Ursprünglich hatte Isaiah Berlin ein großes Werk über die Romantik ins Auge gefasst, konnte dies jedoch aus vielerlei Gründen nicht verwirklichen. Der vorliegende Band über die Wurzeln der Romantik ist keine eigenständige Monografie, sondern basiert auf einer Vorlesungsreihe von 1965. Wie interpretiert Berlin die Romantik? Er sieht sie als zentralen Wendepunkt der modernen Geistesgeschichte, auch unter revolutionären Implikationen, die Berlin am Beispiel romantischer Gestalten wie Karl Moor aus Friedrich Schillers "Räuber" darzustellen weiß.
Das Aufkommen der romantischen Strömung im späten 18. Jahrhundert deutet Berlin als eine Reaktion auf die Aufklärung, wobei er vor allem deutsche Denker wie Herder, Kant, Schiller, Fichte, Schelling und Schlegel ins Zentrum rückt. Es geht Berlin im Kern um die deutsche Romantik. So überrascht es nicht, dass Berlin intensiv den Geniekult in der Kunst beschreibt und unter starker Betonung von romantischer Subjektivität so gegensätzliche Phänomene wie Sensibilität, Toleranz und Liberalität auf der einen Seite als Teil einer "romantischen Wirkungsgeschichte" darlegt, aber auch als "unromantische" Wirkung der Romantik auf Faschismus und Nationalismus darzulegen weiß.
Für ihn heißt Romantik vor allem Bruch mit der traditionellen Vorstellung von Tugend als Erkenntnis und eine neue Pluralität der Werte: "Der Romantik letzter Schluss ist Liberalität, Toleranz, Anständigkeit und die Anerkennung aller Unvollkommenheit des Lebens."
Interpretiert Berlin die Romantiker antirationaler, als sie waren? Vernachlässigt er die rationalen Momente der Romantik? Ein eindeutiges Urteil fällt schwer. Wer jedoch die Romantik unter ideengeschichtlichen, politischen und ästhetischen Gesichtspunkten verstehen will, kommt an dieser höchst lesenswerten Interpretation nicht vorbei, denn sie vergegenwärtigt dem Leser, dass diese Epoche eine der bedeutendsten und folgenreichsten der europäischen Geistesgeschichte gewesen ist, deren Wirkungen bis ins 21. Jahrhundert hineinreichen: "Der Romantik verdanken wir auch die Überzeugung, dass in menschlichen Belangen eine Einheitsantwort höchstwahrscheinlich von Schaden ist. Wir verdanken der Romantik die Vorstellung von der Freiheit des Künstlers und auch die Einsicht, dass man weder dem Künstler noch dem Menschen im Allgemeinen durch allzu vereinfachende Ansichten gerecht wird, wie sie im 18. Jahrhundert vorherrschten."
Isaiah Berlin
Die Wurzeln der Romantik.
Berlin Verlag, Berlin 2004; 272 S.,19,90 Euro