Jürgen Rüttgers hingegen, der am 8. Juni bei der konstituierenden Sitzung als strahlender Sieger in den Düsseldorfer Landtag einziehen wird, konnte sich am Wahlabend über 3.696.000 Stimmen freuen, knapp eine Million mehr als bei der letzten Landtagswahl. Schon damals wollte er in das Düsseldorfer Stadttor einziehen, dem aus Glas und Stahl bestehenden Amtssitz des nordrhein-westfälischen Regierungschefs. Forsa-Chef Manfred Güllner hat herausgefunden, dass dieser Stimmengewinn nicht nur auf enttäuschte Sozialdemokraten zurückzuführen ist, sondern vor allem auf die große Mobilisierung der Unions-Anhänger.
Im Jahr 2000 hatte Rüttgers, promovierter Jurist und ehemaliger "Zukunftsminister" unter Bundeskanzler Helmut Kohl, vor allem gegen die Spendenaffäre der eigenen Partei anzukämpfen. Diesmal mussten sich die Sozialdemokraten im Jahr 2005 mit Hartz IV herumschlagen, aber eben auch mit mehr als einer Million Arbeitslosen allein in Nordrhein-Westfalen. Allerdings blieben diesmal viele SPD-Anhänger nicht der Wahlurne fern, sondern stimmten für die CDU. Die Union hingegen konnte nicht zuletzt mit ihrem Slogan "39 Jahre sind genug" viele Wähler mobilisieren. Aber auch viele Menschen, die vor fünf Jahren dem damaligen FDP-Landesvorsitzenden Jürgen W. Möllemann ihre Stimme gegeben hatten, kehrten zur Union zurück.
In Prozentzahlen sieht das Ergebnis der Wahl an Rhein und Ruhr, die auch gern als "kleine Bundestagswahl" bezeichnet wird, so aus: CDU 44,8 ( plus 7,9 ) Prozent), SPD 37,1 (minus 5,7) Prozent, Grüne 6,2 (minus 0,9) Prozent und FDP ebenfalls 6,2 (-3,7) Prozent. Auf die "anderen Parteien" entfielen 5,7 (plus 2,7) Prozent der Stimmen - davon zwei Prozent auf die Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit ehemaliger linker Sozialdemokraten und Gewerkschaftler (WASG), die sich vor allem für die Rücknahme von Hartz IV auspricht. Das Wahlergebnis spült dieser Partei nun rund 300.000 Euro Wahlkampfgelder in die klamme Kasse.
Im politischen Erdbeben, das die nordrhein-westfälische Landtagswahl in Berlin auslöste, ging freilich dieses Ergebnis unter: Die NPD, die vor einigen Wochen noch fest damit gerechnet hatte, in den Düsseldorfer Landtag zu kommen, kam gerade einmal auf 0,9 Prozent. Damit geht sie auch bei der Wahlkampfkostenerstattung leer aus, denn diese wird erst ab einem Prozent der Wählerstimmen fällig. Das gleiche Schicksal erlitten auch die "Republikaner", die noch etwas schlechter als die NPD abschnitten. Die anderen Mini-Parteien (von der Tierschutzpartei bis zur Partei Bibeltreuer Christen (die auch nicht in allen Wahlkreisen angetreten waren) erzielten nicht einmal Achtungserfolge.
Die Forschungsgruppe Wahlen hat ermittelt, dass der überzeugte katholische Christ Jürgen Rüttgers nicht zuletzt den Glaubensgenossen seinen politischen Sieg zu verdanken hat. Denn 56 Prozent der Katholiken, die sich an der Wahl beteiligten, gaben dem CDU-Herausforderer ihre Stimme. Dazu kamen 37 Prozent Protestanten und 28 Prozent Konfessionsloser. Hingegen wählten 44 Prozent der Protestanten und 41 Prozent der Konfessionslosen den vor vielen Jahren schon aus der evangelischen Kirche ausgetretenen SPD-Spitzenmann Peer Steinbrück. Wäre es nach den Protestanten an Rhein und Ruhr gegangen, wäre die letzte rot-grüne Landesregierung nicht abgewählt worden. Die Freien Demokraten finden traditionell im Westen unter den Konfessionslosen viele Wähler.
