhaltung eintrete.
Nach Ekardt kann es ausschließlich eine liberal begründete Nachhaltigkeit geben. Aber zukünftigen Generationen stünde Freiheit in puncto Leben, Gesundheit und Existenzminimum zu. Dies schließe Zukunftsrechte etwa auf Trinkwasser, Nahrung, aber auch auf Klimaschutz mit ein. Das gelte auch für Menschen in anderen Ländern, deren Lebensraum man nicht allein als wirtschaftlichen Markt sehen dürfe.
Ekardt kritisiert die auf der Basis klassischer liberaler Konzepte entstandene schrankenlose Wirtschaftsfreiheit und einen "verantwortungslosen Hyperindividualismus". Zu seinem Prinzip Nachhaltigkeit gehört ein Junktim von Freiheit und Folgenverantwortlichkeit. Wenn Menschenrechte miteinander kollidierten, sei es die Aufgabe des Staates, die Freiheit des Einzelnen nicht nur zu achten, sondern ihn auch vor den Mitbürgern zu schützen. Bei der Jahrhundertaufgabe Nachhaltigkeit gehe es darum, über räumliche und zeitliche Grenzen hinweg viel mehr an andere Menschen zu denken.
Wenn aber globale und intertemporale Freiheitskonflikte letzten Endes auch nur global lösbar seien, bedürfe es einer Art demokratisch und freiheitlich orientierter Weltföderation oder eines Weltstaates mit entsprechenden Partizipationsmöglichkeiten und parlamentarischen Gremien. Konzernen und Nichtregierungsorganisationen fehlt nach Ansicht des Autors die Legitimation, um im Alleingang Umweltstandards durchzusetzen.
Für ein gelungenes Beispiel einer liberalen Nachhaltigkeitsentscheidung hält der Autor die Einführung der Ökosteuer: Sie mache ein bestimmtes Verhalten teuer, verbiete es aber nicht. Sie belaste den Einzelnen, der für die Folgen des Verbrauchs fossiler Brennstoffe mitverantwortlich sei und steuere das Verhalten des einzelnen Bürgers und des Unternehmens in Richtung Energieeffizienz. Zudem sei sie relativ unbürokratisch.
Fazit: Felix Ekardts Beitrag zur Nachhaltigkeitsdiskussion erstreckt sich über die Ebenen der Philosophie, der westlichen Verfassungen und der Politik. Er ist absolut lesenswert. Es gelingt ihm, seine Leser und Leserinnen von ihrer Verantwortung für die Herausforderungen der Nachhaltigkeit zu überzeugen, ohne je besonders die moralische Keule zu schwingen. Er unternimmt den lobenswerten Versuch, individuelle Freiheit und ihre Begrenzung durch Steuerung im Sinne einer gerechten Nachhaltigkeitsentwicklung zu versöhnen.
Ekardt kommt - im Gegensatz zu fast allen seinen älteren Mitstreitern vor allem aus der sogenannten 68er-Generation - ohne Rückgriff auf Appelle an vermeintlich existierende Kollektivinteressen aus. Der gegenwärtigen Nachhaltigkeitspolitik und -diskussion bescheinigt er eine gewisse beliebigkeit und fatale Harmonielastigkeit. Diese gehe leider zu Lasten einer Dynamik und Sprengkraft, "ohne die wir nicht zukunftsfähig werden, sondern Schiffbruch erleiden".
Felix Ekardt
Das Prinzip Nachhaltigkeit.
Generationengerechtigkeit und globale Gerechtigkeit.
Verlag C.H.Beck, München 2005; 184 S., 12,90 Euro
Die Autorin arbeitet in Bonn als freie Journalistin für internationale Organisationen zu Fragen von Umwelt und Naturschutz.