Rüdiger Liedtkes Wegbeschreibung durch das Big Business made in Germany präsentiert seit nunmehr 15 Jahren ein Kolorit der 100 größten deutschen Firmen. Aus dieser Unternehmenslandschaft ist längst ein weit verzweigtes, globales Panoptikum geworden, in dem Mütter und Töchter sich mit allerlei Beteiligungsgesellschaften einlassen oder sich gegenseitig auffressen.
Viele Konzerne werden in ihrer strukturellen Komplexität zum ökonomischen Phantom und lassen nur noch Umrisse erkennen. Ihre Verflechtungen sind ein gesellschaftsrechtliches Labyrinth, manche gleichen gar potemkinschen Dörfern. Internationale Vernetzung ist allerdings nichts grundsätzlich Verwerfliches, Verwebungen gehören in einer globalen Gesellschaft zum wirtschaftlichen Status Quo. Doch wird man bei Lektüre das Gefühl nicht los, dass Unübersichtlichkeit gewollt ist und Spekulation, wie es eine Pressesprecherin formuliert, zum Geschäft gehört.
Im Revier des Shareholder-Value verschwinden dabei per Akquisition und Fusion zunehmend große und historisch gewachsene Namen von der Bildfläche wie etwa Höchst, Mannesmann, Preussag oder VEBA. Andere wie Holzmann, Kirch oder zuletzt Walter-Bau melden Insolvenz an. Die eigenständig agierenden, deutschen Traditionsakteure, die dem Autor vorschweben, sind eine aussterbende Spezies, deren Erbgut - sprich ihre Vision und Substanz - von einer Unternehmensgeneration absorbiert wird, deren Größe und Reflex einzig darin bestehen, Gewinne zu maximieren.
Liedtke will Übersicht und Klarheit schaffen. Er listet mit der Akribie eines virtuosen Buchhalters Unternehmens-, Kapital- und Personendaten auf und zeigt für die Jahre 2001bis 2003, was umgesetzt, erwirtschaftet und welche Löhne und Gehälter gezahlt wurden und wie oder was Vorstand und Aufsichtsrat sich jeweils be- oder verdienten. Dazu bewertet er nationale und internationale Strategien des Managements. Für deren Qualität gibt es im Zeitalter der Testurteile ein Ranking nach Gastronomieart von einem Stern (sehr schlecht) bis fünf Sterne (sehr gut). Selbiges verweist auf ein mittelmäßiges Managementfirmament, denn im Durchschnitt erreichen die Top 100 eine Sternendichte von 3,3. Vier Firmen in Deutschland leuchten mit fünf Sternen heller als alle anderen: Beiersdorf, BMW, Porsche und ZF Friedrichshafen; auf der unteren Skala mit zwei Sternen finden sich sieben Unternehmen.
Der aufschlussreiche Firmenalmanach belegt: Großkonzerne werden zu eigenständigen Volkswirtschaften, die aus ihrer internationalen Verschachtelung heraus die Geschicke der Republik im exklusiven, kleinen Kreis bestimmen. Dadurch sieht Liedtke das "historisch gewachsene Konsensmodell der Sozialen Marktwirtschaft" in Gefahr, da Sozialpartner und Gesellschaft sich final der eindringlichen Standortsicherungsrhetorik unterordnen. Die Politik ist weitestgehend machtlos, sie verwaltet letzten Endes die nationalen Anteile, die ihr eine globale Ökonomie zuweist.
Es gibt allerdings noch einen anderen Akteur im Spiel: Den qualitätsbewussten Kunden. Er fordert zunehmend von den Unternehmen Transparenz, Offenheit und ethische Verantwortung. Und er besitzt ein wachsendes Regionalbewusstsein. Damit könnten internationale Konzerne sogar noch eine weitere Chance, ja ihre Sternstunde haben: Denn die Zukunft der Globalisierung liegt in ihrem regionalen Nutzen. Und um Liedtkes Titelfrage zu beantworten: Die Republik ist unverkäuflich. Man kann sie aber gewinnen.
Rüdiger Liedtke
Wem gehört die Republik?
Die Konzerne und ihre Verflechtungen in der globalisierten Wirtschaft.
Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 2005; 509 S., 26,90 Euro
Der Autor arbeitet in einem Finanzwirtschaftsunternehmen in Baden-Württemberg; daneben ist er Autor zu finanzpolitischen Themen.