Kurz vor der Wahl hatten die Leiter der drei evangelischen Kirchen auf dem Gebiet von Nordrhein-Westfalen - die Präsides Nikolaus Schneider (Rheinland) und Alfred Buß (Westfalen) sowie Landessuperintendent Gerrit Noltensmeier (Lippe) - die Christen zur Wahlteilnahme aufgerufen. Eine Wahlempfehlung freilich gab es nicht, sieht man davon ab, dass sie darum baten, keine extremistischen Parteien zu wählen. Allerdings hatte die Diakonie des Landes einige Wahlprüfsteine im Wahlkampf erarbeitet, die vor allem die Situation der im Schatten der Gesellschaft lebenden Menschen betraf.
Der von vielen als erdrutschartig empfundene Sieg der CDU kam nicht ganz so überraschend, wie er von vielen bezeichnet wird: Längst hatte die Union auch viele Rathäuser in nordrhein-westfälischen Großstädten erobert - von Köln bis Düsseldorf, von Düsseldorf bis Wuppertal (wo einst Johannes Rau Oberbürgermeister war). Selbst im Ruhrgebiet, dem "roten Herzen" des Landes, sind CDU-Oberbürgermeister keine Seltenheit mehr. Auch hatte die schwere Niederlage der populären "roten Heide" Simonis in Schleswig-Holstein ihre Schatten auf Nordrhein-Westfalen geworfen.
Bleibt man im Farbenspiel Rot-Schwarz, dann zeichnete sich früher Nordrhein-Westfalen als ein tief rotes Land mit schwarzen Rändern aus. Nach dem 22. Mai 2005 freilich ist die Landkarte schwarz mit roten Flecken geworden. Vorbei die Zeiten, als fast alle Wahlkreise in Nordrhein-Westfalen an die SPD gingen. Diesmal blieben nur einige in Köln und in Ostwestfalen sowie im Zentrum des Ruhrgebietes (beispielsweise Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Bochum, Dortmund, Unna) bei der SPD. Die Grünen (auf die 865 Stimmen mehr als auf die FDP entfielen) haben in Nordrhein-Westfalen noch kein Landtagsmandat direkt erobert.
Enttäuscht sind nicht zuletzt die Grünen von dem Wahlausgang. Sie hatten gehofft, trotz der Berliner Visa-Affäre mit dem dadurch politisch stark angekratzten Vizekanzlers Joschka Fischer, ihren Stimmenanteil gegenüber dem Jahr 2000 zu verbessern. Schließlich lagen sie lange Zeit in den Umfragen bei zehn Prozent und konnten mit Michael Vesper, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten, und der bundesweit bekannten Umweltministerin Bärbel Höhn im Wahlkampf nur wenig punkten.
Die SPD hingegen hatte mit dem Negativwind aus Berlin zu kämpfen, obwohl sie neben dem Ministerpräsidenten auch einige bekannte Landesminister aufzubieten hatte (Finanzminister Jochen Dieckmann, Innenminister Fritz Behrens, oder Arbeitsminister Harald Schartau). Doch diesmal nutzte der Regierungs-Bonus nichts. Auch die beiden TV-Duelle konnten die Wende zugunsten der SPD nicht mehr herbeiführen. Zu groß war die Enttäuschung der Arbeiter und Arbeitslosen (die in Scharen zur CDU überliefen), zu groß die Wechselstimmung geworden. Immerhin konnte Ministerpräsident Peer Steinbrück seinen Wahlkreis mit mehr als 50 Prozent der Stimmen verteidigen. Gleiches gilt übrigens auch für Herausforderer Jürgen Rüttgers.
Die von SPD-Chef Franz Müntefering (einst SPD-Chef in Nordrhein-Westfalen und Düsseldorfer Sozialminister) entfachte Kapitalismus-Debatte fand zwar an Rhein und Ruhr großen Widerhall, wirkte sich aber auf das Wahlverhalten kaum aus. Immerhin konnte Rot-Grün die Erstwähler für sich gewinnen. 39 Prozent von ihnen gaben der SPD ihre Stimme, zwölf den Grünen. Lediglich ein Drittel der Erstwähler sprach sich für eine CDU/FDP-Koalition aus. Auch von denen, die sich erst am Wahltag für eine Partei entschieden, stimmten 40 Prozent für die SPD, nur 36 Prozent für die CDU.
Die CDU wurde stärkste Kraft bei den 30- bis 40-Jährigen. Von diesen stimmten 42 Prozent für Rüttgers. Noch stärker war die Zustimmung bei den über 60-Jährigen, von denen 51 Prozent für die Union stimmten. Auch hier fiel nicht sonderlich ins Gewicht, dass die Union im Wahlkampf thematische Festlegungen weitgehend vermied. Das Thema Arbeit und Arbeitslosigkeit überlagerte jedes andere Thema, auch das der Schule (hier rückte die SPD von ihrem ursprünglichen Plan einer Einheitsschule ab) sowie der inneren Sicherheit. Ob die CDU es schafft, eines ihrer wenigen konkreten Wahlversprechen in die Tat umzusetzen, bleibt abzuwarten - nämlich einige hundert Lehrer zusätzlich einzustellen.
In der letzten Phase des nordrhein-westfälischen Wahlkampfes, in der sich auch unzählige Bundespolitiker engagierten, wurde die Auseinandersetzung zu einem Zweikampf zwischen Ministerpräsident Peer Steinbrück und seinem CDU-Herausforderer Jürgen Rüttgers. Darauf führen auch die beiden kleineren Parteien ihre Stimmenverluste zurück. Denn in diesem Zweikampf hätten sie keine Chance gehabt. Das galt vor allem für die FDP, zumal es bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl nur eine Stimme gibt, also ein Stimmensplitting nicht möglich ist.
Kein Wunder, dass sich FDP-Landeschef Andreas Pinkwart (MdB) und Fraktionschef Ingo Wolf (als ehemaliger Oberkreisdirektor ein versierter Kommunalpolitiker), nicht so richtig über das Wahlergebnis von 6,2 Prozent freuen konnten. Dennoch wird die FDP nach vielen Jahren harter Opposition mit zwei Ministern in die Landesregierung zurückkehren. Einer davon wird wahrscheinlich Ingo Wolf sein. Ob Pinkwart, im Hauptberuf Wirtschaftsprofessor in Siegen, nach Düsseldorf wechselt, ist noch völlig offen. Wahrscheinlich aber wird er in Berlin bleiben, zumal er im heraufziehenden Bundestagswahlkampf für den FDP-Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen verantwortlich ist.
Der designierte Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, der im Wahlkampf an 100 Veranstaltungen mit 52.000 Teilnehmern teilnahm, zeigte sich nach dem großen Erfolg in Düsseldorf und tags drauf im Berliner Konrad-Adenauer-Haus als strahlender Sieger: "Man ist einfach nur glücklich." Das Glücksgefühl wird bald harter Arbeit weichen. Denn er will so schnell wie möglich mit der FDP Koalitionsverhandlungen führen. An erster Stelle des Regierungsprogramms sollen die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Verbesserung der Bildungsmöglichkeiten und die Konsolidierung des Landeshaushaltes stehen. 110 Milliarden Euro Schulden lassen kaum Spielraum. Der CDU-Politiker Helmut Linssen, bislang Vizepräsident des Landtages, ahnte bereits am Wahlabend, dass das Regieren an Rhein und Ruhr zu einem harten Stück Arbeit wird.
Der große Wahlverlierer SPD will bald eine faire, aber harte Oppositionsarbeit aufnehmen. Der bisherige Ministerpräsident hat angekündigt, sein Landtagsmandat anzunehmen, aber sonst keine politische Aufgabe im Land anzustreben. Zumindest gegenwärtig nicht. Leicht wird es für die SPD nicht im Landtag, denn mit ihren 74 Abgeordneten kann sie wenig gegen die 89 von der CDU und den 12 von der FDP ausrichten. Die CDU kann ihr berichten, wie hart dieses Los ist, das sie fast vier Jahrzehnte teilen musste.
Umgekehrt wird der künftige Ministerpräsident Jürgen Rüttgers viel von der Demut gebrauchen können, die er am Wahlabend angesichts des großen Wahlerfolgs beschwor - zumal viele Wähler angegeben haben, dass sie auch von der CDU keine Wunder erwarten, ja nicht einmal eine Änderung der Verhältnisse. Man habe in erster Linie die CDU aus Frust über die SPD gewählt. Kommt hinzu, dass Rüttgers es mit einem über Jahrzehnte hinweg verfestigten sozialdemokratischen Beamtenapparat zu tun hat, den er ja nicht einfach auswechseln kann.
Und wenn er es wahr macht, möglichst schnell die Subventionen für die Steinkohle (was vor allem auch eine Forderung der FDP ist) herunterzufahren, dann wird er als erstes zusätzliche Arbeitslose schaffen. Die Wut der Bergleute wird nicht lange auf sich warten lassen. Und die Entbürokratisierung, die die neue CDU/FDP-Regierung auf ihre Fahnen geschrieben hat, wird auch nicht so schnell neue Arbeitsplätze schaffen.